Haushalt Was kostet der Zivilschutz?
Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro erhalten. Doch was ist mit dem Zivilschutz? Für Warnsysteme, Trinkwasserversorgung und Sanitätsmaterial reiche das Geld nicht aus, kritisieren Innenpolitiker.
Die aktuelle Bedrohungslage stellt sich aus Sicht von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius nicht nur militärisch dar. In einem Finanz- und Aktionsplan fordert er: Deutschland müsse sich auf eine multiple Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit einstellen.
Was der SPD-Politiker meint: Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sei sinnvoll, um sich militärisch fit zu machen. Darüber hinaus müsse Deutschland aber auch seine zivile Verteidigung verbessern. Konkret fordert er zehn Milliarden Euro vom Bund plus weitere Ausgaben von den Ländern.
Eine Summe, die utopisch klingt, wenn man den Beratungen des Haushalts im Bundestag zuhört. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat für das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBK bisher lediglich Zusatzausgaben von zehn Millionen Euro vorgesehen. Insgesamt kommt die Behörde damit auf rund 240 Millionen Euro.
"Reicht bei Weitem nicht aus"
Aus Fachkreisen heißt es: Mit den zusätzlichen zehn Millionen Euro aus dem Finanzministerium könne das BBK gerade mal das sogenannte Cell Broadcasting einführen. Das Warnsystem ermöglicht Behörden das Verschicken von Textnachrichten an alle in einer Funkzelle eingewählten Handys im Falle einer Katastrophe.
"Der aktuelle Haushaltsentwurf reicht bei Weitem nicht aus", sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Alexander Throm. Die Ampel-Koalition müsse in den Beratungen jetzt deutlich nachlegen.
Pistorius' Aktionsplan gibt ihm Recht. Er enthält eine lange Liste, die haargenau aufzeigt, wo Deutschland Mängel beim Zivilschutz hat und wie lange es dauert, diese auszugleichen. Kurz gesagt: An ein schnelles Aufrüsten ist beim Zivilschutz - ähnlich wie bei der Bundeswehr - nicht zu denken.
Nicht abgestimmt
So zeigte sich beim Warntag 2020, dass die digitalen und analogen Warn-Systeme aktuell nicht aufeinander abgestimmt sind. Allein die Sirenen bundesweit wieder einsatzfähig zu machen, dauere acht Jahre und koste den Staat rund eine Milliarde Euro, heißt es in Pistorius' Plan.
Im Falle einer Katastrophe müsste der Staat zudem in der Lage sein, Einsatzkräfte oder Material verlegen zu können. Etwa, wenn es darum gehe, einen Flächenbrand zu bekämpfen. Dafür müssten 200 Millionen Euro für mittlere Transporthubschrauber eingerechnet werden. Hier werden fünf Jahre veranschlagt.
Pistorius fordert Investitionen von 800 Millionen Euro
Schon in der Corona-Pandemie zeigte sich, dass der Bund keine Atemschutz-Masken vorrätig hatte. Daher nimmt Pistorius auch die Bevorratung von medizinischen Produkten in den Blick: Seiner Ansicht nach müsste Sanitätsmaterial im Wert von 50 Millionen Euro angeschafft werden. Bis diese Artikel gekauft und gelagert sind, könnten acht Jahre vergehen.
Um sich im schlimmsten Fall auch auf chemische, biologische oder radiologische Gefahren vorzubereiten, will Pistorius 800 Millionen Euro investieren. Dabei geht es zum Beispiel um die Fähigkeit, giftige Stoffe im Falle eines Angriffs frühzeitig zu erkennen.
"Eine neue Realität"
Auch die Grünen plädieren für eine stärkere Bevorratung im Sinne des Zivilschutzes. Die innenpolitische Sprecherin im Bundestag, Lamya Kaddor, hat dabei auch den möglichen Ausfall der Strom- oder Wärmeversorgung im Blick. "Das ist eine neue Realität, der wir uns stellen müssen. Wir wollen eine strategische Neuausrichtung und zügige Umsetzung der Konzeption "Zivile Verteidigung", die wir schon im Koalitionsvertrag angelegt haben, und die wir jetzt angesichts der Situation in Fragen nationaler Sicherheit noch weiter anpassen müssen", so Kaddor.
Für eine Nationale Reserve Notstrom sieht der Plan 200 Millionen Euro vor. Sie soll etwa dann greifen, wenn es durch hybride Angriffe auf Stromversorger zu langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfällen käme. Fertig wäre diese Nationale Reserve allerdings erst in fünf Jahren.
Kaum Bunker
Um die Trinkwasser-Notversorgung sicherzustellen, müssten leitungsunabhängige Versorgungssysteme gebaut werden und Trinkwassernotbrunnen gewartet werden. Insgesamt sind im Aktionsplan von Pistorius dafür 160 Millionen Euro veranschlagt. Bis die Wasser-Notbevorratung abgeschlossen ist, könnten fünf Jahre vergehen.
Während die Schweiz für alle Bürger Schutzräume anbieten kann und Schweden immerhin für 80 Prozent der Bevölkerung, gibt es in Deutschland kaum noch funktionsfähige Bunker. Um die Strukturen wiederherzustellen, die Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges einmal hatte, müssten rund zwei Milliarden veranschlagt werden.
Weitere Kosten sieht der Aktionsplan etwa für Informationskampagnen und für die Weiterentwicklung der Helferinnen und Helfer in einem nationalen Entwicklungs- und Erprobungszentrum vor.
Zustimmung für eine Modernisierung des Zivilschutzes kommt auch aus der FDP. Russlands Angriffskrieg zeige, dass neben den geplanten zusätzlichen militärischen Kapazitäten auch der Zivilschutz modernisiert und besser aufgestellt werden müsse, so Manuel Höferlin, innenpolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag.
Aus welchem Topf?
Bei aller Einigkeit - wenn es um die Finanzierung geht, zeigen sich Unterschiede bei den Parteien. Anders als Pistorius und Throm bestehen vor allem die Grünen darauf, Geld für den Zivilschutz aus dem 100-Milliarden-Euro-Topf für die Verteidigung zu schöpfen.
Natürlich ist dafür auch eine Anschubfinanzierung nötig, so der Liberale Höferlin. "Aber wie die letzten Katastrophen in Deutschland deutlich gezeigt haben, geht es nicht nur um Ausstattung und Finanzierung", so der FDP-Politiker. Es gehe auch darum, die Strukturen sehr genau zu überprüfen und mit einem schlagkräftigen Bevölkerungsschutz unser Land insgesamt resilienter zu machen.
Derzeit lässt sich nicht abschätzen, ob die Politik wirklich zehn Milliarden Euro für den Zivilschutz in die Hand nehmen wird.