Interview

Grünen-Politiker Ströbele zu Snowden "Größter Enthüller des Jahrhunderts"

Stand: 05.06.2014 08:09 Uhr

Ein Jahr nach den Enthüllungen von Edward Snowden zieht Grünen-Politiker Ströbele gegenüber tagesschau.de Bilanz: Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter habe sich "unendlich verdient gemacht". Bundesregierung und Bundesanwaltschaft würden ihre Schutzpflicht vernachlässigen.

tagesschau.de: Vor genau einem Jahr ging Edward Snowden zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und packte aus über die Machenschaften der NSA. Wie bedeutend war dieser Schritt aus heutiger Sicht?

Hans-Christian Ströbele: Dieser Schritt und alles, was dann an Enthüllungen folgte, ist in seiner Bedeutung gar nicht zu überschätzen: für Deutschland, für Europa - aber auch für die USA und Lateinamerika. Ich halte Snowden für den größten Enthüller dieses Jahrhunderts. Er hat sich unendlich verdient gemacht für unsere Grundrechte.

Zur Person
Hans-Christian Ströbele ist Abgeordneter im Bundestag für Bündnis 90/ Die Grünen und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Rechtsausschuss sowie im Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste. Er besuchte Snowden letztes Jahr in Moskau.

tagesschau.de: Snowden wollte eine öffentliche Auseinandersetzung mit der maßlosen Überwachungspraxis der USA erreichen. Wie erfolgreich war er bisher damit?

Ströbele: Snowden selbst sagt, dass er mit dem Erfolg seiner Enthüllungen sehr zufrieden ist. Auf der ganzen Welt wird über die NSA diskutiert. Sogar der US-Kongress denkt intensiv über Konsequenzen aus diesen Enthüllungen nach und hat dazu ein erstes Gesetz dazu verabschiedet. Auch die USA haben verstanden, dass die Riesenkrake NSA besser kontrolliert werden muss.  

tagesschau.de: Allzu viel Konsequenzen wurden bisher aber noch nicht gezogen, oder?

Ströbele: Ich sehe das anders. In Deutschland gibt es einen Untersuchungsausschuss. In den USA hat sich der Kongress mit der Sache befasst. Auch Frankreich und das EU-Parlament haben sich mit der Abhöraffäre befasst. Das ist schon eine ganze Menge.

"Bundesregierung vernachlässigt ihre Schutzpflicht"

tagesschau.de: Millionen Deutsche wurden vom Geheimdienst NSA offenbar ausspioniert. Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Kommt er dieser Schutzpflicht ausreichend nach?

Ströbele: Ganz eindeutig: nein! Die Bundesregierung verhält sich devot gegenüber der US-Regierung, wo ja die Verantwortlichen für die NSA sitzen. Sie besteht nicht einmal auf der Beantwortung ihrer schriftlich eingereichten Fragen vom Juli vergangenen Jahres. Berlin lässt sich hinhalten und macht dabei alles andere als eine gute Figur. Damit vernachlässigt die Bundesregierung ihre Pflichten gegenüber der deutschen Bevölkerung.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die Rolle von Generalbundesanwalt Range?

Ströbele: Der Generalbundesanwalt hat sich entschlossen, ein Ermittlungsverfahren wegen des Abhörens des Kanzlerinnen-Handy einzuleiten. Aber es geht in der Tat auch um die Schutzpflicht der deutschen Behörden gegenüber den Bürgern und deren Datensicherheit. Wenn der Generalbundesanwalt hier nicht ermittelt, dann vernachlässigt er seine Amtspflichten.

tagesschau.de: Der Generalbundesanwalt sagt, ihm fehlen dazu noch Erkenntnisse. Können Sie das nachvollziehen?

Ströbele: Ich bin der Auffassung, dass genug Fakten öffentlich wurden, um Ermittlungen einzuleiten. Es ist zumindest der Verdacht gegeben, dass Millionen von Bürger ausspioniert wurden - unter Verstoß gegen Grundrechte. Wahrscheinlich werden sie sogar immer noch ausspioniert. Wie da ein Generalbundesanwalt sagen kann, er habe keinen Anfangsverdacht, kann ich absolut nicht nachvollziehen.

"Snowden kann nur in einem demokratischen Land frei aussagen"

tagesschau.de: Sie fordern, Snowden in Deutschland vor dem NSA-Untersuchungsausschuss zu befragen. Warum dringen Sie so sehr auf eine Befragung in Deutschland?

Ströbele: Edward Snowden kann nur in Deutschland oder einem anderen demokratischen Staat frei und uneingeschränkt aussagen. In Russland nutzt seine Aussage wenig, denn er muss ja berücksichtigen, dass sein Asyl an Bedingungen geknüpft ist - nämlich nichts mehr für die USA Belastendes preiszugeben. Auf sein Asyl ist Snowden angewiesen. Er wird also nur frei aussagen können, wenn er in einem anderen Land eine sichere Bleibe hat.

tagesschau.de: Nach so einer Aussage könnte Snowden nicht zurück. Soll er Ihrer Meinung nach in Deutschland Asyl erhalten?   

Ströbele: Es geht gar nicht nicht um eine Asylgewährung. Das deutsche Recht lässt die Möglichkeit zu, Snowden durch einen Erlass des Inneniministers eine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland zu geben.

"Der größte Abhörskandal der Weltgeschichte"

tagesschau.de: Die Bundesregierung sagt, sie könne Snowden keinen sichereren Aufenthalt in Deutschland garantieren. Was sagen Sie dazu?

Ströbele: Es wäre ein Armutszeugnis, wenn Deutschland die Sicherheit von Edward Snowden nicht garantieren könnte. Selbstverständlich können die deutschen Behörden Snowden Aufenthalt und Zeugenschutz gewähren. Wir müssen die Konfrontation mit den USA in Kauf nehmen. Denn es geht ja um Aufklärung von schweren Straftaten und Menschenrechtsverletzungen
und darum, Konsequenzen zu ziehen aus der vermutlich größten Spionageaffäre der Weltgeschichte.

tagesschau.de: Ende Juli endet das Asyl in Russland. Was fordern Sie für die Zukunft des Wistleblowers?

Ströbele: Unabhängig davon, dass Snowden ein wichtiger Zeuge ist, haben wir die Verantwortung, ihm dabei zu helfen, dass er wieder ein normales Leben führen kann. Er hat sich sehr um unsere Grundrechte verdient gemacht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir ihm keinen Schutz gewähren. Edward Snowden möchte in einem Land leben, in dem demokratische Prinzipien herrschen. Ob das in Russland der Fall ist, sollen andere entscheiden.

tagesschau.de: Edward Snowden hat einen hohen persönlichen Preis gezahlt für seine Veröffentlichungen. Wie wird er Ihrer Meinung nach in die Geschichtsbücher eingehen?

Ströbele: Ich bin sicher, dass schon in zehn Jahren Edward Snowden auch in den USA würdig an der Seite von anderen großen Enthüllern stehen wird. Die USA und die demokratische Welt werden Snowden dankbar sein für das was er tat. Und niemand wird verstehen können, dass wir heute so zögerlich sind, diesem Mann zu helfen und seine Verdienste anzuerkennen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.