Interview

Interview zur ''Qualifizierungsinitiative'' ''Der große Wurf ist das nicht''

Stand: 09.01.2008 11:33 Uhr

Sieben Punkte umfasst die "nationale Qualifizierungsinitiative", die das Kabinett beschlossen hat. Bildungsökonom Wößmann zeigt sich im tagesschau.de-Interview skeptisch: Die Initiative werde wenig ändern und "unser Bildungssystem nicht umfassend zukunftsfähig machen".

Sieben Punkte umfasst die "nationale Qualifizierungs- initiative", die das Bundeskabinett beschlossen hat. Die Pläne reichen von der frühkindlichen Erziehung über einen "Ausbildungsbonus" für Betriebe bis zum lebenslangen Lernen. Was aber bringt das millionenschwere Maßnahmenbündel? tagesschau.de sprach darüber mit dem Bildungsökonomen Ludger Wößmann vom Münchener ifo-Institut.

tagesschau.de: Herr Wößmann, wie beurteilen Sie die "Qualifizierungsinitiative", die die Bildungsministerin heute vorstellen will?

Ludger Wößmann: Der große Wurf ist das nicht. Als Bündel ist es zwar ein gutes Konzept. Aber zum einen werden all die Bereiche, in denen Länder die Hoheit über die Bildung haben - und das ist der Hauptteil - komplett ausgespart, vor allem die Schulen und zum großen Teil auch die Universitäten. Zum anderen ist in den meisten Bereichen nicht klar erkennbar, wo überhaupt ein großer Schritt geplant ist. Da gibt es vor allem viele warme Worte.

tagesschau.de: Wo finden Sie nur "warme Worte"?

Wößmann: Es sollen mehr junge Frauen für die naturwissenschaftlichen Fächer und Technik gewonnen werden, heißt es. Was steckt dahinter? Das Ziel ist durchaus sinnvoll. Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, sehe ich aber nicht die Maßnahmen, die das wirklich erreichen könnten. Dasselbe gilt für das "Freiwillige Technische Jahr", das eingeführt werden soll. In den Zeiten des Facharbeitermangels ist es sehr begrüßenswert, junge Menschen mehr für Technik und Naturwissenschaften begeistern zu wollen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass die Einführung eines Freiwilligen Technischen Jahres von genügend jungen Leuten in Anspruch genommen werden wird und dann zu wesentlichen Veränderungen führt. Dass auf diese Weise 10 bis 20 Prozent eines Jahrgangs zusätzlich in technische Berufe kommen - das ist völlig unrealistisch.

tagesschau.de: In Sachen Weiterbildung aber wird es konkreter: Ein "Innovationskreis" hat Vorschläge erarbeitet, eine halbe Milliarde Euro will das Bildungsministerium bis zum Jahr 2015 investieren.

Wößmann: Die Forderung, dass deutlicher werden muss, wie wichtig lebenslanges Lernen in der heutigen Zeit ist, ist absolut richtig. Aber es soll ja darum gehen, regional abgestimmte Weiterbildungsangebote auszubauen - das ist wenig konkret und sieht mehr nach Klein-Klein als nach großen Schritten aus.

Zur Person
Ludger Wößmann ist seit 2006 Professor für Bildungsökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet den Bereich Humankapital und Innovation am Münchener ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Der Volkswirtschaftler hat sich, noch vor den "Pisa"-Studien, als einer der ersten deutschen Ökonomen auf internationale Querschnittvergleiche von Bildungssystemen und Schülerleistungen spezialisiert. Im vergangenen Jahr erschien Wößmanns Buch "Letzte Chance für gute Schulen - die 12 großen Irrtümer und was wir wirklich ändern müssen".

tagesschau.de: Welche Punkte bewerten Sie positiv?

Wößmann: Die Bereiche, die klar formuliert sind und wo es dann auch handfeste Maßnahmen geben soll. Die Prämie für Betriebe zum Beispiel, die Ausbildungsplätze für Altbewerber anbieten: Das könnte tatsächlich dazu führen, dass etliche Jugendliche, die lange nicht zum Zuge gekommen sind, eine echte Chance bekommen. Mittel zur Fortbildung der Erzieherinnen im frühkindlichen Bereich sind sehr willkommen, wenn dadurch aus den Betreuungseinrichtungen Stätten des frühen spielerischen Lernens werden. Auch jungen Erwachsenen, die kein Abitur, aber eine sehr gut abgeschlossene Berufsausbildung haben, ein Studium mithilfe eines Aufstiegsstipendiums zu ermöglichen, ist eine gute Idee. Das beeinflusst allerdings noch nicht, wie viele Jugendliche überhaupt die Berechtigung erzielen, eine Hochschule zu besuchen. Das liegt in den Händen der Landespolitik.

"Da kriege ich richtig Bauchschmerzen"

tagesschau.de: Die Zentrale Studienvergabestelle (ZVS) soll zu einer "Serviceagentur umgestaltet werden, um mehr Transparenz über das Studienangebot herzustellen", heißt es weiter.

Wößmann: Da kriege ich richtig Bauchschmerzen. Die meisten anderen Ankündigungen sind wenigstens "nur" warme Worte, die nichts kaputt machen. Eigentlich hätten viele eher erwartet, dass die ZVS abgeschafft wird, denn durch die Studiengebühren und gesonderte Auswahlverfahren liegt mittlerweile ein großer Teil der Bürokratie bei den Unis selbst. Aber die Abschaffung der ZVS wäre wohl utopisch: Im öffentlichen Bereich werden Institutionen eben nicht abgeschafft, sondern bekommen neue Aufgaben.

tagesschau: Also lautet Ihr Urteil: Frau Schavan, setzen, fünf?

Wößmann: Nein. Frau Schavan versucht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Aber die Bereiche, in denen tatsächlich viel geschehen müsste, fallen nach der Föderalismusreform noch weniger in den Bereich der Bundesbildungsministerin. Das ist eben Ländersache. Wenn in Deutschland mit einer Qualifizierungsinitiative ein wirklich großer Wurf gelingen soll, müsste man alle Kultusminister dazu kriegen, sich an einen Tisch zu setzen und auf wirkliche Veränderungen zu einigen. Möglichst zusammen mit Frau Schavan. Das wird wahrscheinlich nie geschehen.

tagesschau.de: Was ist also von der Qualifizierungsinitiative zu erwarten?

Wößmann: Sie wird in Teilbereichen etwas ändern, unser Bildungssystem aber nicht umfassend zukunftsfähig machen. Die Regierung will damit unter anderem erreichen, 40 Prozent eines Jahrgangs für ein Studium zu gewinnen. Derzeit sind es 36,6 Prozent. Das ist, als würde ein Fußballverein, der in der Bundesligatabelle Platz 9 belegt, als großes Ziel für die kommende Saison Platz 8 anpeilen.

Die Fragen stellte Nicole Diekmann, tagesschau.de.