Interview mit Oliver Polak "Hitler spielt immer die zweite Klavierstimme"
Deutschland gedenkt der Opfer der Reichspogromnacht vor 72 Jahren. Die Forderung nach einem Schlussstrich findet der Komiker Oliver Polak lächerlich. Es gebe noch immer viel Angst und Feigheit und deshalb auch Vorurteile und Ressentiments.
tagesschau.de: Was bedeutet der 9. November für Sie?
Oliver Polak: Ich denke an diesem Tag, wie wohl viele Andere, an Gewalt, Vertreibung und die Reichspogromnacht. Für mich ist das kein besonders lustiger Tag. Ich weiß aber auch, dass für viele Menschen der 9. November längst ein Tag zum Feiern ist. Letztes Jahr wurde ich eingeladen zu einer Veranstaltung im Berliner Admiralspalast: "Wir machen eine Riesengala zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, kannst du da auftreten?" hieß es. Als ich sagte, der 9. November sei für mich mit der Reichspogromnacht verbunden, sagte die Veranstalterin munter: "Dann bring doch deine Leute mit. Wir feiern gemeinsam."
tagesschau.de: Klingt da Bitterkeit mit oder Groll? Ihr Vater saß in mehreren Konzentrationslagern.
Polak: Die Erzählungen sind natürlich immer präsent. Wenn man in Deutschland als Jude aufwächst, dann ist die Erinnerung an den Holocaust Teil des Lebens. Hitler spielt sozusagen immer die zweite Klavierstimme.
tagesschau.de: Sie sind aufgewachsen in Papenburg im Emsland - einer Stadt, in der es vor dem Krieg 20 jüdische Familien gab und nach 1945 keine mehr. Ihre Eltern waren die einzigen, die zurückkehrten. Wie wurde Ihre Familie aufgenommen, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Polak: Man hat uns keine besondere Wertschätzung entgegengebracht. Denn natürlich sind solche Konfrontationen mit der Vergangenheit unbequem. Ich glaube, Papenburg steht da für jede andere Provinzstadt in Deutschland. Da haben Juden überlebt und kommen wieder zurück. Sie sind so eine Art lebendes Mahnmal. Dauernd muss man sich an etwas erinnern, was man eigentlich vergessen will und unter den Teppich kehren möchte. Für meinen Vater und andere zurückkehrende Juden war das sicherlich oft unerträglich. Denn jeder wusste ja, dass die Menschen noch die gleichen waren wie vorher. Und kurz vorher waren sie halt Nazis.
tagesschau.de: Haben Sie das als Kind auch so gesehen?
Polak: Ja, es hat meine Kindheit geprägt und ist bis heute gegenwärtig. Ich bin in Bezug auf den Holocaust immer wieder auf sehr viel Unwissen und Nicht-Wissen-Wollen gestoßen. Das mache ich ja auch zum Thema meiner Shows und meiner Bücher.
tagesschau.de: Wo erleben Sie diese Ignoranz?
Polak: Ich war zum Beispiel sehr erschrocken über die regelrechte Propaganda, die unlängst die "Bild" mit den Thesen von Thilo Sarrazin betrieben hat. Zuerst dachte ich, die haben aus Scherz das Wahlprogramm der NPD abgedruckt. Aber nein, es war ganz ernst gemeint. Und als dann da auch noch von Genen die Rede war - einem muslimischen Gen, einem jüdischen Gen - hab ich mich gefragt, ob es auch ein Nazi-Gen gibt. Und ich fragte mich, wenn - wie Sarrazin warnt - die Deutschen aussterben, ob ich dann überlebe als Jude.
tagesschau.de: Klingt so, als sei die Satire für Sie manchmal auch eine Rettung, ein Schutz?
Polak: Da denke ich nicht drüber nach. Wenn ich als Künstler mehr Fragen hinterlasse, als ich Antworten gegeben habe, dann ist für den Moment das Ziel erreicht.
tagesschau.de: Wie ausgeprägt sind Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?
Polak: Man hat den Deutschen nach 1945 gesagt, sie sollen freundlich zu Juden sein. Aber man hat vergessen ihnen zu sagen, dass sie auch zu Fremden freundlich sein sollen. Es ist halt viel Angst und Feigheit im Spiel, und die erzeugt Vorurteile und Ressentiments.
tagesschau.de: Aber ist das auch in Ihrer Generation noch so? Oder gibt es da im Miteinander eine neue Selbstverständlichkeit?
Polak: Mir fällt immer wieder auf, zum Beispiel, wenn ich in Talkshows eingeladen bin, dass der Umgang mit Juden in Deutschland verkrampft ist und manche Vögel immer noch nicht gecheckt haben, das wir wieder erlaubt sind. Integriert. Ich bin sogar im Besitz eines Führerscheins.
Aber natürlich gibt inzwischen ein neues jüdisches Leben in Deutschland, es gibt ein jüdisches Selbstbewusstsein. Das hat allerdings nichts zu tun mit diesen Rufen, die es jetzt auch wieder gibt, es solle Schluss sein mit der Thematisierung der Vergangenheit. Wir hätten andere Probleme. Diese Forderung finde ich ehrlich gesagt lächerlich, weil Sachen vermischt werden, die nichts miteinander zu tun haben. Das habe ich als Anlass genommen, Buttons zu drucken mit der Aufschrift: "Schlussstrich - nein Danke!"
tagesschau.de: Was dachten Sie, als vergangene Woche die erste Rabbinerin in Deutschland seit 75 Jahren ihr Amt in Oldenburg angetreten hat?
Polak: Da dachte ich nur "Oh Gott, die Arme muss jetzt in Oldenburg wohnen." Ehrlich gesagt: Es hat mich nicht besonders interessiert.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de