Politologe Langguth zur Wahl in MV Neuer Tiefschlag für Schwarz-Gelb im Bund
Der Nordosten hat gewählt - mit einer so schwachen Beteiligung wie noch nie. Im Interview mit tagesschau.de erklärt der Publizist und Politologe Gerd Langguth die wachsende Distanz zwischen Politik und Bürgern, warum SPD und Grüne jubeln, während CDU und FDP Stimmen verloren - und den Erfolg der NPD.
tagesschau.de: Die Wahlbeteiligung hat mit nicht einmal 52 Prozent einen neuen Tiefstand erreicht, obwohl die Menschen mit der Politik in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich ganz zufrieden sind. Woran liegt das?
Gerd Langguth: Landtagswahlen werden von den Wählern generell als nicht so bedeutend wie Bundestagswahlen eingestuft. Bei der Wahlbeteiligung spielt deshalb die Bundespolitik eine große Rolle. Und da muss man einfach sagen, dass viele Wähler nicht besonders angetan sind von der Politik, wie sie derzeit in Berlin gemacht wird. Es gibt eine beträchtliche und besorgniserregende Unzufriedenheit.
tagesschau.de: Wie sehr beeinflusste die Bundespolitik das Wahlergebnis?
Langguth: Die Bundespolitik spielte eine immens große Rolle, auch die Sorge um den Euro. Landtagswahlen werden immer gerne dazu genutzt, der jeweiligen Regierung im Bund einen Denkzettel zu verpassen. Aber in diesem Fall kommt verschärfend hinzu, dass die Performance der Bundesregierung miserabel ist - insbesondere die der FDP.
tagesschau.de: Die FDP ist nicht mehr im Landtag vertreten, sie ist auf ein Drittel geschrumpft. Wie sehr schwächt das die neue Parteiführung in Berlin?
Langguth: Das Ergebnis schwächt die Parteiführung immens, weil keine Umkehr des Trends in Sicht ist. In vier von sechs Landtagswahlen ist die FDP aus dem Parlament herausgeflogen. Und sie muss neue Schlappen befürchten.
tagesschau.de: Liegt das an Ex-Parteichef und Außenminister Guido Westerwelle und seinem Nachfolger Philipp Rösler oder an den Themen?
Langguth: Die FDP hat keine überzeugenden Themen, die die Menschen mitreißen. Nach wie vor steht sie nur für das Thema Steuererleichterungen. Und das zieht bei der deutschen Bevölkerung nicht. Auch personell überzeugt die Partei nicht. Der neue Parteichef Rösler ist bislang blass geblieben und Außenminister Westerwelle ist eher ein Klotz am Bein der FDP.
tagesschau.de: Muss er zurücktreten?
Langguth: Ich habe schon vor der FDP-Klausur gesagt, dass Westerwelle seiner Partei mit einem Rücktritt einen großen Dienst erweisen würde.
"Union muss jetzt in sich gehen"
tagesschau.de: Auch die CDU hat erneut verloren. Der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagt, dies habe keine bundespolitischen Gründe. Aber drückt sich hier nicht doch eine Unzufriedenheit mit der Kanzlerin und ihrer Regierung aus?
Langguth: Auch das - obwohl ja die Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern kommt. Das Ergebnis hat wohl mehr damit zu tun, dass die CDU als Partei insgesamt, also auch im Land selbst, keine überzeugende Rolle gespielt hat. Die Union muss jetzt in sich gehen und nach Wegen für einen Neuanfang suchen.
tagesschau.de: Wie könnte der denn aussehen?
Langguth: Die Union muss wieder eine verlässliche, werteorientierte Politik machen.
tagesschau: Haben Altkanzler Helmut Kohl und Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel also recht, wenn sie die CDU als Partei ohne Profil beschreiben?
Langguth: Ja, sie haben recht. Andererseits hat sich die CDU auf diese Weise den Wechselwählern geöffnet und neue Wählerschichten für sich gewinnen können. Wenn die CDU nur auf ihre Stammwähler setzen würde, wäre sie mittlerweile eine 20-Prozent-Partei.
"SPD-Sieg dank Sellering"
tagesschau.de: SPD-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Erwin Sellering ist im Land ausgesprochen beliebt und hat noch mal stark zugelegt. Warum profitiert die Partei nicht noch stärker von der Schwäche der CDU?
Langguth: Die SPD gilt bei vielen Wählern längst nicht mehr als Alternative zur CDU, sie ist selbst in einer äußerst schwachen Situation. Dass sie in Mecklenburg-Vorpommern gewonnen hat, liegt an der großen Beliebtheit Sellerings, dem eine hohe Wirtschaftskompetenz zugesprochen wird.
tagesschau.de: Die Grünen haben sich in den neuen Bundesländern und besonders in Mecklenburg-Vorpommern lange schwer getan. Zum ersten Mal ziehen sie in den Schweriner Landtag ein und sind jetzt in allen 16 Parlamenten vertreten. Sind die Grünen im Osten angekommen?
Langguth: Die Grünen haben im Osten Fuß gefasst. Aber man muss sagen, sie haben in Mecklenburg Vorpommern kein wirkliches Jubelergebnis eingefahren, wenn man bedenkt, dass sie im Bund bei 20 Prozent liegen und in Baden-Württemberg sogar den Regierungschef stellen …
tagesschau.de: … immerhin haben sie in Mecklenburg-Vorpommern ihre Stimmen fast verdreifacht.
Langguth: Wir haben in der Tat eine grüne Welle in Deutschland. Die Grünen gelten als besonders glaubwürdig und zukunftsgewandt. Die Grünen werden als werteorientiert wahrgenommen - und das ist es ja gerade, wo andere Parteien Defizite haben.
"NPD-Wahlerfolg wegen Demokratiedefiziten"
tagesschau.de: Die NPD ist wieder im Schweriner Landtag. Was sind die Ursachen?
Langguth: Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern viele sehr strukturschwache Gebiete. Und überall dort hat die NPD ihre Zellen besonders stark ausbauen können. Gerade in Regionen mit großen Strukturproblemen ist die Partei höchst aktiv und erfolgreich.
tagesschau.de: Gilt das nur für Mecklenburg-Vorpommern?
Langguth: Die NPD ist auch in anderen ostdeutschen Bundesländern relativ stark vertreten, während sie im Westen in keinem Landesparlament mehr sitzt. Eine Ursache dafür ist möglicherweise, dass die Demokratie im Osten noch nicht ganz verinnerlicht wurde. Es gibt in den neuen Bundesländern noch immer viele Demokratiedefizite. Das zeigt der Wahlerfolg der NPD.
tagesschau.de: Sehen wir nach vorne zu den nächsten Landtagswahlen. Wird sich der heutige Trend fortsetzen?
Langguth: Was wir jetzt in Mecklenburg-Vorpommern erlebt haben, wird sich sicher als Trend fortsetzen. In Berlin wird die CDU nicht aus dem Tal herauskommen und die FDP wird erneut abgestraft. Die nächsten Landtagswahlen werden für die Koalitionsparteien neue Tränen mit sich bringen.
Die Fragen stellte Simone von Stosch, tagesschau.de