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"Global Video Church" Radikalisierung einer Online-Kirche

Stand: 10.03.2022 18:43 Uhr

Von Satan gesteuerte Regierungen, Teufelsaustreibungen über Telegram, Impfen - des Teufels. Eine Online-Kirche aus Bingen wähnt sich seit Beginn der Corona-Pandemie im Endkampf und will nun sogar einen eigenen Staat gründen.

Gegen die Ehe für alle, Sex vor der Ehe oder Abtreibungen - schon früher fiel die Online-Kirche "Global Video Church" Beobachtern als Gemeinde mit extremen Haltungen auf - begründet mit einer wörtlichen Auslegung der Bibel. Doch seit der Pandemie heißt es in den Videos des YouTube-Kanals, Corona sei ein Teil des "Endzeitszenarios", der Satan wolle eine "Weltherrschaft" aufbauen, Mikrochips im Gehirn seien keine Verschwörungstheorie, "feurigen" Christen werde es am Ende wie den Juden im Dritten Reich ergehen. Inga Haase, Gründerin des Vereins "GVC Global Video Church e.V." und Predigerin in den YouTube-Videos ruft Christen dazu auf, Europa zu verlassen und sich an der Gründung eines eigenen Christen-Staats zu beteiligen. 19.900 Menschen folgen dem Kanal.

Philipp Kohler, Experte für Weltanschauungsfragen bei der evangelischen Landeskirche Württemberg, beobachtet den Online-Auftritt der Gemeinde schon seit der Gründung etwa 2014. Aus seiner Sicht hat sich die "Global Video Church" von einem professionell gestalteten theologischen Nischenkanal hin zu einem politischen Kanal mit klarer Systemkritik entwickelt. "Richtig problematisch ist es meines Erachtens geworden, seitdem Corona angefangen hat und man angefangen hat, diese starke endzeitliche Ausrichtung zu haben. Indem man das System kritisiert, in dem wir leben. Indem man sagt, dass einzelne große Institutionen das Land regieren und steuern." Während GVC früher eine umstrittene Hauskirchenbewegung gewesen sei, bilde sie jetzt "ein Einstiegstor zu gefährlichem Verschwörungsdenken und offener Demokratiefeindlichkeit".

Telegram: "Manchmal braucht es echte Waffen"

Jasmin Neumann, die in Wirklichkeit anders heißt, hat sich über Wochen mit der "Global Video Church" beschäftigt. In ihrem Bekanntenkreis habe sie von einer Person gehört, die über eine Berufsfachschule für pastorale Führungskräfte (THS) in Kontakt mit der "Global Video Church" gekommen sei. Die THS verfügt mittlerweile über drei Standorte in Deutschland und wurde vor einigen Jahren von Inga Haase und ihrem Mann gegründet. Jasmin erzählt: "Die Person hat sich innerhalb kürzester Zeit so verändert, dass sie mittlerweile fast alle Kontakte in ihr altes Leben abgebrochen hat - das ganze Umfeld macht sich große Sorgen." Eine Anfrage des SWR ließ die THS unbeantwortet. Jasmin jedenfalls wollte mehr über diese Gemeinschaft herausfinden.

Unter falschem Namen baute sie Kontakte zu Mitgliedern der "Global Video Church" und der Berufsfachschule auf, führte lange, persönliche Videotelefonate mit Inga Haase und weiteren Mitgliedern, traf sich mit einer Person auch persönlich. Zu Beginn stellte sie sich in einer der Telegram-Gruppen der "Global Video Church" als verzweifelte junge Frau auf der Suche dar. Sie zeigt uns Chatprotokolle. Darin vergleicht ein Gruppenmitglied geimpfte Menschen mit Baalanbetern, die niedergemacht werden müssten. "Manchmal braucht es echte Waffen", steht dort in diesem Kontext. Ein anderes Mitglied, das überlegt, ob die Impfung nicht doch eine Option sein könne, bekommt als Reaktion: "Verschwinde aus der Gruppe Satan. In Jesu Namen. Amen."

Sehnsuchtsort Paraguay

Studentin Jasmin bewirbt sich auch an der Berufsfachschule THS, die zwar von Inga Haase und ihrem Mann in Bingen gegründet wurde, heute aber nicht mehr von ihnen geleitet wird. Von Inga Haases Tochter wird sie zu einem Online-Bewerbunsgespräch eingeladen, an dem mehrere Bewerber teilnehmen. Eine Aufgabe für Jasmin: Ein kurzer Impulsvortrag zum Thema "Ehe für alle". Die Studentin blieb in ihrer gespielten Rolle, sagte entgegen ihrer tatsächlichen Meinung unter anderem, anhand der Bibel werde deutlich, "dass die Ehe für alle widernatürlich ist", sie "Gottes Intention" widerspreche und den Menschen schade. Sie wird an der BAföG-berechtigten Berufsfachschule angenommen.

Die Bewerbung an der THS ist für die Studentin nur eine Erfahrung von vielen. Über persönliche Chats und Videotelefonate lernt sie schnell die Akteure der "Global Video Church" näher kennen. Ihre Erfahrung: "Ich war da ganz schnell drin in einem Netzwerk. Alle haben mich so offen aufgenommen, haben eine unglaubliche Warmherzigkeit ausgestrahlt und mir auch immer neue Ansprechpartner genannt." Sie verspürte einen Kontrast, der sie in den vergangenen Wochen beschäftigt habe: "Wie passt das zusammen, dass so herzliche Menschen, die mich in einer vermeintlich verzweifelten Situation aufgenommen habe, so böse Inhalte vermitteln?"  

Inga Haase lebt inzwischen mit ihrem Mann in Paraguay, auch die stellvertretende Vorsitzende des Vereins hat sich dorthin auf den Weg gemacht. Die Vision: Die Gründung eines eigenen Staates - mit eigenen Schulen, Krankenhäusern und Wissenschaft, heißt es. In einem Videochat mit der stellvertretenden Vorsitzenden kündigt diese an, "wehrhaft (zu) sein, wir werden eine eigene Polizei haben. Und wir werden uns auch selbst verteidigen. Natürlich". Unter Corona-Leugnern gilt Paraguay als Sehnsuchtsort. Etliche haben sich aus Deutschland auf den Weg gemacht, um dort eigene Kolonien zu gründen und der vermeintlichen Corona-Diktatur zu entkommen.

Gefälschte Impfausweise: Codewort "Orange"

Jasmin Neumann fragte sich, wie weit die Gruppe geht und fragte in einem Chat nach, ob sie nicht einen gefälschten Impfpass bekommen könne. Inga Haase schrieb sie daraufhin privat an, Jasmins Frage sei "gefährlich", schickte dann aber doch eine Sprachnachricht, in der es hieß, sie habe "zwei Adressen, wo das sehr gut erhältlich ist und zuverlässig". Sie könne Jasmin sehr gerne helfen und sagte weiter: "Also halte durch, beuge dich bitte nicht. Weil mit jedem einzelnen Menschen, der sich beugt, geben wir diesem ganzen bösen System mehr Macht." Innerhalb der Gemeinschaft spricht man in Zusammenhang mit dem Verkauf von gefälschten Impfpässen Jasmins Erfahrungen zufolge von "Orangen". Eine SWR-Anfrage hierzu lassen Inga Haase und die Berufsfachschule, zu der neben dem Hauptstandort in Bingen auch Standorte in Berlin und Nürnberg gehören, unbeantwortet.

Zuletzt habe Inga Haase Jasmin nahegelegt, ihr vermeintliches Studium an der THS online von Paraguay aus durchzuführen und sich parallel dort aktiv in GVC-Projekte einzubringen. Jasmin beendet ihr Projekt, ihr Fazit: "Was mich schockiert hat ist, dass man da quasi relativ schnell auch mit reingezogen wird und zur Isolation aufgefordert wird. Und mir so schnell auch nahegelegt wurde, nach Paraguay zu kommen." Ihre Erfahrungen ließen sie auch traurig zurück. "Viele dieser Menschen, denen ich begegnet bin, sollten eigentlich woanders aufgefangen werden. Und das macht es dann natürlich noch mal ein bisschen schwieriger, damit umzugehen. Dass man merkt, die Leute driften ab. Sie wirken für mich aber nicht wie böse Menschen."