Analyse zu Sachsen Wovon die AfD profitierte
Dass die CDU in Sachsen mit einem blauen Auge davongekommen ist, hat viel mit ihrem Spitzenkandidaten zu tun. Und der Erfolg der AfD? Da spielen eine Reihe von Gründen eine Rolle. Eine Analyse auf Basis der Umfragen von infratest dimap.
Die AfD nur knapp hinter der CDU, eine SPD, bei der Sorgen um die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr ganz abwegig sind - das Wahlergebnis in Sachsen ist ein besonderes und doch bestätigt es im Grundsatz einen Trend, der sich auch in anderen Bundesländern und im Bund abzeichnet: Union und SPD - die langjährigen "Volksparteien" - verlieren, Grüne und AfD gewinnen hinzu und bilden quasi die beiden entgegengesetzten Pole einer sich zunehmend spaltenden Gesellschaft.
Welche Rolle spielen bundesweite Trends und was sind sächsische Besonderheiten? Ein Blick auf die Umfragen, die infratest dimap im Auftrag der ARD am Wahltag und in den Tagen unmittelbar davor durchgeführt hat, liefert hier viele interessante Erkenntnisse.
Kretschmer rettet die CDU
Zunächst zur CDU, die in Sachsen bislang quasi ein Abo auf den Posten des Ministerpräsidenten hatte. Sie hat zwar massiv verloren, bei weitem aber nicht so stark, wie noch im Juli vermutet. Damals lag sie im SachsenTrend gleichauf mit der AfD. Zu verdanken hat die CDU das offenbar in erster Linie ihrem Spitzenkandidaten, Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Bürgernah und kompetent
Er war in den Wochen vor der Wahl unermüdlich durchs Land getourt und suchte dabei gezielt auch den direkten Kontakt zu den Wählern. Das kam an: 76 Prozent der Sachsen halten ihn für bürgernah, 72 Prozent für kompetent und 68 Prozent sagen, er interessiere sich mehr als andere Politiker für das, was der Bürger denkt.
Und bei der Frage, ob er allgemein gute Arbeit macht, hat Kretschmer gerade kurz vor der Wahl nochmal deutlich zugelegt. So wundert es auch nicht, dass Kretschmer für 35 Prozent der CDU-Wähler der Grund war, die Partei zu wählen - ein absoluter Spitzenwert. Bei allen anderen sächsischen Parteien spielten langfristige Parteibindungen oder Sachfragen eine weitaus größere Rolle als der Spitzenkandidat.
Viel versprochen, zu wenig gehalten
Auch im Vergleich mit Amtskollegen aus anderen Bundesländern kommt Kretschmer gut an - und das übrigens nicht nur bei Anhängern der eigenen Partei. Die CDU selbst wird hingegen eher gemischt bewertet. Zwar sagen 67 Prozent der Sachsen, sie habe das Land nach vorne gebracht. 57 Prozent sind aber auch der Ansicht, sie kümmere sich zu wenig um die Interessen der Ostdeutschen.
Und deutlich ist der Gegenwind, der für die Sachsen-CDU aus dem Bund kommt. Drei Viertel der Sachsen sagen, die CDU habe in der Bundesregierung viel versprochen, davon komme aber nur wenig bei den Menschen an. Selbst von den CDU-Wählern sagt das noch jeder zweite.
SPD verliert Kompetenzen - selbst in Kernbereichen
Für die SPD - bisher Koalitionspartner der CDU - ist Sachsen schon lange ein schwieriges Pflaster. Doch die aktuellen Verluste gehen an die Substanz. Dass auch ihr Spitzenkandidat Martin Dulig persönlich relativ gute Noten von den Wählern bekommt, hilft ihr nicht. Das liegt zum einen daran, dass die SPD bei der Frage der Kompetenzen im Vergleich zur Wahl 2014 praktisch überall verloren hat - selbst in ihren Kernbereichen:
Nur noch 23 Prozent (-8 Punkte) halten sie für die Partei der sozialen Gerechtigkeit - ein Wert, der deutlich unter dem der Bundes-SPD oder der SPD im Nachbarland Brandenburg liegt. Für SPD-Anhänger ist soziale Gerechtigkeit an sich der wichtigste Grund für ihre Wahlentscheidung. Doch viele Sachsen sprechen der Linkspartei hier inzwischen höhere Kompetenz zu.
Wofür steht die SPD?
Zum anderen haben die Sozialdemokraten in Sachsen mit demselben Problem zu kämpfen, wie ihre Genossen im Bund oder in anderen Bundesländern: Viele Wähler wissen schlicht nicht mehr, wofür die Partei steht. 69 Prozent der Sachsen sehen das so - und ebenso viele sagen, die SPD habe in der Landesregierung nichts durchgesetzt, was ihnen aufgefallen wäre. Nimmt man dann noch den enormen Gegenwind aus der Bundespolitik hinzu, erklärt sich, warum die SPD in Sachsen aktuell nur noch den Status einer "Klein-Partei" hat.
Thema Zuwanderung nur noch für AfD-Wähler wichtig
Ganz anders die Lage bei der AfD. In Sachsen gibt es inzwischen klare Anzeichen dafür, dass sie das geworden ist, was sie ihren Gegnern oft etwas abfällig vorgehalten hatte: eine "etablierte" Partei. Lange Zeit wurde sie ganz überwiegend entweder aus Protest gegen andere Parteien gewählt, oder wegen des Themas, auf das sie sich fokussiert hat: Ihrer harten Haltung gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Das hat sich langsam gewandelt.
AfD-Wähler haben Angst vor vielem
Inzwischen werden der AfD von vielen Sachsen auch auf anderen Politikfeldern Kompetenzen eingeräumt - etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung oder der Vertretung ostdeutscher Interessen. Das Thema Zuwanderung spielt übrigens - außer für AfD-Anhänger - bei der aktuellen Wahl praktisch keine Rolle mehr.
Weiter auffällig: Die AfD ist die Partei der "Besorgten": Ihre Anhänger haben in besonders großem Maß Angst vor einem wachsenden Einfluss des Islam, einer Zunahme der Kriminalität und ganz allgemein davor, dass sich ihr Leben verändern könnte. Das hat auch viel damit zu tun, wo die AfD-Anhänger überwiegend wohnen. Überproportional gut schneidet die rechtspopulistische Partei in Wahlkreisen ab, in denen die Bevölkerungszahl abnimmt.
Kein rein ostdeutsches Phänomen
Tatsächlich haben die Veränderungen dort in der Praxis auch oft negative Folgen: Schulen oder Arztpraxen schließen, der Bus fährt seltener. In stark schrumpfenden Wahlkreisen in Sachsen sagen mit 16 Prozent doppelt so viele Menschen als in wachsenden Wahlkreisen, die Lage bei ihnen habe sich verschlechtert. Die wachsenden Wahlkreise liegen in Sachsen praktisch alle in und um Leipzig und Dresden, die beiden boomenden Halbmillionenstädte des Freistaats.
Dass die AfD davon profitiert, ist allerdings kein ostdeutsches Phänomen. So schnitt die AfD zum Beispiel bei der Europawahl in der schrumpfenden Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen rund vier mal so stark ab, wie im wenige Kilometer entfernten Münster, einer boomenden Universitätsstadt. Der Unterschied: In Westdeutschland gibt es nur relativ weniger schrumpfende Wahlkreise, im Osten - und gerade auch in Sachsen - sind es hingegen eine ganze Reihe.
Problem mit mangelnder Abgrenzung nach rechts
Auch in Sachsen wird durchaus wahrgenommen, dass die AfD ein Problem damit hat, sich von rechtsextremen Positionen abzugrenzen. Drei Viertel aller Sachsen sehen dieses Problem - und selbst jeder zweite AfD-Wähler tut es. Trotzdem wünschen sich immerhin 34 Prozent der Sachsen, dass die AfD an der künftigen Regierung beteiligt ist, 16 Prozent sogar, dass sie diese anführt.
Vertreter des Ostens: Linkspartei bekommt Konkurrenz
Den Gegenpol zur AfD bilden auch in Sachsen die Grünen. Auch sie haben hinzugewonnen - allerdings weniger, als viele vermutet hatten. Das mag daran liegen, dass es ihnen in Sachsen weniger gut als etwa 2018 in Bayern gelungen ist, neue Wählergruppen zu erreichen. In Bayern konnten sie auch auf dem Land viele neue Wähler gewinnen. In Sachsen sind sie ganz klar eine Partei, die vor allem von Menschen mit hohem Bildungsabschluss in großen Städten gewählt wird. Und auch bei den Kompetenzen werden die Grünen in Sachsen weiterhin vor allem mit einem Thema assoziiert: Dem Umweltschutz - das allerdings sehr deutlich.
Und die Linkspartei? Warum verliert sie von allen Parteien in Sachsen am stärksten? Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sie in gleich zwei Rollen, die ihr bisher zugeschrieben wurden, zunehmend Konkurrenz bekommt: Als Sammelbecken für Unzufriedene fungiert immer mehr die AfD. Und als Vertreter der Interessen Ostdeutscher bekommt die Linkspartei Konkurrenz von mehreren Seiten. Selbst der CDU werden hier ähnlich hohe Kompetenzwerte eingeräumt wie der Linken.