Terrorverdächtiger Al-Bakr Was wir wissen - und was nicht
Der Syrer Al-Bakr soll einen Anschlag in Deutschland vorbereitet haben. Wie konkret waren diese Pläne? Hat Al-Bakr Verbindungen zum IS? Wie kamen ihm die Behörden auf die Spur? Und welche Rolle spielten dabei andere Flüchtlinge? tagesschau.de fasst den Ermittlungsstand zusammen.
Wer ist Jaber Al-Bakr?
Der 22-jährige Jaber Al-Bakr wurde am 10. Januar 1994 in Sasa geboren, einem Ort südlich von Damaskus. Im Februar 2015 kam er als Flüchtling nach Deutschland; seinem Asylantrag wurde im Juni stattgegeben. Er war in Eilenburg in Nordsachsen gemeldet. Der mutmaßliche Islamist war zwar nicht polizeilich bekannt, wurde aber bereits seit September vom Verfassungsschutz beobachtet.
Wie ist die Verbindung zum IS?
Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler handelte Al-Bakr im Auftrag der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Dafür sprechen laut Landeskriminalamt Sachsen und Verfassungsschutz unter anderem Informationen der Nachrichtendienste sowie die Vorgehensweise und das Verhalten von Al-Bakr. Es ist bekannt, dass Dschihadisten gezielt Flüchtlinge zu rekrutieren versuchen, da diese wegen ihrer schwierigen Lage anfällig sind für die Lehren der Terrormiliz.
Wie konkret waren die Anschlagspläne?
Die Pläne des 22-Jährigen waren nach Behördenangaben weit fortgeschritten. Sein geplantes Anschlagsziel: ein Flughafen in Berlin. Das bestätigte inzwischen der Verfassungsschutz. Der Anschlag habe unmittelbar bevorgestanden, sagte Generalbundesanwalt Frank. Dass der Anschlag verhindert werden konnte, liegt nach seiner Einschätzung auch an der guten Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten.
Al-Bakr hatte im Internet Recherchen zur Herstellung von Sprengstoffen angestellt und entsprechende Chemikalien besorgt. Deshalb "müsste davon ausgegangen werden, dass er eine Sprengstoffweste zur Explosion bringen wollte", sagte der Leiter des Landeskriminalamts Sachsen, Jörg Michaelis.
Welcher Sprengstoff wurde in Chemnitz gefunden?
Bei der Durchsuchung einer Wohnung in Chemnitz, in der sich der 22-Jährige aufgehalten hatte, entdeckte die Polizei am Samstag anderthalb Kilogramm eines "hochbrisanten Sprengstoffs". "Dabei handelte es sich um hochexplosives TATP", so ARD-Experte Götschenberg. "Das wurde mittlerweile auch von der sächsischen Polizei bestätigt." Es ist der gleiche Stoff, der auch bei Anschlägen in Brüssel und Paris verwendet wurde. Zur Beweissicherung nahmen die Polizisten vor Ort eine Probe des Pulvers. Nach Informationen des ARD-Experten Stempfle stellten die Ermittler auch Metallteile sicher, mit der der Beschuldigte die Sprengkörper offenbar bestücken wollte. "Das wäre ein furchtbarer Anschlag geworden", so Stempfle.
Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR fand sich zudem etwa ein weiteres Kilo Chemikalien. Außerdem stellten die Beamten Zünder sicher und Teile, die nach erster Bewertung zur Herstellung von Rohrbomben gedient haben könnten.
TATP kann auch in geringen Mengen einen enormen Schaden anrichten. Es ist in seiner Wirkung wesentlich stärker als TNT. Davon zeuge auch die Druckwelle, die bei der Sprengung spürbar gewesen sei, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamtes. Mehr als 80 Menschen mussten ihre Wohnungen während des Einsatzes verlassen.
Wie kamen die Sicherheitsbehörden dem Syrer auf die Spur?
Erste Hinweise auf die Anschlagspläne soll es bereits im September gegeben haben, so LKA-Chef Michaelis. Nach Informationen von ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg gab es "verschiedene, voneinander unabhängige Hinweise ausländischer Geheimdienste, die die deutschen Dienste erreichten". Nach Aussage von Michaelis unterstütze auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND die Ermittlungen. Auch das Terrorismusabwehrzentrum habe bei der Aufklärung geholfen.
Konkret wurde es dann Ende vergangener Woche: Der Verdächtige sei am Donnerstag vergangener Woche identifiziert und dann rund um die Uhr observiert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen dem ARD-Hauptstadtstudio. Der Syrer habe dann am folgenden Tag in einem Ein-Euro-Shop Heißkleber gekauft. "Und unverzüglich haben wir dann alle Maßnahmen in Bewegung gesetzt, damit ein Zugriff erfolgte, weil wir davon ausgingen: Dies kann im Grunde genommen die letzte Chemikalie sein, die für ihn notwendig war, um eine Bombe herzustellen," erklärte Maaßen weiter.
Die Polizei in Chemnitz bekam entsprechende Hinweise vom Bundesamt für Verfassungsschutz. In einer Wohnung im Chemnitzer Fritz-Heckert-Viertel solle sich der Verdächtige aufhalten und Vorbereitungen für einen Bombenanschlag treffen. Daraufhin erfolgte ein erster Zugriffsversuch der Polizei; er scheiterte jedoch: Die Beamten hatten Al-Bakr zwar gesehen und auch einen Warnschuss abgegeben, konnten ihn aber nicht fassen. Erst in Leipzig konnten die Fahnder den Verdächtigen festnehmen.
Bereits vor einigen Wochen konnten die Sicherheitsbehörden auf Tipp des Geheimdienstes einen Anschlag vereiteln: Ein Syrer wurde in Köln festgenommen, der in Kontakt mit der Terrormiliz IS stand und offenbar einen Bombenanschlag geplant hatte.
Wie verlief die Festnahme in Leipzig?
Al-Bakr soll einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge in einem Online-Netzwerk syrischer Flüchtlinge nach einer Bleibe gesucht haben. Er sei am Leipziger Hauptbahnhof und suche eine Unterkunft. Daraufhin meldeten sich andere syrische Flüchtlinge bei ihm und holten ihn ab. Als diesen zu Hause klar wurde, um wen es sich handelt, überwältigten sie ihren Landsmann und informierten umgehend die Polizei. Vorher soll Al-Bakr der "Bild" zufolge noch versucht haben, sich freizukaufen.
Die Beamten fanden Al-Bakr gefesselt vor, ein alarmiertes Spezialeinsatzkommando kam gar nicht mehr zum Einsatz. "Die Polizei bekam ihn quasi auf dem Silbertablett serviert", sagt Terrorismusexperte Götschenberg.
Hatte er Komplizen?
Die Behörden gehen von einem Mittäter aus. Sie ermitteln gegen den 33 Jahre alten Mieter der Wohnung in Chemnitz, in der Al-Bakr kurzzeitig lebte und in der der Sprengstoff gefunden wurde. Die Ermittler halten den anerkannten syrischen Flüchtling Khalil A. für einen Komplizen von Al-Bakr. Er war am Samstag am Chemnitzer Hauptbahnhof festgenommen worden und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erlassen. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen.
Zwei Landsleute des Gesuchten, die am Samstag in der Siedlung und am Hauptbahnhof festgenommen worden waren, kamen am Sonntag wieder frei. Der Verdacht, Kontakt zu dem Flüchtigen gehabt zu haben, bestätigte sich nicht.