FAQ zum Ermittlungsverfahren Wie geht es in Sachen Wulff weiter?
Ex-Bundespräsident Wulff hat das Angebot der Staatsanwaltschaft ausgeschlagen, gegen eine Geldauflage einer Anklage wegen Bestechlichkeit zu entgehen. Er muss mit einem Prozess rechnen. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet die wichtigsten Fragen zum Ermittlungs- und zum möglichen Gerichtsverfahren.
Was wird Wulff und Groenewold vorgeworfen?
Von zahlreichen Vorwürfen ist aus strafrechtlicher Sicht vor allem einer übrig geblieben: Filmproduzent David Groenewold soll eine Hotelrechnung von Wulff in München über eine Summe zwischen 400 und 770 Euro übernommen haben. Im Gegenzug soll sich Wulff bei Siemens-Chef Peter Löscher für die finanzielle Förderung eines Groenewold-Filmprojekts eingesetzt haben. Wulff und Groenewold beteuern ihre Unschuld. Der ehemalige Bundespräsident bestreitet, von der Zahlung Groenewolds gewusst zu haben.
Um welche Delikte geht es?
Die Staatsanwaltschaft wertet dies juristisch bei Wulff als "Bestechlichkeit" (§332 Strafgesetzbuch), bei Groenewold - quasi spiegelbildlich - als "Bestechung" (§334 Strafgesetzbuch). "Bestechlichkeit" bedeutet, Geld als Gegenleistung für eine bestimmte, pflichtwidrige Amtshandlung anzunehmen. Ursprünglich hatte der Vorwurf "Vorteilsannahme" gelautet. Dafür reicht eine Zahlung an einen Amtsträger zur "allgemeinen Klimapflege". "Bestechlichkeit" ist also eine Stufe schärfer. Noch im März 2013 hatten die Staatsanwälte ihren Vorwurf rechtlich verschärft.
Welche Möglichkeiten haben Staatsanwälte, ein Ermittlungsverfahren zu beenden?
Die zwei klassischen Möglichkeiten sind: Entweder das Verfahren einstellen, weil der Tatverdacht sich nicht bestätigt hat, der dann aus der Welt geräumt ist. Oder Anklage bei Gericht erheben, weil es aus Sicht der Staatsanwälte einen "hinreichenden Tatverdacht" gibt. Dann kann es zu einem Prozess kommen, in dem die Schuldfrage endgültig geklärt wird.
Was bedeutet das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen?
Das Gesetz ermöglicht noch eine Art "Mittelweg": die Einstellung der Verfahrens gegen Zahlung einer "Geldauflage" nach §153a Strafprozessordnung (der Begriff "Geldbuße" ist hier übrigens nicht korrekt). Voraussetzung ist unter anderem, dass der Beschuldigte sowie das zuständige Gericht zustimmen, und dass "die Schwere der Schuld nicht entgegensteht". Aus Sicht der Staatsanwaltschaft muss für das vorgeworfene Delikt ein hinreichender Tatverdacht bestehen. Eine Einstellung nach §153a Strafprozessordnung ist also kein "Freispruch" im klassischen Sinne. Andererseits hat kein Gericht den Beschuldigten rechtskräftig verurteilt. Deshalb gilt er nach der Einstellung, wie im gesamten Verfahren, weiter als unschuldig.
Was ist der Unterschied zum "Deal", über den das Bundesverfassungsgericht entschieden hat?
Im Fall Wulff wurde in den vergangenen Tagen häufig von einem "Deal" gesprochen. Umgangssprachlich kann man das so nennen. Im Strafrecht bezeichnet man mit "Deal" aber üblicherweise eine Absprache in einem laufenden Strafprozess vor Gericht. Das Prinzip lautet: Geständnis gegen mildere Strafe. Am Ende kommt es dann zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Karlsruhe hatte die Justiz aufgefordert, die strengen Voraussetzungen zu beachten und solche "Deals" nicht im Hinterzimmer abzuschließen. Weil es im Fall Wulff noch gar keine Hauptverhandlung gibt, kommt ein "Deal" im klassischen Sinne hier noch nicht in Frage.
Kommen solche Einstellungen gegen Geldauflage häufig vor?
Ja, sie gehören zum Justizalltag in Deutschland. §153a wurde 1974 geschaffen - ursprünglich, um kleinere Fälle ohne den großen Aufwand eines Prozesses zu erledigen. Inzwischen kommen immer wieder auch Prominente auf diese Weise um einen Prozess herum, zum Beispiel Helmut Kohl, Josef Ackermann oder Karl-Theodor zu Guttenberg nach seiner Plagiatsaffäre. Häufig gibt es dann Kritik an der vermeintlichen Möglichkeit, sich "freizukaufen". Andererseits sind auch die Beschuldigten oft in einer schwierigen Situation. Bevor sie einen langen Prozess riskieren, zahlen viele lieber - auch wenn sie damit zumindest auf die Möglichkeit eines "richtigen" Freispruchs verzichten.
Was war am Angebot der Staatsanwaltschaft an Wulff bemerkenswert?
Im Angebot fiel die Formulierung, Wulff könne das Interesse an der Strafverfolgung durch "Übernahme strafrechtlicher Verantwortung" beseitigen. Das konnte man so deuten, dass ein Schuldeingeständnis verlangt wird. Die Zustimmung zur Einstellung darf rechtlich aber gerade nicht als Geständnis gewertet werden, deswegen gab es Kritik an der eher ungewöhnlichen Wortwahl. Nach Medienberichten soll die Staatsanwaltschaft klargestellt haben, dass dies nicht im Sinne eines Geständnisses gemeint gewesen sei. Der Punkt bleibt wohl strittig.
Was passiert nach Ablehnung des Angebots nun als nächstes?
Die Staatsanwaltschaft wird nun ziemlich sicher beim Landgericht Hannover Anklage erheben. Sie geht anhand ihrer Beweismittel von einem "hinreichenden Tatverdacht" aus. Die Verteidigung hatte vor einigen Tagen ja noch einen neuen Zeugen genannt, der Wulff entlasten könnte. Das scheint die Staatsanwälte aber nicht von ihrer Position abgebracht zu haben.
Kommt es dann automatisch zu einem Prozess im Gerichtssaal?
Nein. Es gibt noch einen Zwischenschritt: Das Gericht prüft zunächst im sogenannten "Zwischenverfahren", ob aus seiner Sicht nach Aktenlage ebenfalls ein "hinreichender Tatverdacht" besteht. Bejaht das Gericht dies, nachdem der Betroffene Stellung nehmen konnte, lässt es die Anklage zu. Es kommt zum Prozess im Gerichtssaal. Dort müsste man den beiden Angeklagten ihre Schuld nachweisen (sie müssen nicht umgekehrt ihre Unschuld beweisen, das ist ein wichtiger Unterschied). Sieht das Gericht die Beweislage schon im "Zwischenverfahren" anders als die Staatsanwaltschaft, lehnt es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Dann käme es gar nicht erst zum Prozess, und der Verdacht wäre ausgeräumt.
Was bleibt der rechtliche Hauptstreitpunkt?
In vielen Berichten heißt es, die Beweislage gegen Wulff und Groenewold sei sehr dünn. Vor allem die Situation beim Bezahlen der Hotelrechnung in München scheint schwer aufklärbar zu sein. Dass Groenewold Zahlungen für Wulff übernommen hat, ist rein objektiv betrachtet unstrittig. Der Streit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung dreht sich um die subjektive Seite: Gab es eine "Unrechtsvereinbarung" zwischen Wulff und Groenewold, und wusste Wulff von den Zahlungen? Auch solche subjektiven Dinge müssen vor Gericht bewiesen werden. Da kein Richter oder Staatsanwalt in den Kopf der Angeklagten schauen kann, wird die subjektive Seite regelmäßig anhand von Indizien hergeleitet. Das sind am Ende schwierige Wertungsfragen. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage, weil zumindest sie einen hinreichenden Tatverdacht sieht.
Wie könnte ein Prozess ausgehen?
Die Nichteröffnung des Hauptverfahrens oder ein späterer Freispruch sind wegen der schwierigen Beweislage durchaus möglich. Dann wäre Wulff strafrechtlich rehabilitiert. Sicher ist ein Freispruch aber nicht. Genaue Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt wären nicht seriös.
Welche Strafe steht auf Bestechlichkeit?
Eine Verurteilung vorausgesetzt: §332 Strafgesetzbuch sieht Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor, in minder schweren Fällen auch Geldstrafe. Das bloße Zitieren der gesetzlichen Strafen erweckt aber häufig einen falschen Eindruck. Denn selten wird ein Strafrahmen ausgereizt, und bei Freiheitsstrafen kommt ohnehin immer Bewährung in Betracht. Außerdem geht es um einen recht geringen Betrag. Insofern ist hier größte Vorsicht angebracht.
War es also völlig übertrieben, dass die Staatsanwälte 2012 die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragt und Ermittlungen eingeleitet haben?
Aus meiner Sicht nicht. Dafür muss man sich in die Situation im Februar 2012 zurückversetzen. Für die Aufnahme von Ermittlungen reicht ein "Anfangsverdacht". Wenn zunächst die Aufhebung der Immunität nötig ist, prüfen Ermittler in der Regel besonders intensiv, ob sie wirklich einsteigen. Zumindest "Ungereimtheiten" gab es damals bei mehreren Reisen Wulffs. Nur in einem offiziellen Ermittlungsverfahren können Ermittler sie richtig aufklären. Eine ganz andere Frage ist dann die Bewertung der gewonnenen Ergebnisse am Schluss der Ermittlungen.
Geht es bei der Summe von rund 700 Euro nicht um eine Lappalie?
Für die Grundfrage, ob das Verhalten strafbar war oder nicht, spielt die Höhe des Betrages erst einmal keine Rolle. Sieht die Staatsanwaltschaft keinen hinreichenden Tatverdacht, muss sie ohne Wenn und Aber einstellen. Sieht die Justiz aber einen Verdacht oder ist später von der Schuld überzeugt, kann sie die Höhe der Summe zum Beispiel bei der Strafhöhe berücksichtigen.