Prozess um "Tiergartenmord" Im Auftrag des Staates?
In Berlin hat der Prozess um den mutmaßlichen russischen Auftragsmord im Kleinen Tiergarten begonnen. Zunächst sind 25 Verhandlungstermine bis Ende Januar 2021 angesetzt. Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Von Kerstin Breinig, rbb
Bundesanwalt Ronald Georg hat Erfahrungen mit politischen Mordprozessen. Als junger Staatsanwalt vertrat er 1993 die Anklage im Mykonos-Prozess. Es ging um einen Auftragsmord an iranischen Kurden in Berlin. Im Urteil wurde eindeutig festgestellt, dass der iranische Staat verantwortlich für den Mord war. 23 Jahre später im selben Gericht klagt wieder Bundesanwalt Georg an.
Wieder geht es um den Vorwurf des Staatsterrorismus, diesmal um russischen. Staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation hätten den Auftrag erteilt, den georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung Tornike K. zu liquidieren, heißt es in der Anklageschrift.
Hinter Sicherheitsschleuse und Panzerglas
Die Sicherheitsvorkehrungen sind dementsprechend hoch. Zur Unterstützung wird auch die Berliner Polizei im Einsatz sein. Verhandelt wird im Saal 700 - dem Sicherheitssaal des Berliner Kammergerichtes - abgeschottet vom Rest des Hauses, hinter einer zweiten Sicherheitsschleuse und Panzerglas. Nur Prozessbeteiligte dürfen in diesen Sicherheitsbereich und 15 Journalisten, wegen der Corona-Beschränkungen. Die Plätze wurden ausgelost. Wegen des großen auch internationalen Interesses wird die Verhandlung in einen Konferenzsaal übertragen. Ein Novum in Berlin.
Schüsse in Oberkörper und Kopf
Das Opfer Tornike K., heißt eigentlich Zelimkhan Khangoshvili - der Georgier lebte seit 2016 in Deutschland unter einem neuen Namen. Er hatte im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft. Aus Angst vor russischen Attentätern hatte er mit seiner Familie Georgien verlassen, nachdem er in Tiflis niedergeschossen wurde.
Am 23. August 2019 geht Zelimkhan Khangoshvili mittags durch den kleinen Tiergarten. Auf einem Fahrrad folgt der Mörder seinem Opfer, schießt ihm erst in den Oberkörper, dann in den Kopf. Zwei Mal. Gezielt. Andere Menschen seien zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen, sagt der damalige Staatsanwalt schon kurz nach der Tat. Der Täter fährt mit seinem Fahrrad einfach davon. In der Spree versenkt er Fahrrad, seine Kleidung, eine Perücke und die Tatwaffe. Doch dabei wird er von Zeugen beobachtet, die die Polizei informieren. Er wird festgenommen.
Mauer des Schweigens
Erst bestreitet der Mann, der laut russischem Pass Vadim Sokolov heißt, die Tat. Dann schweigt er. Sein Pass ist erst wenige Wochen vor der Tat ausgestellt worden. Am 17. August verlässt er Moskau, fliegt nach Paris, dann nach Warschau. Erst am Tag vor dem Mord kommt er nach Berlin. Wo in Berlin er sich aufhält, ist bis heute nicht geklärt.
Im Laufe der Ermittlungen wird klar, dass "Vadim Sokolov" nur eine Tarnidentität ist. Die Ermittler gehen davon aus, es mit Vadim Krasikov zu tun zu haben. Der wurde 2014 von russischen Behörden zur internationalen Fahndung ausgeschrieben, ein Jahr später wurde die Fahndung gelöscht. Erst danach taucht "Vadim Sokolov" auf.
Die deutschen Behörden sind auch wegen der falschen Identität davon überzeugt, dass Krasikov Hilfe staatlicher Stellen in Russland hatte. Möglicherweise war er Mitglied einer Spezialeinheit. Bis heute sitzt Krasikov in Untersuchungshaft - er hat sich nicht zu den Vorwürfen geäußert. Sein Verteidiger dürfte es schwer haben. Es ist immer noch der vom Gericht am Tag der Festnahme bestellte Pflichtverteidiger. Ob der Tatverdächtige mit ihm gesprochen hat, ist mehr als fraglich.
Diplomatischer Drahtseilakt
Erst im Dezember übernahm die Generalbundesanwaltschaft den Fall, weil die Verbindungen zu russischen Geheimdiensten immer deutlicher wurden. Die Bundesregierung wies als Reaktion zwei russische Diplomaten aus. Es handelte sich um Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Russland konterte - mit der Ausweisung von zwei deutschen Diplomaten.
Die Familie des Opfers ist sich sicher, wer hinter dem Anschlag steckt. "Ich habe immer gesagt und ich sage jetzt auch, ich sehe nur Russland dahinter", sagte die Ex-Frau wenige Wochen nach der Tat. Ähnlich klingt die Erklärung der Nebenklagevertreterinnen im Namen ihrer Mandanten: "Wir hoffen, dass die angeklagte Tat umfassend aufgeklärt wird. Insbesondere erhoffen wir uns, dass das Geschehen auch hinsichtlich der Mittäter*innen, die es hier in Berlin (aber auch anderswo) gegeben haben muss, aufgeklärt werden kann." Ihre Angst vor Verfolgung durch russische Behörden habe sich bewahrheitet. Zum Prozess wird die Familie trotz der Angst kommen.