Interview

Klimaberater im Interview "Wir müssen unseren Energiemix umstellen"

Stand: 07.04.2011 10:00 Uhr

Globales Denken gegen den Klimawandel: Physiker Schellnhuber und acht weitere Wissenschaftler haben der Bundesregierung heute ein neues Gutachten überreicht, sie fordern die "Große Transformation". Im Interview mit tagesschau.de erklärt Schellnhuber, wie er die Politik in Sachen Klima fit machen will.

tagesschau.de: Deutschland ringt in einer Einzelfrage um Haltung, nämlich in der nach der Atomenergie. Sie dagegen fordern eine "Große Transformation", die nichts weniger als die ganze Erde einschließt. Ginge es nicht auch eine Nummer kleiner?

Hans Joachim Schellnhuber: Ausgangspunkt unseres Gutachtens ist das Problem des Klimawandels, und das ist nun mal weltumspannend. Die Atomdebatte ist wichtig, und das nicht erst seit Fukushima. Aber es wäre falsch, die Frage der Kernenergie isoliert zu betrachten.

Wir kommen in unserem Gutachten zu dem Ergebnis, dass tatsächlich eine große Transformation notwendig ist - eine umfassende Veränderung des gesellschaftlichen Stoffwechsels. Wir brauchen den Übergang zu anderen Energiequellen, anderen Ressourcen, anderen Materialien. Dazu kommt eine eindrucksvolle Reihe weiterer weltumspannender Probleme: Ernährung, Landnutzung, Schwund der Regenwälder, Versauerung der Ozeane. Immer mehr Wohlstand für immer mehr Menschen durch immer mehr Einsatz von Energie, das funktioniert nicht. Unser bisheriges fossil-nukleares Modell, das auf der Nutzung von Öl und Atomkraft beruht, ist schlicht nicht zukunftsfähig.

Hans Joachim Schellnhuber
Zur Person
Streitbarer Fechter fürs Klima: Als Direktor des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung ist Hans Joachim Schellnhuber ein gefragter Gesprächspartner. Die Bundesregierung verlässt sich auf seinen Rat: Seit 1992 ist Schellnhuber Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen.

Ausgezeichnet wurde Schellnhuber von Königin Elizabeth II mit dem Titel "Commander of the Most Excellent Order of the British Empire". Außerdem erhielt er den Deutschen Umweltpreis und den Verdienstorden des Landes Brandenburg. 2004 bekam der Weltklimarat, dessen Mitglied Schellnhuber war, den Friedensnobelpreis.

tagesschau.de: Und wo fängt man an?

Schellnhuber: Man fängt bei der Energieversorgung an. Energie ist der Schlüssel. Fossile Brennstoffe haben einerseits die industrielle Revoultion ermöglicht und uns andererseits die Klimaveränderung beschert. Denn durch die Nutzung fossiler Brennstoffe werden Treibhausgase ausgestoßen. Wir müssen unseren Energiemix umstellen und mit Energie wesentlich effizienter und intelligenter umgehen. Dass das geht, können wir berechnen. Technisch ist vieles machbar. Aber die zentrale Frage ist: Welcher gesellschaftliche Prozess macht diese Entwicklung möglich?

tagesschau.de: Wie wollen Sie diesen gesellschaftlichen Prozess konkret anstoßen? Auf den letzten zwei Klimakonferenzen hat man sich ja kaum auf wirkliche Ergebnisse einigen können…

Schellnhuber: Es wächst die Einsicht, dass Handlungsbedarf besteht. Wir werden es bitter bereuen, wenn wir keine Fortschritte machen. Die Klimaverhandlungen sind ins Stocken geraten, weil die bisherigen Prinzipien nichts taugen. Zum Beispiel muss jeder Mensch das gleiche Recht haben, die Atmosphäre zu nutzen und entsprechende Emissionsrechte erhalten. Das hätte massive Auswirkungen auf den Handel mit Emissionsrechten. Dagegen wehren sich natürlich die Industrieländer, die im Rahmen der bisherigen Regelung im Vorteil sind. Ein Amerikaner emittiert etwa 1000 mal so viel wie ein Bewohner von Mali. Dennoch werden sich die Industrieländer in diese Richtung bewegen müssen, denn anders werden wir keinen Klimavertrag bekommen. Die sogenannten Schwellenländer wie Indien, China oder Brasilien werden nicht zustimmen, wenn kein Ausgleich der Interessen stattfindet.

Es würde mich freuen, aber überraschen, wenn wir beim nächsten Klimagipfel in Durban in Südafrika entscheidend weiterkommen. Aber ein Neustart und ein Plan B können nur auf dem Prinzip der Fairness beruhen. Und in der Regel greift man erst dann zu Plan B, wenn man ganz sicher ist, dass Plan A scheitert.

tagesschau.de: Sollten weder Plan A noch Plan B zustande kommen und damit der internationale Schulterschluss nicht geschehen - inwieweit würden auch nationale oder regionale Einzelmaßnahmen greifen?

Schellnhuber: Der Übergang zu einer neuen industriellen Produktionsweise wird kommen, so oder so - spätestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Das billige Öl wird zu Ende gehen. Hochangereichertes Uran wird zu Ende gehen. Die Transformation könnte kommen, indem Modellinseln entstehen. Nationale, regionale, vielleicht sogar kommunale Modellinseln können beweisen, dass dieses neue nachhaltige Wirtschaften funktioniert. Dänemark zum Beispiel hat ein Gesetz zur Energieautonomie erlassen. Wenn solche volkswirtschaftlichen Experimente glücken, dann üben sie auch eine enorme Attraktivität aus. China investiert massiv in erneuerbare Energien und sucht Innovationspartner für die fortgeschrittensten Technologien. Man blickt ganz besonders nach Deutschland, weil die deutsche Ingenieurskunst in China hochangesehen ist.

Zwischen den Modellinseln brauchen wir subglobale Allianzen: Ein Industrieland tut sich mit einem Schwellenland zusammen und gründet einen "Fitnessclub für das 21. Jahrhundert". Irgendwann bewegen sich dann auch die USA, und zwar nicht, weil die Liebe zum Klimaschutz sich wie eine ansteckende Krankheit verbreitet, sondern weil man fürchtet, den Anschluss zu verpassen.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de