Staatssekretär zur Stadt der Zukunft "Die Stadt wird grüner, leiser und sauberer sein"
Die Menschen werden älter und weniger, die Städte voller und teurer - große Herausforderungen für die Entwicklung der Städte. In Berlin wurden Projekte prämiert, die diese Probleme anpacken. Wie die Stadt der Zukunft aussehen wird, erklärt Staatssekretär Rainer Bomba im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?
Rainer Bomba: Bei der Stadt der Zukunft müssen wir in Dekaden denken, also in Zeiträumen von 30 bis 50 Jahren. Dann wird die Stadt wesentlich leiser sein, weil wir ganz andere Verkehrsströme und Mobilitätskonzepte haben werden. Sie wird grüner sein und ein besseres Klima haben. Das erreichen wir, indem wir zum Beispiel grüne Oasen schaffen und die Elektromobilität einführen, die sehr leise und emissionsarm ist. Wir werden viel Verkehr unter die Straße verlegen, wo wir ihn nicht mehr sehen, dadurch werden die Städte der Zukunft auch schöner und sauberer werden.
Rainer Bomba ist seit 2009 Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Entwicklungsingenieur in der Kfz-Zulieferungsindustrie war unter anderem am Aufbau der Hauptstadtvertretung der Bundesagentur für Arbeit beteiligt. Seit 1985 ist er Mitglied der CDU.
tagesschau.de: Das hört sich ja paradiesisch an. Wo liegen denn die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Bomba: Die größten Schwierigkeiten haben wir vor allem dort, wo wir gewachsene Strukturen haben. Wo es zum Beispiel schon sehr viel Verkehr gibt, nehmen wir mal Wuppertal oder Essen. Hier müssen wir nicht nur den Verkehr unter die Erde legen, sondern auch den öffentlichen Nahverkehr stärken. Probleme haben wir auch, wenn es wenig Freiräume in der Stadt gibt. Hier müssen wir die Dächer begrünen. Wir brauchen vernetze Konzepte von Verkehr, Bauen, Wohnen, Entsorgung und Stadtentwicklung. Unsere drei größten Herausforderungen dabei sind der Klimawandel, der demographische Wandel und die Finanzkrise.
"Auf dem Land werden ganze Orte verschwinden"
tagesschau.de: Inwiefern wirkt sich der demografische Wandel auf das Stadtbild aus?
Bomba: Dass die Bevölkerung immer älter wird, davon merken wir momentan zwar noch nichts. Aber wenn die Menschen immer älter werden und dazu auch noch weniger Menschen geboren werden, sinkt das Durchschnittsalter der Bevölkerung und wir werden insgesamt weniger. Das heißt, wir werden vor allem im ländlichen Bereich Probleme haben. Hier werden Orte komplett verschwinden. Wir werden einen noch stärkeren Zuzug in die Städte haben, weil dort die ganze Infrastruktur vorhanden ist, die ältere Leute nun mal brauchen: Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser und Geschäfte um die Ecke. In Deutschland leben schon jetzt 70 Prozent der Bevölkerung in den Städten. Das wird sich in den nächsten Jahren noch erhöhen.
Unter den Preisträgern des Wettbewerbs ist deshalb zum Beispiel ein Projekt aus Berlin. Hier wurde der lange vernachlässigte Letteplatz, in "ein Wohnzimmer für alle" umgestaltet. Wir leben ja heute meist im Ein-Generationen-Haushalt, während früher oft drei Generationen zusammenlebten. Auf dem Letteplatz sind jetzt Angebote für alle Generationen vorhanden: Rasenfläche, Bolzplatz, Promenade und Raum für Veranstaltungen.
"In den neuen Bundesländern ist der Leerstand exorbitant hoch"
tagesschau.de: Aber wie meistert man diesen gewaltigen Zuzug? Viele Städte platzen ja jetzt schon aus allen Nähten und werden immer teurer.
Bomba: Der Bund gibt jedes Jahr 518 Millionen Euro den Ländern, damit diese den sozialen Wohnungsbau fördern - und das beobachten wir sehr genau. Wir brauchen Wohnraum für Menschen, die weniger Geld haben, aber die beispielsweise auch mehrere Zimmer brauchen, weil sie Kinder haben. Besonders wichtig ist das in Städten wie München, Frankfurt am Main oder Berlin, wo großer Zuzug herrscht und die Mieten steigen.
Auf der anderen Seite haben wir Städte wie Halle oder Magdeburg mit exorbitant hohen Leerständen: über eine Million in den neuen Bundesländern - und die Zahl steigt weiter. Hier müssen wir ganze Wohnblocks wegsprengen. Wir können sie ja nicht nach München schaffen und die Menschen können wir auch nicht zum Umzug zwingen. Das ist eine riesigen Aufgabe, bei der wir mit Ländern, Kommunen und Industrie zusammenarbeiten müssen.
tagesschau.de: Gibt es ein Beispiel unter den preisgekrönten Projekten, das sich dem Problem der wachsenden Städte annimmt?
Bomba: Das Alte Trafohaus in Bischofsheim wurde zu einem Vereinszentrum umgebaut. Das Haus - in einem sozial schwierigen Umfeld gelegen - wurde denkmalgerecht saniert und mit zeitgenössischer Architektur ergänzt. So soll die Randlage überwunden und attraktiver für verschiedene Generationen gemacht werden. Besonders schön ist hier, dass sich Arbeitslose und Ehrenamtliche zusammengetan haben und das leer stehende Gebäude in mühevoller Kleinarbeit in ein Bürgerhaus verwandelt haben, da so zu einem Treffpunkt im sozialen Brennpunkt geworden ist. So etwas ist möglich. Man muss den Menschen nur das Gefühl geben, dass sie ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft sind, dann sind sie auch bereit, sich zu engagieren.
"Auf sozialen Wohnungsbau wurde zu wenig geachtet"
tagesschau.de: Welche Fehler wurden bei der Stadtentwicklung in der Vergangenheit gemacht?
Bomba: Insbesondere in Zuzugs- und Ballungszentren ist zu wenig Wert darauf gelegt worden, bezahlbaren und qualitativ guten Wohnraum für sozial Schwache zur Verfügung zu stellen. Es gibt auch einige Stadtviertel, wo es infolge dessen keine soziale Durchmischung gibt. Eigentlich wäre es wünschenswert, gemischte Gebiete zu haben, wo es ein paar Geschäfte gibt, Wohnhäuser und ein paar kleine und mittelständische Betriebe, die auch Arbeitsplätze bieten. Probleme haben wir insbesondere in reinen Wohngegenden, das sind häufig auch soziale Brennpunkte.
tagesschau.de: Sie haben die Herausforderungen durch den Klimawandel angesprochen. Wie reagiert Stadtentwicklung darauf?
Bomba: Wir stellen fest, dass unsere Städte immer mehr aufheizen. In diesem Jahr hatten wir in der Berliner Innenstadt den heißesten Tag seit Messung der Temperaturen. Das ist nicht gut für die Menschen, es mindert die Leistungfähigkeit und führt gerade bei älteren und gehandicapten Menschen dazu, dass sie in ihren Wohnungen bleiben und im schlimmsten Fall den Hitzetod sterben. Die Aufheizung geschieht, weil wir die Städte in den letzten Jahren sehr verdichtet haben. Noch der kleinste Raum wurde genutzt, um da ein Haus oder Gebäude drauf zu stellen. Das führt dazu, dass Frischluftschneisen fehlen. Auch dagegen hilft vor allem mehr Grün.
"Haus, Tankstelle und Kraftwerk in einem"
tagesschau.de: Das allein wird aber doch nicht reichen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen?
Bomba: Nein. Gegen den Klimawandel brauchen wir natürlich auch andere Energieformen. Bei der Stadtentwicklung präferiere ich deshalb die so genannten Energie-Plus-Häuser. Das sind Häuser, die selbst wesentlich mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Und das alles regelt man über erneuerbare Energien: Geothermie, Photovoltaik-Anlagen und Flachwindturbinen. Die zu viel produzierte Energie speichern wir zwischen und geben sie an Elektromobile ab und speisen sie ins Netz ein. Das ist dann quasi Haus, Tankstelle und Kraftwerk in einem.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de