Pläne des Entwicklungsministeriums Geflohene Frauen unterstützen - nur wie?
Entwicklungsministerin Schulze will mithilfe eines Netzwerkes Frauen auf der Flucht unterstützen. Beim Treffen in Berlin wird klar: Die Herausforderungen sind groß. Was hilft den Geflohenen wirklich?
Stimmengewirr dringt aus dem Saal im Ministerium. Lachen. Verschiedene Sprachen. Eine energiegeladene Atmosphäre. Fast alle Anwesenden sind Frauen, und mitten unter ihnen ist Svenja Schulze. Die Politikerin, die aus dem Umweltressort ins BMZ wechselte. Von einem Ministerium, das oft im Mittelpunkt von Debatten stand, in ein Haus, das viele kaum zur Kenntnis nehmen, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Doch von fehlender Aufmerksamkeit ist an diesem Tag nichts zu spüren.
Das Thema ist ernst. Es geht um Menschen auf der Flucht und die Frage, wie können gerade Frauen in dieser Situation gestärkt werden? Frauen, die ihre Heimat verloren haben, die sich unter neuen Bedingungen zurechtfinden müssen, meist ohne Kenntnis ihrer Rechte. Es ist das erste persönliche Treffen des Aktionsnetzwerks für Frauen auf der Flucht.
2020 hatte das BMZ, damals noch unter der alten Regierung, das globale Netzwerk gegründet, um Frauen die Chance zu geben, ihre Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung weiterzugeben. Doch dann kam die Pandemie, und alle Treffen mussten virtuell abgehalten werden. Mit dem Netzwerk wollte das Ministerium geflüchtete Frauen in die Lage versetzen, eine aktive Rolle einzunehmen und dann auch Veränderungen zu bewirken. Doch dafür mussten sie erst einmal gehört werden.
Zwei Jahre später hat die Zahl der Vertriebenen einen neuen Rekord erreicht: 100 Millionen Menschen haben ihre Heimat verloren. Eine Zahl, so Ministerin Schulze, "die unsere Vorstellungskraft übersteigt". Auch Armut und Ungleichheit nehme weltweit wieder zu. Staatssekretärin Bärbel Kofler sieht alles, woran man gearbeitet habe, in Gefahr. Herausforderungen, denen die Politikerinnen mit Hilfe des Netzwerks begegnen wollen, für das das Ministerium 20,5 Millionen Euro bereitgestellt hat.
"Sie verstehen nicht das Potential"
Das Netzwerk hat inzwischen rund 25 Mitglieder: Politikerinnen, Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Aktivistinnen, Frauen, die Hilfsorganisationen gegründet haben. Sie stammen aus Syrien oder Palästina, aus Uganda oder Nigeria, Georgien oder Moldawien. Viele haben eigene Fluchterfahrungen. Zu dem Treffen in Berlin sind einige von weit her angereist, auch um mehr über die ersten konkreten Projekte zu erfahren: Zurzeit werden, wie es aus dem Ministerium heißt, lokale Frauenorganisationen in Kolumbien, Nigeria, im Jemen, in Afghanistan und der Ukraine gefördert.
Anila Noor ist aus Pakistan geflohen und lebt seit 2016 in den Niederlanden. Die Universitätsabsolventin erinnert sich noch immer mit Bitterkeit, wie ihr als erstes ein Job in einer Fabrik angeboten wurde. "Sie verstehen nicht das Potential, das wir Flüchtlinge mitbringen." Wenn Fachkräfte gebraucht werden, dann öffne man die Grenzen; kommen Flüchtlinge, dann seien sie von vornherein stigmatisiert.
Vor allem Frauen würden als Last empfunden. Also gebe man ihnen etwas, das ihrer typischen Rolle entspreche. Sie meint damit eine nicht-qualifizierte Arbeit. So sei der Teufelskreis nie zu durchbrechen. Noor ist froh, dass es das Treffen in Berlin gibt: "Wir werden nicht so oft eingeladen, um auf einer hohen politischen Ebene unsere Geschichte zu erzählen."
Schulze will gezielt Frauen unterstützen, damit sie auch Einfluss nehmen können. Zum Beispiel, indem stärker als bisher Initiativen gefördert werden, die geflohene Frauen aktiv beteiligen. Außerdem will das Ministerium selbst Frauen, die ihre Heimat verlassen mussten, einbeziehen, auch wenn es darum gehe, Fördermittel zu vergeben. Deutschland als großes Geberland solle deutlich machen, dass Menschenrechte geachtet werden müssen.
Ministerin Schulze will Frauen auf der Flucht gezielt unterstützen.
Das eine Rezept gibt es nicht
Taban Shoresh, als Kind geflohen aus dem Irak, hat eine Hilfsorganisation gegründet, die Mädchen und Frauen im kurdischen Norden des Irak unterstützt. Sie weiß, wie lange es dauern kann, bis geflüchtete Frauen den Mut haben, etwas zu unternehmen, Geld zu verdienen, ein Geschäft aufzubauen oder gar aktiv in die Politik zu gehen.
Alles beginne damit, dass die Frauen über ihre Rechte aufgeklärt werden müssten. Sie erinnert sich an eine sechzigjährige Frau, die ihr entgegnete: "Wie? Mein Mann hat nicht das Recht, mich zu schlagen? Wo ist ein Anwalt?" Als sie das erzählt, lachen viele im Saal auf, wohl auch, weil sie sich an ähnliche Geschichten erinnern. Um Frauen jedoch gezielt unterstützen zu können, müsse man oft Einzellösungen finden, zugeschnitten auf die jeweiligen Herausforderungen eines Landes, einer Kultur.
Es gebe nicht das eine Rezept, das für alle passe. In Flüchtlingslagern im Nordirak hätten die Männer zum Beispiel immer die Möglichkeit, das Lager zu verlassen, ins Kaffeehaus zu gehen. Für die Frauen dagegen gebe es nichts. Da müsse man ansetzen. Es helfe, wenn es Räume gebe, in denen Frauen sich austauschen könnten.
"Entscheidet nicht für sie"
Es gibt erste Erfolge, wie Kelly Clements vom UN-Flüchtlingskommissariat beschreibt. So sei es gelungen, in Flüchtlingslagern deutlich mehr Posten mit Frauen zu besetzen, in einem großen Lager in Tansania gar mit 50 Prozent, so dass die weiblichen Flüchtlinge ihre Bedürfnisse besser anbringen können.
Die nach Berlin angereisten Frauen des Netzwerks waren sich einig: Sie wollen nicht als Opfer gesehen werden. Taban Shoresh, dem einstigen irakischen Flüchtlingskind, ist dabei vor allem wichtig, dass keine Vorgaben gemacht werden, dass man die Frauen das werden lässt, was sie sich für ihr Leben wünschen. "Wenn sie es wollen, lasst sie Friseurin werden. Gebt ihnen die Möglichkeiten, sich selbst zu definieren, entscheidet nicht für sie." Ein Appell an die Organisationen und Akteure, die Geld geben. Ministerin Svenja Schulze hofft, dass sich die Mitglieder des Netzwerks in einem Jahr wieder persönlich treffen können, mit Erfolgsgeschichten im Gepäck.