Piratenpolitikerin Reda zum Urheberrecht Hier erlaubt, dort verboten
Das Internet ist grenzenlos - sollte es zumindest sein. Doch das Urheberrecht auf EU-Ebene stammt aus der Zeit vor Youtube. Komplett veraltet, meint Piratenpolitikerin Julia Reda auf der "re:publica". Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt sie, was sich ändern muss.
tagesschau.de: Sie waren bei der "re:publica". Das diesjährige Motto ist "Finding Europe" - warum gerade Europa?
Julia Reda: Wenn man sich für das Internet interessiert, dann muss man sich auch für Europa interessieren. Denn das Internet macht nicht an Landesgrenzen halt. Genauso wie im Bereich der internationalen Wirtschaft oder beim Umweltschutz brauchen wir internationale Richtlinien für das im Internet. Wenn wir das Rad der Globalisierung nicht zurückdrehen wollten, dann brauchen wir transnationale Demokratien wie die Europäische Union. Denn Fragen wie Datenschutz, Urheberrecht oder Netzneutralität lassen sich nicht auf Länderebene regeln.
tagesschau.de: Sie sind Berichterstatterin des EU-Parlaments für die Evaluierung der Urheberrechts-Richtlinie von 2001. Damals gab es noch kein Facebook, kein Youtube. Wie aktuell ist das europäische Urheberrecht?
Reda: Es ist extrem veraltet. Es gibt Rechteinhaber, Urheber und Nutzer. Für die Rechteinhaber gibt es Mindeststandards, für den Schutz der Allgemeinheit und für den Schutz der Urheberinnen und Urheber aber nicht. Außerdem gibt es auch keine Mindeststandards für öffentliche Interessen, die manchmal höher wiegen als das Urheberrecht. Zum Beispiel sichern Zitatrecht und Parodiefreiheit die Presse- und Meinungsfreiheit und sind deshalb Schranken des Urheberrechts. Jedes Land entscheidet einzeln, ob es Ausnahmen vom Urheberrecht zulässt. Das macht es extrem schwer, wenn man über ein einzelnes Land hinaus agiert. Wir teilen und kommunizieren im Internet aber, ohne uns um Landesgrenzen zu scheren.
In Österreich erlaubt, in Deutschland verboten
tagesschau.de: Wann werden Ländergrenzen zum Problem?
Reda: Es gibt einen Fall aus Österreich: Jemand machte aus einer Privatwohnung ein Foto vom bekannten Hundertwasser-Haus. In Österreich gibt es die sogenannte Panorama-Freiheit: Man darf das Foto in Österreich verbreiten, ohne die Zustimmung des Architekten einzuholen. In Deutschland allerdings gilt die Panorama-Freiheit nur dann, wenn der Fotograf sich auch auf öffentlichem Raum befindet. Da dieses Foto aber von einer Privatwohnung aus gemacht wurde, ist es in Deutschland verboten, das Foto zu verbreiten. Die Rechteinhaber von Hundertwasser haben dagegen in Deutschland geklagt. Man kann von niemandem erwarten, das zu wissen.
tagesschau.de: Das heißt, der Bürger ist überfordert?
Reda: Oft muss ich als Einzelperson die Rechtssysteme verschiedener Länder kennen, um überhaupt feststellen zu können, was für mich erlaubt ist oder nicht. Es gibt zwei Wege damit umzugehen: Entweder ich ignoriere das Urheberrecht und begehe Urheberrechtsverletzungen oder ich werde sehr vorsichtig und höre auch auf, Dinge zu tun, die erlaubt sind. Beides sind keine wünschenswerten Zustände.
Reda: Regeln drastisch vereinfachen
tagesschau.de: Was muss sich ändern?
Reda: Wir müssen die Regeln für das Urheberrecht drastisch vereinfachen, damit normale Leute folgen können. Wir müssen gemeinsame Regeln für das Urheberrecht auf EU-Ebene finden, damit ich mich als Internetnutzer darauf verlassen kann, dass, wenn etwas in meinem Land legal ist, im Nachbarland auch legal ist.
tagesschau.de: Vereinfachen - was heißt das konkret?
Reda: In Deutschland darf ich als Lehrer physische Kopien von einem Werk an meine Schüler verteilen. Ich darf das aber normalerweise nicht digital. In Estland zum Beispiel ist das anders. Das führt dazu, dass es extrem schwierig ist, Bildungskooperationen über Ländergrenzen hinweg zu machen. Gerade im Bereich der Bildung und Forschung ist das aber gewollt. Die Universitäten wollen zum Beispiel Vorlesungsvideos ins Internet stellen. Doch sie sind rechtlichen Unsicherheiten ausgesetzt.
"Geoblocking verbieten"
tagesschau.de: Die Youtube-Meldung "Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar" nervt viele User. Wie kann das sogenannte Geoblocking verbessert werden?
Reda: Wir müssen Geoblocking in der EU verbieten. Wir haben die vier Freiheiten der EU: Das heißt, dass Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital sich in der EU frei bewegen dürfen. Das muss auch für das Internet gelten. Wenn ich im Internet einen Streamingdienst anbiete, ist das eine Dienstleistung. Dann haben alle Menschen in der EU das Recht, auf diese Dienstleistung zugreifen zu dürfen.
tagesschau.de: EU-Kommissar Günther Oettinger stellt die Strategie zum "Digitalen Binnenmarkt" vor. Dabei geht es darum, dass Ländergrenzen auch im Internet kein Hindernis mehr sein sollten. Ein Entwurf des Papiers kursierte bereits vor der offiziellen Veröffentlichung im Netz. Darin heißt es, die EU-Kommission will "ungerechtfertigtes Geoblocking“ beenden und in der ersten Jahreshälfte 2016 Gesetzentwürfe dazu vorlegen. Klingt doch auf den ersten Blick gut, oder?
Reda: In diesem Entwurf steht, dass man legal gekaufte Inhalte auch in anderen Ländern anschauen können soll. Das würde eine Art Roaming für Netflix bedeuten. Denn für einen Video-Streaming-Dienst für Abonnenten wie Netflix hat der Nutzer bezahlt, es handelt sich um einen legal gekauften Inhalt und den kann man der EU-Kommission zufolge auch im Ausland nutzen.
tagesschau.de: Sie sind dennoch nicht zufrieden?
Reda: Der Vorschlag der Kommission ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Er schafft Geoblocking nicht ab. Denn Geoblocking betrifft häufig Inhalte, die ich in meinem Land nicht legal erwerben kann, weil sie gar nicht zum Verkauf stehen. Das betrifft werbefinanzierte Plattformen wie Youtube. Hier kann ich als Nutzer keine Inhalte kaufen. Der traurige Smiley von Youtube ist geradezu ikonisch für das Problem des Geoblockings und den Protest dagegen geworden. Ein anderes Beispiel sind Mediatheken von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Inhalte hier kann ich nicht legal kaufen. Das hat etwa zur Folge, dass die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein keine Möglichkeit hat, legal über das Internet auf die Angebote der dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender zuzugreifen.
Grundsatzproblem: 28 nationale Urheberrechte
tagesschau.de: Wie bewerten Sie sonst das Papier?
Reda: Es enthält einige richtige Punkte, allerdings bleibt es extrem weit hinter dem zurück, was die europäische Kommission ursprünglich angekündigt hat. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat seinen Kommissaren mit auf den Weg gegeben, "nationale Silos im Urheberrecht" einzureißen. Davon ist in diesem Papier kaum etwas übrig geblieben. Da geht es um vorsichtige Reformen. Mit dieser Strategie wagt man sich nicht an das Grundsatzproblem von 28 nationalen Urheberrechten, die miteinander in Konflikt stehen, heran.
Ein weiteres Problem, ist, dass die Kommission mit ihrer digitalen Binnenmarktstrategie ein extrem wirtschaftsorientieres Programm vorlegt und sich überhaupt nicht mit den Problemen der Alltagsnutzung von urheberrechtlich geschützten Werken im Internet befasst. Auch für normale Leute, die im Internet Inhalte teilen wollen, steht da nicht viel. Sie müssten erst ein zweites juristisches Staatsexamen ablegen, um zu verstehen, was sie dürfen und was nicht.
tagesschau.de: Günther Oettinger ist seit dem vergangenen Jahr EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Note geben Sie ihm?
Reda: Ich bin wirklich nicht überzeugt von dem, was er macht. Das einzige, was man ihm zugutehalten kann, ist, dass er zumindest einige zivilgesellschaftliche Akteure angehört hat. Im Vergleich zu Lobbyisten aus der Industrie aber eine kleine Zahl. Ich bin extrem entsetzt von dem Tonfall, mit dem Oettinger sich mit der Netzgemeinde auseinandersetzt. Auf diese Art und Weise kann man keine kompromissorientierte Debatte führen. Das wäre dann als Note eine 5.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.