Wissing zu Fahrverboten "Das Klimaschutzgesetz ist das Problem"
Auch das Umweltbundesamt widerspricht, doch Verkehrsminister Wissing bleibt dabei: Nur mit "rabiaten Maßnahmen" wie Fahrverboten sei das aktuelle Klimagesetz einzuhalten, sagte er den tagesthemen. Ein Tempolimit bringe zu wenig.
Verkehrsminister Volker Wissing hat in den tagesthemen seine Androhung von Fahrverboten verteidigt. Die Klimaziele, die im Klimaschutzgesetz von 2019 festgeschrieben wurden, seien im Verkehrssektor nicht anders als mit "rabiaten Maßnahmen" zu erreichen.
Vermeiden lasse sich das nur, wenn das aktuelle Klimaschutzgesetz, das von CDU, CSU und SPD zu Zeiten der Großen Koalition verabschiedet wurde, geändert und damit der Verkehr aus der Pflicht entlassen werde, mehr CO2 einzusparen. "Diese Idee der Sektorbetrachtung ist einfach nicht gut, weil sie zu Belastungen für die Bevölkerung führt. Ohne Grund. Deswegen ist das Gesetz das Problem." Die Fokussierung auf einzelne Bereiche, die das Klimaschutzgesetz in seiner jetzigen Form vorsehe, "die ist falsch und die muss geändert werden".
In dem Gesetz sind die Klimaschutzziele Deutschlands verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachsteuern. Im vergangenen Jahr verfehlten der Verkehrs- sowie der Gebäudesektor die zulässige Jahresemissionsmenge. Nach geltender Rechtslage muss das Verkehrsressort nun mit Maßnahmen reagieren, um die Emissionen zu senken.
Kritik an den Grünen
Die aktuelle Regelung, derzufolge sein Ministerium CO2 einsparen muss, obwohl ressortübergreifend die Klimavorgaben erfüllt werden, sei den Menschen nicht zu vermitteln, kritisierte Wissing: "Wir müssen einfach den Bürgern jetzt klar sagen: Wenn die Grünen sich nicht bewegen und dieses Gesetz bleibt, werden sie mit Einschränkungen rechnen müssen. Obwohl die Klimaschutzziele eingehalten werden. Und das finde ich, ist nicht erklärbar."
Wissing betonte, dass sich das Kabinett bereits vor neun Monaten darauf geeinigt habe, die Sektorenziele zu kippen. Dennoch habe der Bundestag noch nicht darüber abgestimmt. Das habe Konsequenzen, "und davor warne ich in aller Deutlichkeit".
Auf die Frage, warum er in seinem Ressort in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr zur Senkung der CO2-Emissionen getan habe, erklärte der FDP-Mann, es habe sich bereits sehr viel getan - etwa im Schienenverkehr: Hier gebe es das "Deutschlandticket, die hohen Investitionen in die Bahn". Mit Blick auf den Automobilsektor, der für den allergrößten Teil der Emissionen verantwortlich ist, sagte Wissing: "Wir haben in Deutschland 45 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Und die Bürgerinnen und Bürger können sich ja nicht von einem Jahr aufs andere ein neues Auto kaufen. Außerdem sind die klimaneutralen Fahrzeuge gar nicht verfügbar." Daher seien hier kurzfristige Anpassungen "einfach nicht möglich".
Diskussion über Tempolimit als "Ablenkung"
Eine Maßnahme, die sofort die Emissionen senken würde und für das sich eine Mehrheit ausspricht, will der Minister jedoch weiterhin nicht angehen: ein Tempolimit. "Das ist keine Lösung, nicht ansatzweise", so Wissing. Um die Ziele für den Verkehrssektor einzuhalten, müssen 22 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes würde ein Tempolimit rund sieben Millionen Tonnen Einsparungen bringen, und das binnen kürzester Zeit und ohne größere Investitionen.
Wissing lehnt die Idee dennoch ab: "Dann hätten sie die Situation, dass sie quasi den Rest nicht mit zwei Tagen Fahrverbot, sondern mit eineinhalb Tagen Fahrverbot erreichen müssen." Er sei "nicht mehr bereit, mit irgendwelchen Diskussionen über das Tempolimit die Bürgerinnen und Bürger davon abzulenken, wo die tatsächliche Problematik liegt, nämlich in der Sektorbetrachtung des Klimaschutzgesetzes".
Kritik von Experten
Experten halten die Androhung eines Fahrverbots indes für übertrieben und überflüssig. So widersprach das Umweltbundesamt deutlich. "Wir brauchen natürlich keine Fahrverbote", sagte der Chef der Behörde, Dirk Messner, dem Spiegel. "Solche Verbote werden auch nicht ernsthaft diskutiert und verängstigen die Menschen ohne Grund".
Die Bundesregierung müsse zwar in der Tat schnell handeln, damit der Verkehrssektor die Klimaziele einhalte, sagte Messner weiter. "Das bedeutet aber nicht automatisch, dass plötzlich Fahrverbote drohen, wenn wir Klimaschutz im Verkehrssektor ernst nehmen."
Das Interview mit Wissing für die tagesthemen am Freitag wurde am frühen Abend aufgezeichnet und wird im Fernsehen leicht gekürzt ausgestrahlt.