Wulff gewährt Akteneinsicht Medien-Futter oder Akt der Aufklärung?
Bundespräsident Wulff versucht, in der Debatte um seine Person aus der Defensive zu kommen. In einer Berliner Kanzlei konnten Journalisten Einblick in die Verträge über Wulffs umstrittenen Privatkredit nehmen. Damit wollte Wulff, wie sein Anwalt Lehr betonte, Transparenz schaffen.
Von Jens Borchers, ARD Berlin
Keine Pressekonferenz. Keine direkten Fragen von Journalisten. Keine Antworten vom Bundespräsidenten persönlich. Stattdessen: ein Anwaltsbüro. Graue Aktenordner mit Kopien und ein Mitarbeiter der Sozietät, der uns Journalisten beaufsichtigt. Fotografieren verboten, Notizen erlaubt. Es liegen unter anderem in Kopie vor: der Kaufvertrag für das Wulff'sche Haus in Burgwedel, der Darlehensvertrag mit Frau Edith Geerkens und diverse andere Dokumente.
Gernot Lehr, ein sehr freundlicher und sehr nüchtern auftretender Rechtsanwalt, vertritt Christian Wulff. Der Anwalt ist die Unverbindlichkeit in Person: "Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem Christian Wulff die Fragen kennenlernt, und die Antworten, die werden dann abgestimmt und durch uns gegeben."
Eine Art juristische Filterstation
Schriftliche Fragen. Schriftliche Antworten. Denn nach wie vor hat sich der Bundespräsident nicht persönlich vor Kameras oder Mikrofonen zu inhaltlichen Fragen geäußert. Das Rechtsanwaltsbüro könnte also als eine Art juristische Filterstation verstanden werden. Keine rechtlich ungeprüften Antworten auf neugierige Journalistenfragen - das scheint die Funktion zu sein. Ob Wulff denn eventuell doch selbst etwas sagen will? Rechtsanwalt Lehr antwortet auch hier unverbindlich: "Das wird sich zeigen, ob er sich nicht persönlich äußert."
Lehr hat schon vor Jahren einen Bundespräsidenten in einer heiklen Angelegenheit vertreten. Das war Johannes Rau. Der Anwalt kennt sich aus mit Medien und Medienrecht.
Keinerlei Überraschungen
Im Konferenzraum liegen die Unterlagen bereit. Schön ordentlich fotokopiert, die persönlichen Daten dritter Personen und Institutionen sind geschwärzt. Keinerlei Überraschungen: nicht im Kaufvertrag, nicht in den Bescheinigungen zweier Sparkassen, nicht in den Grundbuch-Auszügen. Auffällig nur: Im Darlehensvertrag mit Edith Geerkens ist der Zinssatz handschriftlich von 4,5 auf 4 Prozent verändert. Das machte den Kredit günstiger.
Alle politisch und moralisch relevanten Fragen an den Bundespräsidenten Christian Wulff in dieser Angelegenheit bleiben unbeantwortet: Stammte das Geld tatsächlich von Frau Geerkens oder doch von ihrem Ehemann, der den damaligen Ministerpräsidenten Wulff auf eigene Rechnung auf drei Auslandsreisen begleitet hatte? Gibt es irgendetwas, was auch nur im Keim wie eine Gegenleistung für das günstige Darlehen aussehen könnte? In den Dokumenten natürlich nicht. Weshalb es natürlich wie blanke Übertreibung wirkt, wenn Lehr sagt: "Auf diese Weise wurde eine lückenlose Transparenz geschaffen." Um dann kurz darauf noch einmal zu betonen: "Wie überhaupt der Bundespräsident uns den Auftrag gegeben hat, insgesamt für eine lückenlose Transparenz zu sorgen."
Keine Antwort bekommen
Ob die derart bemühte Transparenz nun hergestellt ist? Für mich nicht - denn die Papiere liefern nichts, was eine zentrale Frage beantworten würde: Warum um alles in der Welt kann der Bundespräsident nicht selbst in gesprochenen Worten sagen, aus welchem Grund er das Darlehen im vergangenen Jahr nicht erwähnte, als er nach geschäftlichen Beziehungen zu seinem Unternehmer-Freund Geerkens gefragt wurde?
Heute berät der Ältestenrat des Landtags in Niedersachsen über die Frage: Hat Wulff gegen Gesetze verstoßen, als er den Kredit annahm?