Anklage gegen Beate Zschäpe "Sie hatte die Jungs im Griff"
Das einzige noch lebende Mitglied des rechtsterroristischen NSU gibt sich in der Untersuchungshaft selbstbewusst. Vieles spricht dafür, dass Beate Zschäpe auch innerhalb des Trios eine führende Rolle innehatte. Doch nach außen spielte sie die freundliche Nachbarin. Umso schwerer wird es, ihr die Taten nachzuweisen.
Von Christian Fuchs und John Goetz, NDR
Seit gut einem Jahr sitzt Beate Zschäpe in einer Einzelzelle im Gefängnis Köln-Ossendorf. Sie liest viel, schaut Fernsehen und bereitet sich auf ihren Prozess vor. Trotz der belastenden Beweise gegen das einzige überlebende Mitglied der rechtsextremen Terrorbande NSU tritt sie in der U-Haft abgeklärt, bauernschlau und selbstbewusst auf, berichten Gefängniswärter.
Es wird nicht einfach werden, der Frau des Trios nachzuweisen, dass sie von den Taten gewusst und die Männer bei den zehn Morden, 14 Banküberfällen und zwei Bombenanschlägen auch direkt unterstützt hat.
Bekannt ist bisher vor allem ihre Propaganda-Arbeit nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Wohnmobil in Eisenach. Zuerst steckte Zschäpe das geheime Versteck der Terroristen in Zwickau in Brand, um die Spuren der grausamen Taten zu verwischen und einen Tag später versandte sie von Leipzig aus mindestens 12 Briefumschläge mit dem "Paulchen Panther"-Bekennervideo an Zeitungen, Moscheevereine, Parteien und einen rechten Versand. Damit stellte Beate Zschäpe sicher, dass ihre Gruppe und die Taten von einem Tag auf den anderen bekannt wurden.
Was wusste Beate Zschäpe von den Morden?
Doch wie weit war die "Mutter der Kompanie" in das Untergrundleben des Trios in den 14 Jahren zuvor eingebunden? Wusste sie überhaupt von den Morden? Indizien sprechen dafür. Dreieinhalb Stunden bevor Böhnhardt und Mundlos 2005 den griechischen Schlüsseldienst-Betreiber Theodoros Boulgarides in seinem Geschäft in München hinrichteten, bekam Böhnhardt einen Anruf auf seinem Handy. Der oder die Anruferin meldete sich aus einer Telefonzelle in der Nähe der damaligen Wohnung des NSU in Zwickau. Die Ermittler glauben, dass Zschäpe ihren Komplizen angerufen hat.
In einem "Daktyloskopischen Sachstandsbericht", der dem NDR vorliegt, schreibt ein Gutachter des Bundeskriminalamts, dass DNA-Spuren von Zschäpe an Artikeln des "Kölner Express" und der "tz" aus München über den Sprengstoffanschlag in Köln und dem Mord an Habil Kilic gefunden wurden. Diese Zeitungsausschnitte tauchen zwar nicht im Bekennervideo auf. Trotzdem könnte das bedeuten, dass Zschäpe an der Herstellung des Videos stärker beteiligt war als bisher bekannt ist.
Recherchen des NDR belegen zudem die einflussreiche Rolle von Zschäpe innerhalb des Terrortrios. "Sie war diejenige, die die Hosen anhatte", sagt ein Verkäufer, in dessen Laden die Terroristen einmal einen Bootsmotor kauften. "Ich habe ihr Auftreten insgesamt noch als sehr dominant in Erinnerung." Auch ihr Cousin Stefan A., der das Trio gut kannte, sagt heute: "Sie hatte die Jungs im Griff." Nach Außen war sie die Botschafterin der Zelle gegenüber Nachbarn und Ferienfreundschaften, nach Innen war sie die Finanzverwalterin und hielt das Trio emotional zusammen.
"Sie war die Finanzverwalterin"
In ihrer Rolle als Buchhalterin verwaltete sie das bei Banküberfällen erbeutete Geld. Mindestens zwei Mal übergab sie 10.000 DM an Unterstützer - als "Depot", auf das die drei im Notfall zugreifen könnten, berichtet der Helfer Holger G. Die Frau des Trios soll Konten unter verschiedenen Namen geführt haben, das beweisen Rechnungen und Quittungen, die im Zwickauer Brandhaus gefunden wurden.
Aber Zschäpe bezahlte auch Essen, Einkäufe und Eintritte, wenn die drei unterwegs waren. Juliane S. aus Niedersachsen verbrachte einige Sommer gemeinsam mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auf einem Campingplatz auf Fehmarn. "Ihre Geldbörse war immer voll mit großen Geldscheinen. Sie war die Finanzverwalterin", sagt sie über Zschäpe. Viele 50-Euro-Scheine lugten demnach aus ihrem Portmonee. Zschäpe war auch dabei, als Böhnhardt im Oktober 2011 das letzte Wohnmobil im vogtländischen Schreiersgrün mietete, das wenige Tage später in Eisenach in Flammen aufging. "Aus unseren Ermittlungen können wir schließen, dass sie wesentlichen Einfluss hatte zum Beispiel auf die finanziellen Regelungen innerhalb der Gruppe und dass sie aber auch die Ideologie der Gruppe stark vertreten hat", sagt Rainer Griesbaum, der stellvertretende Generalbundesanwalt im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama.
Diesen Urlaubs-Schnappschuss von Zschäpe und Böhnhardt veröffentlichte das Bundeskriminalamt.
Zschäpe organisierte Demonstrationen und Hetzjagden
Keinesfalls war Zschäpe nur die kochende und putzende Frau an der Seite von zwei Terroristen. Schon in den 1990er-Jahren meldete sie politische Demonstrationen in Jena an ("Zur Bewahrung Thüringer Identität, gegen die Internationalisierung der EG") und fiel durch Hetzjagden auf linke Jugendliche und Erpressung von vietnamesischen Zigarettenhändlern auf. Sie gehörte zur ideologisch-überzeugten "Scheitel-Fraktion" der Szene. Als ihre Freunde Böhnhardt und Mundlos Bombenattrappen in Jena auslegten, stand sie hinter diesen Aktionen. Das berichtete sie einmal dem Fluchthelfer Max-Florian B.
Pizza für die Nachbarn
Ihre Ideologie zeigte Beate Zschäpe nach außen hin nie. Kein Bekannter aus Untergrundtagen kann sich an politische Äußerungen von ihr erinnern. Gegenüber Fremden trat sie stets als treuherzige Ehefrau und Katzenliebhaberin auf. Sie war das Gesicht des Trios. Manchmal spendierte Zschäpe Nachbarn eine Pizza, kaufte für sie ein und sang dem türkischen Pizzabäcker um die Ecke ein Geburtstagsständchen.
Als einziges Mitglied des NSU nahm sie auch an "Kellerrunden" in ihrem Wohnhaus teil. Hier trafen sich Nachbarn und tranken zusammen Bier und Sekt. Im Winter zettelte Zschäpe hinter ihrem Wohnhaus auch schon mal eine Schneeballschlacht an. Alle, die sie kannten, beschreiben sie als lieb, nett und offen. Ihre öffentliche Rolle als Botschafterin spielte sie so gut, dass das Trio nicht auffiel und fast 14 Jahre im Untergrund leben konnte.
Wie eine Ehefrau - nur für zwei Männer
Nach innen gab sie dem Trio Halt und schweißte die Terroristen zusammen. "Frau Zschäpe benahm sich den Männern gegenüber wie eine Ehefrau - nur für zwei Männer", sagte Holger G., ein Unterstützer des Trios, bei der Polizei aus. Zschäpe organisierte den Alltag der Zelle: Sie lieh mehr als 300 Filme und Egoshooter-Computerspiele bei einer Videothek in Zwickau und kaufte den Männern Brillen. Wenn Böhnhardt und Mundlos planten, eine Bank auszuspionieren oder einen Menschen zu erschießen, suchte Zschäpe ihnen Unterkünfte in der Nähe, zum Beispiel Campingplätze oder Mietwohnwagen. Das haben Kriminaltechniker rekonstruiert, die Zschäpes Festplatte untersucht hatten. Auch die Generalbundesanwaltschaft geht davon aus, dass Zschäpe "eine Art emotionaler Mittelpunkt dieser Gruppe" war.
Am 4. November 2011 entdeckt die Polizei in einem ausgebrannten Wohnwagen in Eisenach die Leichen von Böhnhardt und Mundlos.
Wie schwierig sich jedoch die Ermittlungen gegen die einzige noch lebende Aktivistin des NSU gestalteten, zeigt sich an der Rekonstruktion der letzten Tage der Zelle. Die Ermittler wissen immer noch nicht genau, warum das Trio sein Treiben am 4. November 2011 so plötzlich mit den Schüssen im Eisenacher Wohnmobil und dem Brand im Zwickauer Versteck beendete. Alle Indizien beruhen auf Aussagen von Augenzeugen, nur wenig davon ist gerichtsfest beweisbar.
War das Ende der NSU mit dem Selbstmord geplant?
So will ein Zeuge zwei Tage vor dem dramatischen Ende einen Streit zwischen zwei jungen Männern und einer Frau vor einem Wohnmobil gesehen haben. Im Zwickauer Stadtteil Niederplanitz will der 37-jährige Dominik R. beobachtet haben, wie die beiden Männer immer wieder abwechselnd auf die Frau einredeten und lautstark mit ihr diskutierten. "Ich konnte sehen, wie die Frau gestikulierte. Sie schüttelte immer wieder mit dem Kopf und hat sich mit der ganzen Hand an die Stirn gegriffen", sagt R. Nur 500 Meter von der Stelle des Streits entfernt lebte damals der wichtigste Unterstützer der Zelle, André E.
Erst die Katzen gerettet, dann das Haus angesteckt
Einen Tag später meldete sich eine Frau telefonisch bei Susanne S., die eine Tierpension im Umland von Zwickau betreibt. "Ich glaube, sie hatte sich mit dem Namen Zschäpe gemeldet und wollte ihre beiden Katzen für einen längeren Zeitraum bei mir abgeben", sagt die Tierbetreuerin. Zschäpe liebte ihre Katzen sehr. Am Tag des Hausbrandes rettete sie "Heidi" und "Lilly" und übergab sie vor ihrer Flucht an eine Nachbarin, während sie eine schwerkranke, bettlägerige ältere Frau im brennenden Haus zurückließ. Auch die Aussagen von Zschäpes bester Freundin im Untergrund nähren den Verdacht, dass Zschäpe etwas von den geplanten Selbstmorden wusste.
Drei Tage vor dem Banküberfall und dem Hausbrand besuchte Beate Zschäpe sie ein letztes Mal in ihrer Zwickauer Wohnung in der Polenzstraße. "Sie war ein bisschen verändert. Sie war sehr in sich gekehrt, sehr gesetzt. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir etwas sagen wollte", erinnert sich Heike K. an Zschäpe im Interview mit dem NDR. "Sie war ein bisschen unruhig." Nach dem Treffen fuhr Zschäpe mit dem Taxi zurück in ihr Versteck. Heike R. glaubt, dass Zschäpe da schon vom Ende der Zelle wusste: "Ich denke, die Theorie steht, dass sie einen Pakt geschlossen haben, dass sich alle drei das Leben nehmen."