Interviews mit AfD-Sympathisanten DJV kritisiert Ermittlung gegen Journalisten
Die Internetplattform "Hessencam" dokumentierte teils extreme Aussagen auf einer AfD-Veranstaltung. Nun geht die Justiz gegen den betreffenden Journalisten vor. Der DJV spricht von "übermäßigem Ermittlungseifer".
Das Video ist eine Minute und 17 Sekunden lang und wurde auf der Plattform "X", vormals "Twitter", mehr als eine Million Mal angeschaut: Auf offener Straße sind mehrere Personen zu sehen, die mutmaßlich eine AfD-Veranstaltung in einer nahe gelegenen Halle im hessischen Ort Rabenau-Geilshausen besuchen wollen.
Einige von ihnen versuchen, den Kameramann aktiv beim Filmen zu hindern. Ein Mann nennt sich vor laufender Kamera selbst "Nationalsozialist", ein anderer bezeichnet einen örtlichen SPD-Abgeordneten, dessen Wahlkampfbus vor der Veranstaltungshalle Halt machte, als "Dr. Mengele", weil dieser der Impfpflicht zugestimmt habe. Eine längere Fassung mit weiteren Interviews erschien zwischenzeitlich auch auf Youtube.
Angeblicher Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz
Diese viel beachteten Aufnahmen haben nun womöglich strafrechtliche Konsequenzen für den Kameramann, den freien Journalisten Joachim Schaefer. Er ist im Hauptberuf Pastoralreferent in der katholischen Domgemeinde Wetzlar, besitzt allerdings auch einen Presseausweis, weil er im Rahmen des kirchlichen Jugendmedienprojekts "Hessencam" regelmäßig Interviews führt - oft auch unter Teilnehmerinnen und Teilnehmern von "Querdenker"-Demos oder Veranstaltungen im rechten Milieu.
Wegen seiner Dreharbeiten in Rabenau-Geilshausen ermittelt gegen ihn nun die Staatsanwaltschaft Gießen. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz (KUG). Das bestätigte die Behörde dem SWR.
Joachim Schaefer führt im Rahmen des kirchlichen Jugendmedienprojekts "Hessencam" regelmäßig Interviews.
Tatsächlich umfasst das KUG auch das so genannte "Recht am eigenen Bild". Wer Personen ohne deren Einverständnis filmt und die Aufnahmen veröffentlicht, kann sich strafbar machen. Es drohen Geldstrafe, bis hin zu einer einjährigen Haftstrafe. In ihrem Arbeitsalltag können sich Journalisten allerdings auf Ausnahmen berufen. Das Einverständnis einer gefilmten Person kann etwa schon dann gegeben sein, wenn für sie erkennbar ist, dass sie beim Interview gefilmt wird (sog. konkludentes Verhalten). Genau das zieht die Polizei in Gießen im Fall Rabenau-Geilshausen in Zweifel. Dem SWR teilte sie mit, es sei "aus Hüfthöhe heraus" gefilmt worden und der Kameramann sei "offenbar nicht als Journalist" zu erkennen gewesen.
Dem widerspricht der Journalist vehement im Interview mit dem SWR: "Die Kamera ist keine kleine Kamera, keine versteckte Kamera. Das Mikro ist ein externes Mikro, ist also sichtbar. Und von weitem wurde auch jeder Besucher, jede Besucherin schon gewarnt von dem AfD-Ordner: Achtung, gebt dem kein Interview. Es war sichtbar, es war öffentlich und von daher kann ich diesen Vorwurf nicht verstehen." Zudem habe er sich bei dem Veranstalter als Betreiber von "hessencam" vorgestellt und dies bei den Interviews auf Nachfrage mitgeteilt.
DJV sieht falsches Signal
Der Fall beschäftigt inzwischen auch den Deutschen Journalistenverband (DJV). Dieser wirft den Ermittlungsbehörden "übermäßigen Ermittlungseifer" vor. Denn: Nach den Vorgängen in Rabenau-Geilshausen leitete die Polizei Gießen "von Amts wegen" ein Verfahren gegen Schaefer ein. Ein Sachbearbeiter habe zudem "per Mail Kontakt mit dem Anmelder der Veranstaltung aufgenommen, um den Personenkreis von möglichen Zeugen und Geschädigten zu erfahren," heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Die Staatsanwaltschaft Gießen billigt die "Ermittlung von Zeugen" als "grundsätzlich zulässig", obwohl es sich bei den einschlägigen Straftatbeständen um so genannte Antragsdelikte handelt. Das heißt, die Ermittlungsbehörden werden eigentlich erst dann tätig, wenn Betroffene aktiv eine Strafverfolgung beantragen.
Hanna Möllers, DJV-Justiziarin, kritisiert im Interview mit dem SWR: "Hier haben die Beamten aktiv nach Zeugen gesucht und die Sache der Staatsanwaltschaft vorgelegt, obwohl es sich um ein Antragsdelikt handelt und eine Verurteilung in Anbetracht einer Abwägung mit der Rundfunk- und Pressefreiheit eher unwahrscheinlich erscheint." Dies sende "ein völlig falsches Signal".
AfD vermittelt bis zu 30 Personen an die Polizei
Der zuständige AfD-Kreisverband Gießen hat die Kontaktaufnahme seitens der Polizei offenbar dankend angenommen. Nach den Ereignissen in Rabenau-Geilshausen wendet sich dieser in einem Brief mit der Überschrift "Manchmal lohnt sich der Glaube an den Rechtsstaat doch noch!" an Parteimitglieder und andere "Freunde" der AfD.
Der Brief liegt dem SWR vor. Dort heißt es, man sei "auf der Suche nach sämtlichen Geschädigten" des Journalisten, einem "AfD-Jäger" und einem "unserer schärfsten Widersacher". Dabei unterbreitet die AfD das Angebot, Daten wie Namen oder Geburtsdatum "gesammelt an die Polizei" weiterzuleiten. Offenbar mit Erfolg: Man habe inzwischen "ca. 25-30 Personen als potentiell Betroffene oder Zeugen" an die Polizei gemeldet, teilte der zuständige Kreisvorsitzende dem SWR mit.
Schaefer kritisiert "Presse-Mobbing"
Schaefer kann das Vorgehen der Ermittler nicht nachvollziehen: "Ich frage mich: Ist das die Aufgabe der Polizei? Ist da noch der Sachverstand und auch die Gelassenheit, die Presse wirklich offen arbeiten zu lassen?", so Schaefer. Es mache ihn sehr betroffen, dass er seitens der Polizei quasi als Gefährder angesehen werde, da es ihm selbst darum gehe, die Demokratie zu schützen. Nach den Ereignissen im August habe er bereits konkret erlebt, wie ihn ein CDU-Politiker mit den Ermittlungen konfrontiert habe. Schaefer empfindet das als eine Art "Presse-Mobbing".
DJV-Justiziarin Möllers kritisiert: "Die Rundfunk- und Pressefreiheit gebietet, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft schützend vor Reporter stellen, die dem Publikum das wahre Gesicht der AfD-Anhängerschaft zeigen wollen, anstatt mit fernliegenden Ermittlungsverfahren ihre Arbeit zu erschweren."