Vorwürfe gegen Schlachthof Illegales Schächten in Nordrhein-Westfalen
In einem Betrieb in Nordrhein-Westfalen sollen Hunderte Tiere ohne Betäubung geschlachtet worden sein. Dies geht aus Aufnahmen von Tierschützern hervor.
In einem Schlachthof in Nordrhein-Westfalen sollen Mitarbeiter Tiere illegal geschächtet haben. Aufgrund dieses Verdachts haben die Behörden eine Razzia durchgeführt und den Betrieb in Selm am Donnerstag geschlossen. Die Vorgänge in dem Schlachthof sind durch Videos und Bilder dokumentiert. Die Aufnahmen aus den vergangenen drei Wochen wurden dem Verein "Soko Tierschutz" zugespielt. Der hat Strafanzeige gestellt und das Material an die zuständigen Behörden weitergegeben.
Dem ARD-Magazin FAKT liegen die Aufnahmen exklusiv vor. Darauf ist etwa zu sehen, wie ein Rind aus der Betäubungsbox kommt - ohne betäubt zu sein. Es folgt ein minutenlanger Todeskampf. "Totale Panik, totale Angst und das Tier wird langsam von der Seilwinde hochgezogen", beschreibt der Chef der Soko Tierschutz, Friedrich Mülln die Szene. "Man sieht, es ist bei vollem Bewusstsein. Es atmet, es strampelt." Dann wird das Tier von den Schlachtern noch einmal fixiert. Diese Vorgänge hätten die Tierschützer knapp 200 Mal in den vergangenen Wochen gesehen. Es seien fast 200 Schlachtungen dokumentiert worden.
"Die Tiere werden bei vollem Bewusstsein abgestochen. Das Tier brüllt. Die Schlachter tun dies mit einer absoluten Routine", sagt Mülln. So geschehe es jeden Tag mit zehn bis 20 Schafen und drei bis vier Kühen. Es seien Zustände, die so in Deutschland bislang noch nicht dokumentiert worden seien.
Tierquälerei bei vollem Bewusstsein.
Schächten nur mit Ausnahme-Genehmigung erlaubt
Schächten ist das Töten von Tieren ohne Betäubung. Das ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Für Ausnahme-Genehmigungen aus religiösen Gründen müssen Antragsteller hohe Hürden überwinden. Das Vorgehen in diesem Betrieb ist "komplett illegal", sagt Amtsveterinär Kai Braunmiller. Er habe sich kundig gemacht und herausgefunden, dass der Schlachthof keine Genehmigung dafür hat.
"Nichtsdestotrotz müsste der Betrieb auch Mitarbeiter haben, die sachkundig sind", sagt Kai Braunmiller weiter. Auch dagegen werde vorsätzlich verstoßen. "Das ist an Dreistigkeit nicht zu übertreffen. Es wäre an der Zeit, das juristisch entsprechend zu ahnden, und dass die Verantwortlichen dafür ins Gefängnis gehen."
Einer der Betreiber des Betriebes, Hubert Prott, behauptet gegenüber FAKT am Telefon, dass er von diesen Vorgängen im Schlachthof nichts gewusst habe. Die Schlachter hätten immer ganz früh angefangen, da sei er noch nicht vor Ort gewesen. Doch auf Bildern ist Prott im Betrieb zu sehen, während parallel geschächtet wurde. Bei einer Schächtung der Schafe steht der Seniorchef weniger Meter von seinen Schlachtern entfernt.
Hätte es den Behörden auffallen müssen?
Es ist ein Vorgehen, das laut den Tierschützern zumindest den Behörden hätte auffallen müssen. "Katastrophale Bedingungen und irgendwie scheint es keiner zu bemerken", schimpft Friedrich Mülln. Bei den Rindern haben die Schlachter nach der Schächtung den Tieren noch einen Bolzenschuss verpasst - offenbar zur Verschleierung. Doch es hat auch Tierkörper ohne Schuss gegeben. "Auf den ganzen Bildern ist kein einziger Veterinär zu sehen. Niemand, der die Betäubung kontrolliert, niemand der sich fragt, warum die Tiere da hängen und kein Loch im Kopf haben."
"Es finden regelmäßig Kontrollen statt", sagt der Pressesprecher des zuständigen Veterinäramtes im Landkreis Unna, Volker Meier. Er verweist darauf, dass die Aufnahmen in den ganz frühen Morgenstunden entstanden seien. Die Kontrollen des Amtes in "einem normalen Schlachtbetrieb, sind offensichtlich nicht in den Zeiträumen, in denen dieses Schächten stattfindet". Die Aufnahmen seien zum Teil bereits um 4 Uhr morgens gemacht worden. FAKT liegen die Angaben vor, wann in den letzten Wochen im Schlachthof geschächtet wurde. Häufig fing dieses Vorgehen tatsächlich sehr früh an, doch immer wieder endete es auch erst nach 11 Uhr.
Tierschützer widersprechen Ministerium
Doch noch an einer anderen Stelle gibt es Ungereimtheiten. So habe der Landkreis bereits in den Jahren 2002, 2009 und 2017 anonyme Hinweise zum illegalen Schächten in diesem Betrieb erhalten, erklärt der Landkreis Unna schriftlich gegenüber FAKT. Anschließend seien zur Überprüfung einer ordnungsgemäßen Betäubung, Rinderköpfe in eine Pathologie gesandt worden. Das Ergebnis: die "Betäubungslöcher" im Schädel der Tiere seien erst nach deren Tod gesetzt worden.
Ein anschließend eingeleitetes Verfahren endete vor Gericht in einem Vergleich. Spätere Untersuchungen von eingesandten Rinderköpfen hätten keine neuen Hinweise auf fehlerhafte Betäubung geliefert. Seitdem werde der Schlachthof regelmäßig kontrolliert. So heißt es in der Presseerklärung des Landkreises und des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in NRW: "Es werden monatlich circa 100 Schafe und Rinder regulär mit Betäubung unter amtlicher Überwachung geschlachtet."
"Für uns ist das ein Betrieb mit zwei Gesichtern", sagt der Staatssekretär im Ministerium, Heinrich Bottermann. Es sei der offizielle Betrieb unter behördlicher Aufsicht, in dem Tiere mit Betäubung getötet würden und anschließend das Fleisch untersucht werde. "Und daneben ist eben ein Bereich aufgetaucht, der außerhalb des behördlichen Stranges läuft."
Die Tierschützer widersprechen diesen Aussagen und erklären, dass im Schlachthof in den vergangenen drei Wochen 189 Tiere getötet worden seien - davon nur vier mit Betäubung. Der Rest sei geschächtet worden. Die Behörden sollen nun auch aufklären, ob es das Hauptgeschäft des Betriebes gewesen ist.