Schreiner zur Reform der Agenda 2010 "Müntefering ist nicht die SPD"
Die SPD im Umfragetief, die Linkspartei im Höhenflug. Will Kurt Beck mit seinem Agenda- 2010-Vorstoß die Wähler der Linkspartei zurückholen? Über dieses Thema sprach tagesschau.de mit dem SPD-Linken Ottmar Schreiner.
Die SPD im Umfragetief, die Linkspartei im Höhenflug. Will Kurt Beck mit seinem Agenda- 2010-Vorstoß die Wähler der Linkspartei zurückholen? Über dieses Thema sprach tagesschau.de mit dem SPD-Linken Ottmar Schreiner.
tagesschau.de: Herr Schreiner, freuen Sie sich, dass Kurt Beck jetzt endlich auf Sie hört?
Ottmar Schreiner: Es geht dabei nicht um mich, sondern es geht darum, dass die Situation älterer Arbeitsloser verbessert wird. Das wäre der Fall, wenn sich Kurt Beck – wovon ich sicher ausgehe – mit seinem Vorschlag durchsetzt.
tagesschau.de: Was versucht Kurt Beck da gerade – will er die Wähler der Linkspartei zurückholen?
Schreiner: Ich glaube nicht, dass das mit Blick auf die Wähler der Linkspartei geschieht, sondern mit Blick auf die getroffenen Maßnahmen im Rahmen der Agenda 2010. Diese sollte ältere Arbeitslose wieder stärker in den Arbeitsmarkt bringen – und das ist nicht geschehen. So nimmt zum Beispiel die Zahl der 50 bis 65-Jährigen, die auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, von Jahr zu Jahr zu. Insofern ist es logisch, dem Änderungsvorschlag von Beck zu folgen, weil durch den verkürzten Bezug des Arbeitslosengeldes I ältere Arbeitslose sehr rasch in die Armut abstürzen.
"Hartz IV war die Geburtsurkunde der Linkspartei"
tagesschau.de: Aber man kann doch nicht darum herumreden, dass die SPD in Umfragen ausgesprochen schlecht dasteht, während die Linkspartei immer weiter zulegt. Nun will Kurt Beck die Agenda 2010 überarbeiten und im neuen Parteiprogramm der SPD findet sich auffällig oft der Begriff des "Demokratischen Sozialismus". Und diese Entwicklung soll nichts mit der Linkspartei zu tun haben?
Schreiner: Also ich bin nun wirklich nicht der Gedankeninterpret von Kurt Beck. Dass die Linkspartei in den letzten zwei Jahren relativ stark geworden ist, hängt natürlich mit Hartz IV zusammen - das zu bestreiten wäre ja völlig albern. Hartz IV war die Geburtsurkunde der Linkspartei. Darum geht es aber letztlich nicht. Es geht darum, ob die Regelungen, die vor Jahren getroffen worden sind, einer sinnvollen Prüfung standhalten. Es war im Prinzip richtig, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen - über die Ausgestaltung muss man dann streiten. Richtig war auch, die früheren Sozialhilfeempfänger, die erwerbsfähig waren, in die Arbeitsmarktpolitik aktiv einzubeziehen. Einige Maßnahmen haben jedoch dazu geführt, dass Menschen – vor allem im fortgeschrittenen Alter – nicht geholfen wurde, sondern dass sie arm wurden. Und das kann nicht richtig sein.
tagesschau.de: Hartz IV ist inzwischen zu einem Synonym für die Abgehängten in dieser Gesellschaft geworden. Können die Sozialdemokraten die Betroffenen überhaupt noch zurückholen und ihnen klarmachen, dass sie besser die "Agenda 2010-Partei" SPD wählen als die Linkspartei?
Schreiner: Viel wichtiger ist die Frage, ob man sie zurückholen kann in die Gesellschaft. Denn auch der seit zwei Jahren anhaltende gute konjunkturelle Verlauf geht an den Langzeitarbeitslosen fast völlig vorbei. Und deshalb muss man darüber nachdenken, mit welchen Instrumenten man diese große Gruppe von Menschen erreicht. Wir brauchen beispielsweise einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt weit jenseits von Ein-Euro-Jobs, die keinerlei Integrationskraft haben. Wir brauchen wesentlich mehr Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, insbesondere für ältere Arbeitslose. Die Qualifizierungsmaßnahmen sind in den letzten Jahren massiv zurückgefahren worden, und das war genau der falsche Weg.
"Fehler muss man korrigieren"
tagesschau.de: Und das alles ist mit der SPD zu machen? Beispielsweise Franz Müntefering vertritt doch die Position: Die Agenda 2010 ist gut, so wie sie ist.
Schreiner: Franz Müntefering ist nicht die SPD.
tagesschau.de: Wie lange bleiben Sie denn noch in der SPD, Herr Schreiner?
Schreiner: Diese Frage höre ich jetzt seit Jahren und ich gebe seit Jahren immer die gleiche Antwort: Man muss sich bemühen, für Veränderungen einzutreten – und das lohnt sich auch. Ein letztes Beispiel: Auch die Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen ist im Kern eine Abkehr von entsprechenden Regelungen der Agenda 2010. Dort ist der Satz nachzulesen: "Einem Arbeitslosen ist jede Arbeit ist zumutbar", das heißt im Klartext jede Arbeit bei noch so niedrigem Einkommen. Das war damals ausdrücklich gewollt, man wollte den Niedriglohnsektor fördern. Heute schaut man entsetzt auf die Armutslohnproblematik - und auch da hat man gelernt.
tagesschau.de: Dann kann man also sagen: Ihr Kampf hat sich bis hierher schon gelohnt?
Schreiner: Ja, ich glaube schon. Es gibt Bewegung. Mein Credo lautet: Jeder macht Fehler, aber aus Fehlern muss man lernen. Man kann sie korrigieren und das ist allemal sinnvoller als stur an ihnen festzuhalten.
tagesschau.de: Und Beck hört dann jetzt doch stärker auf Sie.
Schreiner: Es geht dabei nicht um mich.
Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de