Tourismusbranche Wo es hakt und was helfen könnte
Einen Tourismusboom gibt es auch da, wo viele ihn nicht vermuten. Experte Buer erklärt im tagesschau.de-Interview, wo es hakt - und wie Digitalisierung den Urlaub schöner und Einheimische glücklicher machen könnte.
tagesschau.de: Die Tourismusbranche in Deutschland boomt, 2018 gab es wieder einen Besucherrekord, die Umsätze belaufen sich auf knapp 290 Milliarden Euro. Wie entwickelt sich diese Branche?
Christian Buer: Die meisten denken beim Tourismus an Freizeitreisen, Ferien, Wellness. Wir haben aber in Deutschland einen viel größeren Tourismus bei Geschäftsreisen, Kongressen und Tagungen, der in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen ist. Da ist viel an Beherbergungskapazität dazugekommen, insbesondere in den Städten und Ballungsräumen - und die internationale Nachfrage wird hier noch zunehmen.
Beim Freizeittourismus merken wir, dass die Reisen am Boden wieder zunehmen und dass die Leute öfter im eigenen Land reisen. Bei gleichzeitiger Anforderung an einen höheren Komfort. Das heißt, das Zelt reicht nicht mehr, es muss der Caravan sein. Die einfache Pension reicht nicht mehr, es muss das Wellnesshotel sein.
tagesschau.de: Was sind die drängendsten Probleme dieser Branche?
Buer: Die größte Herausforderung ist es, Mitarbeiter zu finden. Nicht nur ausgebildete Fachkräfte, beispielsweise Köche, sondern auch Mitarbeiter für einfachere Dienstleistungen. Der Wettbewerb mit anderen Branchen um Mitarbeiter wird immer stärker. Und in anderen Branchen wird dann eben das Gehalt erhöht oder sie locken mit attraktiveren Arbeitszeiten. Das ist in der Tourismusbranche schwierig.
"Bundesregierung muss bessere Rahmenbedingungen schaffen"
tagesschau.de: Inwiefern ist da die Politik in der Pflicht? Hotel- oder Gastronomiebetriebe könnten doch ihre Mitarbeiter auch besser bezahlen?
Buer: Das ist richtig. Dann hätten wir aber eine massive Preissteigerung in diesem Bereich - um 15 bis 25 Prozent. Das würden wiederum die Gäste nicht akzeptieren. Das heißt, die Kapazität der Branche müsste reduziert werden, trotz steigender Nachfrage. Wir haben eine aufgehende Schere zwischen der Nachfrage nach Dienstleistung und der Bereitschaft, den Preis zu bezahlen.
Am Beispiel Gastronomie zeigt sich eine zunehmende Systematisierung und Standardisierung, beispielsweise durch Restaurantketten. Das heißt, es geht in Richtung mehr Technologisierung, damit kann man Arbeitskräfte reduzieren und damit kriege ich zwar wieder ein wirtschaftliches Gleichgewicht, aber die Qualität leidet. Da muss die Bundesregierung, bessere Rahmenbedingungen schaffen, damit nicht permanent Arbeitsplätze abgebaut werden müssen.
"Glasfaser-Ausstattung muss viel schneller gehen"
tagesschau.de: Die Bundesregierung hat jetzt ein Strategie-Papier für die Branche vorgelegt. Als zentrales Problem wird die digitale Infrastruktur genannt. Wo hakt es da?
Buer: Die Infrastruktur generell in Deutschland ist erbärmlich, nicht nur die digitale. In abgelegeneren Regionen muss man betteln, um ein ordentliches Netzwerk zu bekommen. Im Westen von Deutschland werden mit der Deutschen Telekom Verträge abgeschlossen, dass jedes Haus im Jahr 2030 mit Glasfaser ausgestattet sein soll. Das müsste viel schneller gehen.
Bei der Digitalisierung selbst müssen wir in neuen Prozessen denken. Neue Technologien werden dazu führen, dass der Gast mehr Verantwortung übernimmt. Durch die bessere Verfügbarkeit von Informationen an den sogenannten touristischen Hotspots lassen sich Besucher besser steuern, damit sie nicht alle gleichzeitig am gleichen Punkt sind. Beispielsweise indem vorher klare Slots definiert werden, in denen bestimmte Orte in Ruhe besichtigt werden können.
"Subjektiv wahrgenommene Überfüllung wird zunehmen"
tagesschau.de: Ist Overtourism - also Massentourismus, der Städten und Umwelt schadet - in Deutschland ein Problem?
Buer: In Deutschland nicht so sehr. Wir bekommen das tendenziell in Berlin, in der Hauptsaison an den touristischen Hot Spots. Und wir haben das bei den großen Eventveranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest oder im Umfeld von großen Fußballspielen.
Aber es wird zunehmen - zumindest als subjektiv wahrgenommene Überfüllung. Zum Beispiel auf den Straßen, wenn jeder mit seinem Caravan in den Urlaub fährt. Aber ein Ausmaß wie in Pisa oder Venedig, wo zur Hauptsaison mitunter die Nutzung des Nahverkehrs und das normale Leben nicht mehr möglich sind, das haben wir in Deutschland so nicht.
Buer: "Man muss nicht mit einem Pkw in ein Skigebiet fahren."
"Umdenken bei der Art zu reisen notwendig"
tagesschau.de: Ein Schlagwort in dem Strategiepapier ist "Qualitätstourismus", der im "Einklang mit der Natur" steht und auch die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung verbessert. Wo sehen Sie da Chancen?
Buer: Zum Beispiel in einer veränderten Art zu reisen. Man muss nicht mit einem Pkw in ein Skigebiet fahren, wenn man bereit ist, drei Regeln einzuhalten: Erstens muss man 72 Stunden vorher packen, damit man bei einer Zugreise das Gepäck aufgeben kann und nicht selbst schleppen muss. Zweitens muss man akzeptieren, dass man gegebenenfalls umsteigen muss und nicht direkt vor der Haustüre losfährt - und man muss sich nach den Fahrplänen richten und ist dadurch nicht ganz so flexibel.
Das heißt aber nicht, dass es unangenehmer sein muss, mit dem Zug in den Urlaub zu fahren. Man gewinnt nämlich auch Vorteile: Ich muss mir keine Gedanken um Wetterverhältnisse oder Verkehr auf den Straßen machen, ich muss keine Verpflegung mitnehmen, weil ich unterwegs Vollverpflegung habe und ich komme entspannter an. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.