Prozessbeginn in London Marsaleks Agentenring?
Die britische Justiz wirft sechs bulgarischen Staatsbürgern Spionage für Russland vor. Seit vergangenem Jahr sitzen sie in Haft. Angeleitet hat sie angeblich Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek. Heute beginnt in London der Prozess.
Nach Angaben der britischen Justiz geht es in Court Room No. 7 im Old Bailey zunächst um organisatorische Dinge. Der eigentliche Prozessbeginn ist mit der Verlesung der Anklage für Mittwoch und Donnerstag geplant. In den vergangenen Monaten hat es am Zentralen Strafgerichtshof in London bereits mehrere Anhörungen gegeben. Die sechs inhaftierten bulgarischen Staatsbürger waren dabei teilweise anwesend. Sie haben dabei zunächst ihre Unschuld beteuert.
Dem Vernehmen nach ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest einige von ihnen davon abrücken. Das Gericht hatte darüber eine Art Berichtsverbot verhängt. Journalisten durften über den Inhalt der Anhörungen nicht berichten, um einen fairen Verlauf des Verfahrens nicht zu gefährden.
Spionage auf Marsaleks Anweisung?
Die Gruppe soll nach Überzeugung der britischen Ermittlungsbehörden zwischen August 2022 und Februar 2023 für einen Agenten Russlands Dokumente und Informationen zum Schaden des Vereinigten Königreichs gesammelt haben. Orlin R. gilt dabei als Schlüsselfigur. Der ehemalige Tech-Unternehmer war zeitweise Direktor einer in London registrierten Firma.
Bis zu seiner Verhaftung soll Orlin R. nach den bisherigen Ermittlungen mit einem russischen Agenten namens "Rupert Ticz" in Kontakt gestanden haben. Von den britischen Behörden bereits im September 2023 veröffentlichte Informationen hatten den Schluss nahegelegt, dass es sich bei dem russischen Agenten um Marsalek gehandelt haben dürfte.
Demnach habe der frühere Wirecard-Manager die mutmaßliche Spionage-Zelle angeleitet und ihnen Anweisungen gegeben. Er verfüge über Verbindungen zum russischen Staat und gilt als Bindeglied zu den dortigen Einrichtungen.
Kommunikation via Telegram
Den Ermittlern vorliegenden Beweisen zufolge soll Marsalek mit R. unter anderem über den Messenger-Dienst Telegram kommuniziert haben. So soll sich der ehemalige Wirecard-Manager mit R. im Dezember 2022 über den Transport eines speziell gesicherten SINA-Laptops von Berlin zum russischen Geheimdienst FSB in Moskau ausgetauscht haben. Dieser sei am Ende gelungen.
Allerdings sei die mit dem Transport beauftragte Botin ein "dummes Risiko" eingegangen, ärgerte sich Marsalek. "Sie ist mit einem gefälschten Pass durch die Sicherheitskontrolle gelaufen", schrieb er den Ermittlungsunterlagen zufolge am 13. Dezember 2022 um kurz nach 22.00 Uhr an den bulgarischen Kontaktmann. Der BR konnte Auszüge aus diesen Unterlagen einsehen. Von Marsalakes Anwalt war dazu keine Stellungnahme zu bekommen.
Die britischen Behörden haben außerdem ermittelt, dass die mutmaßliche bulgarische Spionage-Zelle versucht habe, gegen Bezahlung an Informationen über NATO-Basen in Deutschland zu kommen. Außerdem soll sie im September 2022 die kasachische Botschaft in London ausspioniert haben.
Schon 2015 standen Marsalek und Orlin R. in Kontakt
Marsalek und R. sind alte Bekannte. Dem BR liegen E-Mails aus dem Jahr 2015 vor. Darin haben sich beide über besonders robuste und abhörsichere Mobiltelefone ausgetauscht. Zum damaligen Zeitpunkt war Marsalek Mitglied des Wirecard-Vorstands. Im Zuge des Zusammenbruchs des Aschheimer Zahlungsdienstleisters setzte sich der Manager am 19. Juni 2020 von einem Kleinflughafen nahe Wien in Richtung Minsk ab. Seitdem wird er in Russland vermutet. Die britischen Behörden schreiben dazu, "sein genauer Aufenthaltsort ist unbekannt".
Die britischen Behörden hatten bei der Festnahme von drei Mitgliedern der Gruppe im Februar vergangenen Jahres mehrere mutmaßlich gefälschte Pässe sichergestellt - unter anderem aus Spanien, Kroatien und Italien. Der Prozess gegen R. und die weiteren Beschuldigten sollte ursprünglich Ende Oktober am Zentralen Strafgerichtshof in London beginnen. Allerdings hatten die britischen Behörden zuletzt zusätzliche umfangreiche Beweismittel vorgelegt. Daher erklärte sich das Gericht auf Antrag der Verteidiger bereit, den Beginn um einen Monat auf Ende November zu verschieben. Der Prozess dürfte mehrere Monate dauern.