Interview

Interview zum geplanten Gesetz gegen Zwangsheirat "Den Rücken stärken - und raus aus der Ehehölle"

Stand: 20.01.2011 18:15 Uhr

Anrufe bei Beratungsstellen zeigen, dass es nach wie vor Familien gibt, die ihre Töchter gegen ihren Willen verheiraten. Deutschland will Zwangsheirat nun zu einem Straftatbestand machen. Im Bundestag diskutierte der Bundestag kontrovers über den Gesetzentwurf. Die Opposition sprach von "Symbolpolitik". Das Gesetz bringe Verbesserungen, lege Frauen aber auch neue Steine in den Weg, sagt Rahel Volz im tagesschau.de-Interview. Sie engagiert sich bei der Organisation "Terre des Femmes" für Frauenrechte.

tagesschau.de: Die Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer verabschiedet, der heute im Bundestag diskutiert wird. Welche Verbesserungen bringt das vorgesehene Gesetz den Betroffenen?

Rahel Volz: Erstens soll es jetzt einen eigenen Straftatbestand "Zwangsverheiratung" geben. Das hat vor allem eine symbolische Wirkung. Es stärkt den jungen Frauen in der Diskussion mit ihren Eltern den Rücken. Und zweitens wird es eine deutliche Verlängerung des Rechts auf Wiederkehr geben. Das ist besonders für junge Frauen, die nur eine Aufenthaltsgenehmigung und keinen deutschen Pass haben, wichtig. Wenn sie für eine Zwangsverheiratung ins Ausland verschleppt werden, haben sie mit der neuen Regelung bis zu zehn Jahre Zeit, um nach Deutschland zurückzukehren und dennoch ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlieren - anstatt wie bisher nur sechs Monate. Das ist wirklich eine substanzielle Verbesserung für die jungen Frauen.

tagesschau.de: Wie viele Menschen sind ihren Schätzungen zufolge in Deutschland jedes Jahr Opfer von Zwangsverheiratungen?

Volz: Wir können keine Schätzungen abgeben, weil es keine statistischen Daten gibt. Die bislang einzigen Anhaltspunkte geben die Beratungsstellen: Bei "Terre des Femmes" hatten wir in den letzten drei Jahren mehr als 500 Betroffene oder beratende Dritte, die bei uns angerufen haben. Beratungseinrichtungen und Anlaufstellen in drei Bundesländern - Hamburg, Berlin und Baden-Württemberg - hatten zusammengenommen knapp 1000 Betroffene im Jahr, aber die Dunkelziffer ist natürlich sehr hoch. Denn bei diesen Zahlen sind eben nur die erfasst, die es geschafft haben, in eine Beratungsstelle zu gehen. Diese Hürde ist natürlich sehr hoch.

Zur Person
Rahel Volz ist verantwortlich für den Bereich Frauenrechte bei "Terre des Femmes". Die gemeinnützige Menschenrechtsorganisation setzt sich für Frauen und Mädchen ein, damit diese ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben führen können.

tagesschau.de: Hat der Gesetzentwurf auch Defizite ?

Volz: Ja, das große Defizit ist die Verlängerung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre. Frauen, die aufgrund einer Heirat nach Deutschland kommen, sind dadurch ein Jahr länger an diesen Ehepartner gebunden. Und im Fall einer Zwangsverheiratung oder in einer Gewaltbeziehung bedeutet das, dass sie ein Jahr länger in der Ehehölle verbringen müssen, die sie nicht auflösen können. Diese Erhöhung der Ehebestandszeit muss unserer Ansicht nach unbedingt zurückgenommen werden: Es ist absolut grotesk, dass in einem Gesetzentwurf, mit dem Betroffenen geholfen werden soll, auf der anderen Seite Frauen, die ebenfalls von Gewalt betroffen sind, neue Steine in den Weg gelegt werden.

tagesschau.de: Reicht das geplante Gesetz insgesamt aus, um das Problem der Zwangsheirat zu lösen?

Volz: Nein, natürlich nicht. Das ist jetzt der rechtliche Rahmen, der geklärt ist und eine positive Wirkung hat. Auf der anderen Seite ist es aber unabdingbar, dass auch Präventionsprogramme und Hilfsangebote angeboten werden. Denn die Wurzel des Problems ist ein sehr traditionelles Frauenbild, bei dem es darum geht, die Kontrolle über die Sexualität der Frau zu wahren. Das kommt nicht aus der Religion, spielt aber in Gesellschaften mit einem sehr patriarchalischen Rollenbild, wo die Ehre eine besondere Bedeutung hat, eine ganz große Rolle.

tagesschau.de: Was wäre nötig, um die Ursache anzugehen?

Volz: Es gibt da ein paar interessante Ansätze, auch wenn diese bislang nur einem Tropfen auf dem heißen Stein ähneln. Zum Beispiel das Projekt "Heroes" in Berlin: Da werden konkret junge Männer, Migranten, ausgebildet, um das Ehrverständnis in ihrer Community zu verändern. Sie sollen das Motto vermitteln: Ehre ist eben nicht, die Schwester zu kontrollieren, sondern für die Freiheit der Schwester und für ihre Selbstbestimmung zu kämpfen. Denn das Wertesystem in diesen Communities, wo es Zwangsverheiratungen gibt, muss geändert werden.

Das Interview führte Caroline Ebner, tagesschau.de.