Marktmacht ausgenutzt? Lieferandos Geschäft mit "Schattenwebseiten"
Essen liefern lassen im Lockdown: Lieferando profitiert von der Corona-Krise. Doch der Konzern setzt fragwürdige Mittel ein, um den Umsatz zu steigern. Nach BR-Recherchen betreibt er Zehntausende Webseiten, die denen von Restaurants ähneln.
In den beiden Fenstern seines Restaurants hängen große Plakate: "Delivery - Lieferservice" steht darauf. Vinh Tan Pham, genannt Jack, betreibt seit 2004 das Restaurant "Jack Glockenbach" im Zentrum Münchens. Ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Pham - dank Lieferando, wie er sagt, denn ohne die Plattform hätte er seine Belegschaft in Kurzarbeit schicken müssen. Und doch hat er ein Problem mit dem Marktführer: Pham sagt, Lieferando habe sich "in den Vordergrund gedrängt".
Lieferando erstellte für Phams Restaurant eine Webseite, die URL ist der von Phams Homepage zum Verwechseln ähnlich. Sucht man sein Restaurant über Google, sind die ersten Treffer bezahlte Anzeigen von Lieferando. Seine eigene Webseite ist deutlich tiefer gelistet.
Die Leute suchten nach seinem Restaurant "und finden Lieferando, das ist nicht o.k.", sagt Pham. "Ich habe in 17 Jahren mit Fleisch und Blut diesen Laden und diesen Namen aufgebaut. Wenn die Stammgäste jetzt nach uns suchen, landen die nicht bei uns, sondern woanders. Und das ist schon sehr unfair uns gegenüber, weil wir haben dafür geackert!"
Zehntausende "Schattenwebseiten" europaweit
BR-Recherchen zeigen nun, dass der niederländische Konzern Just Eat Takeaway, zu dem auch Lieferando gehört, europaweit mehr als 120.000 solcher Domains registrierte, die den Internetadressen von Restaurants ähneln - gut 50.000 davon in Deutschland. Das beweisen Daten des IT-Sicherheitsunternehmens Domaintools, die durch den BR ausgewertet wurden. Auf rund 18.000 der deutschen Domains sind Webseiten mit Bestellfunktion hinterlegt, auf den anderen findet sich das Logo von Lieferando.
Auch wenn ein Restaurant eigene Fahrer beschäftigt, muss es pro Bestellung in der Regel 13 Prozent Provision bezahlen, wie aus Verträgen hervorgeht, die ein Team von BR-Reporterinnen und Reportern einsehen konnte. Bestellungen über die sogenannten "Schattenwebseiten" laufen nicht, wie Kundinnen und Kunden auf den ersten Blick vermuten könnten, direkt über die Restaurants, sondern werden über Lieferando abgewickelt. Würden Kunden direkt beim Restaurant bestellen, ginge Lieferando leer aus.
Auf Anfrage verweist Lieferando darauf, dass diese Webseiten ein Service für die Restaurants seien. Die Erstellung der Seiten sei "vertraglich geregelt" und würden "unseren kleinen Restaurant-Partnern zusätzliche Umsätze" verschaffen: "Die meisten Gastronomen freuen sich über diesen inbegriffenen Zusatzservice, zumal er ihnen nicht nur entsprechende Mediabudgets spart", teilt ein Konzernsprecher mit.
Rechtsexperte: Verhalten "unfair"
Rupprecht Podszun, Experte für Kartellrecht und Professor für Bürgerliches Recht von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, bezeichnet die "Schattenwebseiten" als ein Problem für die Gastronomie. Lieferando dränge sich zwischen Kunden und Restaurant, so der Kartellrechtler: "Das ist ein Verlust des direkten Zugangs zum Kunden. Die Art und Weise, wie das gemacht wird, halte ich für unfair und sicherlich für rechtlich der Überprüfung wert."
Seit April vergangenen Jahres arbeitet Lieferando, Marktführer im Bereich Essensbestellungen, zudem eng mit Google, Marktführer im Bereich Online-Suche, zusammen. Kunden können seitdem direkt auf Google-Seiten Essen bestellen. Abgewickelt werden die Bestellungen über Lieferando. Lieferando wollte sich auf Anfrage zu Details zur Zusammenarbeit mit Google nicht äußern.
Kartellrechtliche Fragen - Marktmacht ausgenutzt?
Es sei dieses Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, so Kartellrechtler Podszun, das die Frage aufwerfe, ob Lieferando seine Marktmacht ausnutze. Neben den "Schattenwebseiten" und der Kooperation mit Google, sei es ein weiterer Zusatz in den AGB, der kartellrechtlich relevant sein könnte, die sogenannte "Gleicher-Preis-Garantie".
Lieferando verpflichtet Restaurants, die gleichen Preise im Liefergeschäft zu verlangen wie im stationären Geschäft. Das Bundeskartellamt, teilt auf Nachfrage mit: "Derzeit führen wir kein Verfahren gegen Lieferando. Wir beobachten die Marktentwicklung aber weiterhin sehr aufmerksam."
Kartellrechtler Podszun betont, wie schwer es für einzelne Restaurants sei, gegen die Plattform vorzugehen. Er fordert: "Wir brauchen sicherlich ein starkes behördliches Einschreiten. Es muss Leute geben, die das zu Gericht tragen."
Die Vorsitzende des Deutsche Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Ingrid Hartges, sieht bei Lieferando "nahezu monopolistische Strukturen", die "zu einer brutalen Abhängigkeit" der Gastronomen führten: "Die Gäste sind gut beraten, im Idealfall direkt mit dem Restaurant das Geschäft zu machen", sagte Hartges dem BR. Dann verbleibe die gesamte Wertschöpfung beim Restaurant.