Landtagswahl in Thüringen "AfD ist nicht neue Volkspartei des Ostens"
In Thüringen läuft alles auf eine Minderheitsregierung hinaus, meint Politologin Astrid Lorenz im tagesschau.de-Interview. Der Erfolg der AfD im Osten müsse nicht von Dauer sein. CDU und SPD müssten aber umdenken.
tagesschau.de: Bodo Ramelow ist zwar Wahlsieger, allerdings ohne Mehrheit: Wie könnte überhaupt eine Regierung unter seiner Führung zustande kommen?
Astrid Lorenz: Zunächst mal ist am Wahlergebnis interessant, dass die Linkspartei keineswegs der klare Gewinner ist, wenn man sich die Direktmandate anschaut. Denn davon gingen auch viele an die CDU.
Bei den Regierungsoptionen läuft es aber auf die Frage hinaus, ob eine Partei bereit ist, als vierter Koalitionspartner in die Regierung einzutreten oder diese zu tolerieren. Die CDU hat gestern Abend ja noch einmal deutlich gemacht, dass sie keine Koalition mit der Linkspartei eingehen will.
Astrid Lorenz hat seit 2010 den Lehrstuhl "Politisches System der Bundesrepublik Deutschland/Politik in Europa" an der Universität Leipzig inne. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die politischen Systeme Europas, Verfassungspolitik und die Demokratisierung in Ostdeutschland.
"Minderheitsregierung wahrscheinlich"
tagesschau.de: Halten Sie so eine Minderheitsregierung für eine sinnvolle Lösung?
Lorenz: Das ist sicher nichts, was irgendeiner der Beteiligten möchte und nur im Notfall möglich. Sicherer als Regieren mit wechselnden Mehrheiten wäre eine gewissermaßen privilegierte Partnerschaft einer Dreierkoalition mit der FDP. Diese würde aber dann wohl auch bestimmte Bedingungen für die Tolerierung verhandeln. Denn selbst eine Minderheitsregierung geschieht oft - wie man beim Magdeburger Modell gesehen hat - nicht so ganz ohne Vereinbarungen.
tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer Minderheitsregierung unter Tolerierung der CDU ein?
Lorenz: Bodo Ramelow hat im Prinzip ein direktes Angebot an die CDU formuliert, indem er von direktdemokratischen Elementen sprach, die die CDU ja wollte. Das kam einer Einladung gleich. Und auch Mike Mohring ist bereits im Verlaufe des Wahlabends zurückhaltender geworden mit seiner ablehnenden Haltung. Insofern halte ich selbst ein Mitregieren der CDU oder eine Tolerierung durch sie nicht für ganz ausgeschlossen. Aber es gäbe massive Widerstände aus der Bundes-CDU, die CDU könnte sich nur schwer von der Linkspartei absetzen und als kleinerer Koalitionspartner würde sie bei der nächsten Wahl vermutlich schlechter abschneiden.
"Inhaltliche Orientierung an AfD"
tagesschau.de: Wäre so ein Modell auch über die gesamte Legislaturperiode denkbar?
Lorenz: So etwas hat schon öfter Legislaturperioden überstanden in Deutschland. An Minderheitsregierungen oder übergroße Koalitionen mit vielen Partnern wird man sich angesichts des veränderten Wahlverhaltens hierzulande wahrscheinlich auch gewöhnen müssen.
tagesschau.de: Die AfD hat ihr Wahlergebnis mehr als verdoppelt, dennoch will keiner mit ihr koalieren. Wird man sich das auf Dauer leisten können?
Lorenz: Formal denke ich schon, aber nicht inhaltlich. Schon jetzt ist zu sehen, dass die anderen Parteien sich zum Teil an den Inhalten der AfD orientieren. Sie reden mit der AfD, gerade auf Landes- und kommunaler Ebene, nehmen Inhalte auf, beispielsweise in der Wirtschaftspolitik oder bei der Förderung des Handwerks, wo es um praktische Lösungen geht wie den Meister zu stärken oder ähnliches. In anderen Politikbereichen, wie der Asylpolitik, ist man sehr weit entfernt.
"AfD-Wähler nicht in abgeschotteten Milieus"
tagesschau.de: Die Wähler der AfD haben sich von eine rechts-nationalen Spitzenkandidaten, wie Björn Höcke es ist, nicht abschrecken lassen. Kann man da noch von Protestwählern sprechen?
Lorenz: In den Umfragen zeigt sich immer noch, dass Protest beziehungsweise Unzufriedenheit mit der Politik ein ganz wichtiges Motiv ist - neben der Programmatik. Allerdings sind das nicht unbedingt verfestigte Positionen. Das kann man auch ableiten aus dem unterschiedlichen Stimmenanteil von Frauen und Männern bei der AfD. Die Männer, die AfD gewählt haben, haben nicht selten eine Frau zu Hause, die nicht AfD gewählt hat.
Das zeigt, dass diese Wähler nicht in abgeschotteten Milieus sind, sondern im Gespräch mit anderen Personen, die andere Parteien wählen. Und man hat da nach wie vor die Möglichkeit, ein verändertes Wahlverhalten zu bewirken. Im Osten haben wir vielfach ungebundene Wähler, die von Wahl zu Wahl neu entscheiden, wem sie ihr Vertrauen aussprechen. Das heißt, die AfD ist nicht die neue Volkspartei des Ostens, sondern ihr Ergebnis kann sich bei den nächsten Wahlen auch wieder ändern.
"Wo ist die Mitte?"
tagesschau.de: Was hat das zu bedeuten, wenn die Parteien der Mitte, es immer schwerer haben, Mehrheiten zu bilden?
Lorenz: Es zeigt zunächst mal, dass nicht mehr so klar ist, wo denn diese Mitte eigentlich ist. Diese Frage wird ja in der Gesellschaft derzeit neu verhandelt. Und auch mit Blick auf die Parteien ist das alles andere als eindeutig. Bodo Ramelow macht sicherlich eine Politik, die eher als sozialdemokratisch zu bezeichnen ist - eine Politik, die von links bis in die linke Mitte reicht. Auch deshalb ist er in Thüringen so erfolgreich.
"Die Große Koalition macht weiter wie bisher"
tagesschau.de: Heftige Einbußen gab es bei SPD und CDU. Welche Auswirkungen wird das auf die Große Koalition im Bund und die anstehende Halbzeitbilanz haben?
Lorenz: Es sollte auf jeden Fall welche haben, allerdings ist davon bisher nichts zu sehen. Es gab in Ostdeutschland seit 2009 keine Mehrheit mehr für SPD und Union in Bundestagswahlen, und seitdem ging es für sie immer weiter bergab. Es ist aber nicht zu erkennen - auch nicht am gestrigen Wahlabend - dass da etwas verstanden wurde. Im Grunde wird in Berlin scheinbar weitergemacht wie bisher.
tagesschau.de: Was müsste passieren?
Lorenz: Auch auf Bundesebene müsste passieren, was sowohl die SPD in Brandenburg als auch die Union in Sachsen gemacht hat: Die haben das Gespräch gesucht mit den Menschen. Sie müssten auch mal sagen: Wir haben vielleicht bestimmte Dinge missverstanden, haben auch Fehler gemacht. Die Wähler warten auf solche Zeichen. Wir brauchen auch neue Wege der Kommunikation und vielleicht auch der demokratischen Mitgestaltung.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.