Hamburg und Berlin klagen Volkszählung vor Verfassungsgericht
Bei der vergangenen Volkszählung wurde die Einwohnerzahl von Berlin und Hamburg nach unten korrigiert - mit gravierenden Folgen: Mehr als fünf Milliarden Euro gehen den Ländern damit durch die Lappen. Deshalb klagen sie jetzt vor dem Verfassungsgericht.
Warum gab es 2011 eine Volkszählung in Deutschland?
Die EU schreibt vor, dass es ab dem Jahr 2011 in den Mitgliedsstaaten alle zehn Jahre eine Volkszählung (Zensus) geben soll. Ermittelt werden unter anderem die Zahlen von Einwohnern, Gebäuden und Wohnungen in Deutschland. Die letzten offiziellen Volkszählungen fanden in der Bundesrepublik im Jahr 1987, in der DDR im Jahr 1981 statt; beide also vor der Wiedervereinigung.
Bestimmte Merkmale für den Zensus hat die EU vorgegeben. Ansonsten hatten die Mitgliedsstaaten aber große Freiheiten bei der Methode, wie sie die Daten erheben. Stichtag für den Zensus 2011 war der 9. Mai 2011. An diesem Tag hatte die Bundesrepublik laut Zensus genau 80.219.695 Einwohner. Im Jahr 2016 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 82,3 Millionen gewesen sein.
Derzeit leben knapp 83 Millionen Menschen in Deutschland.
Was hatte der Zensus für Folgen, etwa für Hamburg und Berlin?
Der Zensus brachte aus Sicht der Betroffenen so manche böse Überraschung mit sich. Die Einwohnerzahl von Berlin wurde zum Beispiel um ca. 180.000 Personen nach unten korrigiert, auf rund 3,3 Millionen. Auch die Einwohnerzahl Hamburgs verringerte sich gegenüber den bisherigen Zahlen um gut 82.800 Personen, auf 1,7 Millionen. Insgesamt legten mehr als 1000 Gemeinden deutschlandweit Widerspruch gegen die Bescheide ein, mit denen die Einwohnerzahl festgelegt wurde.
Die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg klagen nun gegen die gesetzlichen Grundlagen der Volkszählung in Karlsruhe. Es geht ihnen vor allem ums Geld - und das nicht zu knapp. Das Land Berlin verliert wegen der geringeren Einwohnerzahl zum Beispiel jährlich ca. 470 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich. Da der nächste Zensus erst 2021 fällig ist, sind das insgesamt rund 4,7 Milliarden Euro. Auch Hamburg muss finanzielle Einbußen hinnehmen, rund 117 Millionen Euro pro Jahr.
Die Einwohnerzahl ist jedoch nicht nur für die Verteilung von Steuermitteln wichtig, sondern bei den Bundesländern auch für die Anzahl der Stimmen im Bundesrat und für die Einteilung der Bundestagswahlkreise. So hat Hamburg zum Beispiel aufgrund des Zensus-Ergebnisses bei der ersten Verteilung der Gesamtsitze auf die Länder für den aktuellen Deutschen Bundestag einen Sitz verloren.
Nach welcher Methode wurde gezählt?
Zur Volkszählung 1987 wurden noch alle Einwohnerinnen und Einwohner klassisch befragt. Weil heutzutage aber größere Datenbanken zur Verfügung stehen, griff man beim Zensus 2011 vor allem auf die kommunalen Melderegister zurück. Nur knapp zehn Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner wurden befragt.
Doch auch amtliche Register sind nicht fehlerfrei. Menschen können in einer Gemeinde gemeldet sein, ohne dort noch zu wohnen. Oder es wohnen dort Menschen, die vielleicht umgezogen und nicht gemeldet sind. Um diese Fehler zu korrigieren, wurden verschiedene Verfahren angewandt. Die Details sind durchaus etwas für Feinschmecker der Statistik.
Das Bundesverfassungsgericht muss die Methoden der Volkszählung prüfen
Zunächst glich man ab, ob Personen in mehreren Melderegistern auftauchen. Bei vorherigen Tests hatten die Verantwortlichen jedoch bemerkt, dass weitere Überprüfungen nötig sind. Hier kamen dann zwei unterschiedliche Methoden ins Spiel, die abhängig von der Größe der Gemeinde sind:
- Bei Gemeinden ab 10.000 Einwohnern gab es Haushaltsbefragungen auf der Basis von Stichproben. "Karteileichen" und Fehlbestände wurden dann auf die gesamte Gemeinde hochgerechnet.
- Gemeinden unter 10.000 Einwohner (dazu gehören knapp 90 Prozent aller Gemeinden) hingegen korrigierten Fehler mit Hilfe von gezielten "Befragungen zur Klärung von Unstimmigkeiten".
Was kritisieren die Länder Berlin und Hamburg?
Die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg bemängeln, dass die angewandten Methoden keine präzise Ermittlung dieser so wichtigen Daten sicherstelle. Große und kleine Gemeinden würden zudem unterschiedlich behandelt, die größeren Gemeinden und die Stadtstaaten würden dadurch benachteiligt.
Was prüft das Bundesverfassungsgericht?
Klar ist: Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats werden sich nicht zum obersten Zählmeister der Republik aufschwingen und die genaue Einwohnerzahl selbst festlegen. Das ist nicht ihr Job. "Iudex non calculat" ("Ein Richter rechnet nicht") heißt es in der Juristerei immer wieder augenzwinkernd. Aber hinter den Zahlen stecken natürlich auch Rechtsfragen, vor allem, wenn es um die Methoden geht.
Das Grundgesetz verleiht Bundesländern und Kommunen starke Rechte. In der Verhandlungsgliederung des Verfassungsgerichts findet sich zum Beispiel das Gebot "föderaler und interkommunaler Gleichbehandlung". Das wird sicher eine große Rolle spielen, wenn es um die unterschiedlichen Methoden je nach Gemeindegröße geht. Bei der mündlichen Verhandlung, die zu Beginn ansteht, werden zunächst die Argumente im Gerichtssaal ausgetauscht. Ein Urteil kommt dann erst in einigen Monaten.
Gab es nicht schon mal ein wichtiges Urteil in Sachen Volkszählung?
Ja, und zwar am 15. Dezember 1983. Damals hatten sich viele Bürger gegen die geplante Volkszählung gewehrt, die dann wegen dieses Richterspruchs erst 1987 stattfand. Das "Volkszählungsurteil" aus Karlsruhe gilt als Meilenstein in Sachen Datenschutz. Damals hat Karlsruhe ein Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung" entwickelt, einfacher gesagt ein "Grundrecht auf Datenschutz". Auf dieser Basis hat es dann zahlreiche weitere Urteile gegeben. Im aktuellen Verfahren zum Zensus 2011 steht allerdings nicht der Datenschutz im Mittelpunkt, sondern die Methoden, mit denen die Daten ermittelt wurden.