Bundesverfassungsgericht Ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Krankenhaus?
Die Hürden für eine medizinische Behandlung gegen den Willen des Patienten sind sehr hoch. Das Bundesverfassungsgericht prüft nun, ob die Betroffenen dazu immer in eine Klinik gebracht werden müssen.
Manche Menschen bekommen Medikamente unter Zwang verabreicht. Dabei geht es um Patienten, die wegen ihrer Erkrankung oder Behinderung nicht mehr alleine über ihre medizinische Therapie entscheiden können und deshalb einen rechtlichen Betreuer haben. Ein Richter muss die Medikation dann anordnen.
Thomas Pollmächer, Psychiater und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Pychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) nennt als Beispiel einen Patienten, der sich etwa vom Geheimdienst verfolgt fühlt und "so aufgeregt und nervös ist, dass er sich im Straßenverkehr gefährdet und etwa über rote Ampeln geht".
Es kann für die Gesundheit eines Patienten absolut nötig sein, dass er die Medikamente bekommt - auch, wenn er das nicht will. Bei Menschen mit Behinderungen oder Demenzkranken kann das ebenfalls manchmal nötig sein.
Manche Patienten müssen fixiert werden
Für diese Zwangsbehandlung müssen die Patienten teilweise fixiert, also ans Bett gefesselt werden. Das Besondere: Die Medikamente dürfen immer und ganz egal, wie der Einzelfall ist, nur im Krankenhaus verabreicht werden. Dahinter steckt etwa der Gedanke, dass man dort besser auf Nebenwirkungen vorbereitet ist. Bei manchen Patienten ist das sinnvoll.
So war es etwa bei Ulrike Dengel aus Bayern. Sie wurde schon mehrfach wegen einer psychischen Erkrankung zwangsbehandelt. Weil sie sich wehrte, kam es auch zur Fixierung. "Im Nachhinein musste es so sein, bin ich der festen Überzeugung", sagt Dengel. Aber es habe auch Folgeschäden: "Ich habe heute noch Albträume davon."
Bundesgerichtshof ruft Verfassungsgericht an
Doch es gibt auch Fälle, in denen es für die Patienten eventuell besser wäre, wenn sie nicht extra ins Krankenhaus müssten. So soll es zum Beispiel im Fall einer Frau aus Lippstadt in Ostwestfalen sein, den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat. Die Patientin wurde für die Einnahme der Medikamente regelmäßig in eine Klinik gebracht, obwohl das auch in ihrer Pflegeeinrichtung gegangen wäre.
Ihr gesetzlicher Betreuer meinte, dass ihr der Weg in die Klinik sogar zusätzlich schadete. Er beantragte deshalb eine Ausnahmegenehmigung - ohne Erfolg. Die Rechtslage ist nämlich eindeutig: Solche Behandlungen dürfen nur in der Klinik stattfinden.
Die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) meinen aber, diese Regelung zur Zwangsmedikation sei verfassungswidrig. Sie soll zwar die Patienten schützen. Wenn es für Patienten im Einzelfall aber besser wäre, die Medikamente in der Pflegeeinrichtung oder gar zu Hause zu bekommen, sei das momentan nicht möglich. Damit verletze die Regelung das Grundgesetz. Der BGH legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.
Forderung nach Prüfung von Einzelfällen
Auch aus medizinischer Sicht sei es wichtig, je nach Einzelfall entscheiden zu können, sagt Psychiater und DGPPN-Vorstandsmitglied Pollmächer. "Die Frage: Wie und auf welchem Wege sollte weniger von der Diagnose abhängen, sondern in jedem einzelnen Fall geprüft und erwogen werden. Immer unter dem Bild des geringsten möglichen Eingriffs, also das mildeste Mittel, das überhaupt zur Verfügung steht."
Da das aktuell nicht geht, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Heute verhandeln die Richter des ersten Senats, ob die jetzige Regelung verfassungswidrig ist. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten fallen.