Trumps Nordkorea-Attacke "Schlicht völkerrechtswidrig"
Mit "völliger Zerstörung" drohte US-Präsident Trump Nordkorea in seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen. Das verstoße gegen die UN-Charta, sagt der ehemalige deutsche UN-Botschafter Pleuger im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Sie waren vier Jahre lang Deutschlands Vertreter bei den Vereinten Nationen. Ist eine derart scharfe Rede, wie Trump sie gestern gehalten hat, ungewöhnlich?
Gunter Pleuger: Sehr ungewöhnlich. Normalerweise dient die erste Woche der Generalversammlung den Regierungs- und Staatschefs dazu, Probleme darzulegen und andere Staaten für Lösungsvorschläge zu gewinnen. Und Zustimmung erhält man da durch Werbung, nicht durch Konfrontation.
"Das ist schlicht völkerrechtswidrig"
tagesschau.de: Trump hat die Konfrontation gewählt und Nordkorea mit einer "völligen Zerstörung" gedroht. Ist das mit dem Geist der Vereinten Nationen vereinbar?
Pleuger: Das widerspricht nicht nur dem Geist der UN, sondern ist schlicht völkerrechtswidrig. Denn in der Charta der Vereinten Nationen, die ja Völkerrecht ist, wird Androhung von Gewalt gegenüber Mitgliedsstaaten ausdrücklich verboten.
tagesschau.de: Aber ging es Trump nicht eher um Selbstverteidigung? Er sagte doch, "wenn wir gezwungen werden, uns selbst oder unsere Verbündeten zu verteidigen, werden wir keine andere Wahl haben, als Nordkorea völlig zu zerstören"...
Pleuger: Man darf sich nach der UN-Charta verteidigen, wenn man angegriffen wird. Aber auch erst dann. Vorher darf man weder angreifen, noch andere bedrohen. Das steht in Artikel 51 glasklar und deswegen sind Trumps Aussagen ein Völkerrechtsbruch. Das sollte der Präsident des Landes, das die Charta entworfen hat, eigentlich wissen.
Der Atomvertrag mit dem Iran ist ein Positivbeispiel
tagesschau.de: Aber wenn das ein Völkerrechtsbruch ist, muss sich ein Staat wie Deutschland dann nicht deutlich positionieren?
Pleuger: Das hat Deutschland getan. Außenminister Gabriel hat kürzlich in China ganz klar gesagt, dass man Konflikte nicht durch militärische Maßnahmen lösen kann. Das geht nur durch diplomatische Verhandlungen. Das beste Beispiel dafür ist der Atomvertrag mit dem Iran.
Trumps Aussagen sind Sprengsatz
tagesschau.de: Trump sieht das anders. Er bezeichnete das Iran-Abkommen in seiner Rede eine "Peinlichkeit". Ist das eine Brüskierung Deutschlands?
Pleuger: Nicht nur das. Es ist ein Sich-Absetzen von einem Vertrag, den Amerika zusammen mit England, China, Russland, Frankreich und Deutschland über vier Jahre ausgehandelt hat.
In seiner ersten Rede vor der UN-Vollversammlung bezeichnete US-Präsident Trump den Atomvertrag mit dem Iran als "Peinlichkeit".
tagesschau.de: Trump hat auch viel von nationaler Selbstbestimmung gesprochen, von "America First". Wie ist das zu bewerten?
Pleuger: Wenn Trump sagt, die UN müssten aus Ländern bestehen, die sich nur um ihre eigenen Interessen kümmern, ist das natürlich Sprengsatz. Denn die UN leben davon, dass Staaten einen Blick für die internationalen Gesamtinteressen haben. Kein einzelner Staat - auch nicht die USA - können bestimmte Probleme wie die Klimaerwärmung oder weltweite Krankheiten - alleine lösen. Das geht nur im Verbund. Man braucht die Einsicht, dass ein Beitrag zur Lösung globaler Probleme auch auch im nationalen Interesse ist.
Die Vereinten Nationen sind keine Weltregierung
tagesschau.de: Trump hat die UN vergangenes Jahr als "Club" kritisiert, in dem nur geredet würde. Er will die globale Organisation reformieren. Ist seine Kritik berechtigt?
Pleuger: Reformbedarf gibt es seit 25 Jahren. Aber die Kritik von Präsident Trump und anderen unterstellt, dass es sich bei den Vereinten Nationen um eine Art Weltregierung handelt. Das ist aber nicht so. Die UN ist eine ständige Konferenz der Mitgliedstaaten, in der Entscheidungen mit Mehrheit getroffen werden. Und wenn eine Entscheidung mehrheitlich getroffen wird, kommt es immer noch darauf an, ob alle bereit sind, die Entscheidungen des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung auch umzusetzen. Im Bereich der Friedensmissionen, wo die Kritik von Trump ansetzt, ist das oft nicht so einfach.
tagesschau.de: Warum das?
Pleuger: Wenn zum Beispiel der Sicherheitsrat eine Entscheidung zur Entsendung einer Friedensmission in eine Konfliktzone getroffen hat, wird der Generalsekretär aufgefordert, eine solche zusammenzustellen. In dem Moment hat der aber weder einen einzigen Soldaten noch ein einzigen Dollar zu Verfügung. Bis er das nötige Geld und Personal zusammen gesucht hat, dauert es eben oft ein halbes bis dreiviertel Jahr.
tagesschau.de: Aus ihrer diplomatischen Erfahrung: Wie kann man ein Land wie die USA, das die UN derart kritisch sieht, wieder einbinden?
Pleuger: Man muss dort Überzeugungsarbeit leisten. Die Vergangenheit zeigt, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Das markanteste Beispiel ist die jahrzehntelange Debatte um die Dekolonialisierung. Die wäre viel blutiger gewesen und hätte länger gedauert, hätte die UN nicht jedes Jahr ihr Ende und Demokratisierung gefordert. Das hat die politische Einstellung vieler Staaten verändert, weil die Anwendung von Gewalt zur Aufrechterhaltung undemokratischer Strukturen delegitimiert wurde. Ich bin überzeugt, dass dies auch zum friedlichen Ende des kalten Krieges beigetragen hat.
Das Interview führte Marie Löwenstein, tagesschau.de