Nichtige Bußgelder Kein Freibrief für Raser
Die Straßenverkehrsordnung ist teilweise außer Kraft. Viele Auto- und Fahrradfahrer sind verunsichert. ADAC-Rechtsexperte Schäpe erklärt im Interview, was nicht mehr gilt - und was weiter Bestand hat.
tagesschau.de: Was gilt jetzt eigentlich auf den deutschen Straßen?
Markus Schäpe: Die neuen Regelungen der Straßenverkehrsordnung zum Verhalten der Verkehrsteilnehmer gelten unverändert weiter, da sie nicht von der Teilnichtigkeit betroffen sind. Nichtig sind lediglich die Änderungen der Bußgeldkatalogverordnung, also die höheren Bußgelder und Fahrverbote. Hier wenden die meisten Bundesländer wieder die alten Sanktionen an, Bremen und Thüringen warten noch ab.
tagesschau.de: Warum handeln einzelne Bundesländer unterschiedlich?
Schäpe: Alle Bundesländer sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der neue Bußgeldkatalog zumindest derzeit nicht angewandt werden kann. Das ist im Interesse der Rechtsklarheit wichtig. Während Bremen und Thüringen wohl noch davon ausgehen, dass in Kürze diese Regelsätze wieder in Kraft gesetzt und dann Bußgeldbescheide innerhalb der knappen Frist von drei Monaten nach dem Verstoß erlassen werden können, gehen die anderen Länder - wohl zu Recht - davon aus, dass hier keine schnelle Lösung erfolgt und wenden deshalb bis auf Weiteres den alten Bußgeldkatalog an.
tagesschau.de: Was ist mit Autofahrern, die nach dem 27. April ein Bußgeld etwa wegen zu schnellem Fahren kassiert haben?
Schäpe: Hier kommt es darauf an, um wie viel man zu schnell war und ob bereits schon die Rechtskraft des Bußgeldbescheides eingetreten ist, also die Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist. Dann ist das Verfahren eigentlich abgeschlossen.
tagesschau.de: Das heißt, wenn ich auch schon das höhere Bußgeld gezahlt habe, kann ich nichts mehr machen?
Schäpe: Ja, die Rechtskraft tritt auch mit der Zahlung ein. Ähnlich ist das auch, wenn man seinen Führerschein schon abgegeben hat. Man kann dann nur versuchen, im Wege des Gnadenverfahrens die Aufhebung der Entscheidung unter Herausgabe des Führerscheins zu beantragen. Wir empfehlen, außerdem Kontakt mit der Bußgeldstelle aufzunehmen.
Zu schnelles Fahren bleibt strafbar
tagesschau.de: Und wenn die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist und das Bußgeld auch noch nicht gezahlt wurde?
Schäpe: Die Rechtsfolgen für Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts bis 30 km/h beziehungsweise außerorts bis 40 km/h wurden zum 28. April ja verschärft. Ist noch kein Verwarnungsgeld erhoben oder Bußgeldbescheid erlassen worden, wird der Verstoß jetzt wieder nach dem alten Katalog geahndet.
Bei den ganz hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen ist im Übrigen alles beim alten geblieben. Die Verschärfung betraf, wie gesagt, die Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts bis 30 km/h und außerorts bis 40 km/h.
tagesschau.de: Was ist mit anderen Verstößen?
Schäpe: Hier wird etwa die neu eingeführte Strafe für Lkw ausgesetzt, die schneller als in Schrittgeschwindigkeit rechts abbiegen. Das gilt auch für die unberechtigte Benutzung einer Rettungsgasse. Die sollte nach dem neuen Katalog 240 Euro kosten.
Neue Regelung zum Mindestabstand bleibt gültig
tagesschau.de: Was ist aus dem Überholen ohne Sicherheitsabstand von Fahrradfahrern geworden?
Schäpe: Das ist wie andere Verstöße auch nicht von der Änderung des Bußgeldkatalogs betroffen, weshalb es keine Veranlassung zur Korrektur gibt. Verschärft wurde ja nur die Konkretisierung, dass der Mindestabstand zum Fahrrad innerorts 1,5 Meter und außerorts zwei Meter zu betragen hat. Bußgeldbewehrt war es schon vorher, wenn man den Radfahrern zu nahe gekommen ist. Daher ändert sich daran nichts.
tagesschau.de: Wie lange wird es dauern, bis eine gültige Straßenverkehrsordnung kommt?
Schäpe: Um das Problem insgesamt zu lösen, ist ein komplett neues Gesetzgebungsverfahren notwendig. Wenn der Bundesminister für Verkehr die im Februar beschlossenen Änderungen unverändert als neuen Verordnungsentwurf einbringt, wird der Bundesrat schnell zustimmen und die Änderung könnte kurzfristig in Kraft treten. Wenn Andreas Scheuer wie angekündigt Korrekturen bei den Fahrverbotsgrenzen für Geschwindigkeitsverstöße vornimmt und damit einen geänderten Entwurf einbringt, wird sich das Verfahren mindestens bis Ende 2020 ziehen.
Das Gespräch führte Iris Marx, tagesschau.de.