AfD-Aussteiger packen aus Wenn Hass zum Alltag wird
Zwei ehemalige AfD-Funktionäre packen aus: Ihre Schilderungen und Chat-Protokolle bieten einen Einblick in das Innenleben der AfD und ihrer Jugendorganisation: Rassismus, Gewaltfantasien und Hass auf Homosexuelle gehören zum Alltag.
Dem ARD-Politikmagazin Kontraste liegen umfangreiche Chatkommunikationen aus Kreisen der AfD und ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) vor. Die Chats offenbaren, wie sehr rassistische Äußerungen, Hass auf Homosexuelle und Gewaltfantasien in der Partei und ihrem Umfeld akzeptiert sind. Die ehemaligen AfD-Mitglieder Alexander Leschik und Nicolai Boudaghi haben die Chats Kontraste zur Verfügung gestellt und berichten darüber auch in einem Buch.
Protokolle des Hasses
"Stoppt Tierversuche nehmt Flüchtlinge", schreibt etwa ein junger Mann in einer WhatsApp-Gruppe von JA-Mitgliedern in Braunschweig. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe der JA schreibt ein Anderer: "Schwule sind in meinen Augen auch meistens Viecher…". Ein Mitglied der JA in Baden-Württemberg fordert in einem Chat: "Man sollte diese ganzen Volksverräter hinrichten lassen, das ganze Kabinett Merkel."
"Das einzige Ticket, dass [sic!] ich einem Flüchtling geben würde, wäre ein Ticket nach Auschwitz Birkenau." - schreibt jemand in einer Chatgruppe des Stammtischs der AfD-Jugendorganisation JA in Heidelberg im Jahr 2018. Es folgt eine eher halbherzige Rüge für die Hetze: "Alter, reiß Dich zusammen. Beim nächsten Mal schmeiß ich Dich hier raus."
"Niedere Menschenformen sexuell zu demütigen ist ein Beleg für die Überlegenheit der weißen Rasse", heißt es 2018 in einer Gruppe von AfD-Mitgliedern und Interessenten in Norddeutschland.
AfD-Aussteiger bereut: "Es ist unentschuldbar"
Auch die beiden AfD-Aussteiger Leschik und Boudaghi haben sich in solchen Gruppen geäußert. Als 17-Jähriger teilte Alexander Leschik bei Facebook über einem Bild von einem AfD-Infostand die Nazi-Parole: "Deutschland Erwache". Er bezeichnete die Antifa als moderne SA, die Sturmabteilung der NSDAP. Heute, so sagt er, bereut er beides: "Es ist unentschuldbar und ein Sinnbild dessen, was damals in der Partei schon Usus war", wie er im Interview mit Kontraste erklärt.
Leschik ist schon mit 15 Jahren in die JA eingetreten, später saß er im Bundesvorstand der AfD-Jugend. Vorher hatte er sich Veranstaltungen der Jungen Union und der Jusos angeschaut, doch die AfD habe auf ihn "durchlässiger" gewirkt, hier habe er schneller interessante Kontakte knüpfen können, so seine Erklärung heute. "Ich bin 2015 mit viel Idealismus eingetreten und habe mich sehr stark engagiert. Heute bin ich desillusioniert. Ich bin in eine konservative Partei eingetreten und in einer rechtsradikalen Partei aufgewacht."
"Es ging um reine Provokation"
Zum muslimischen Fastenmonat Ramadan hat Nicolai Boudaghi auf Facebook ein Bild mit einer Schweinshaxe veröffentlicht: "Es ging um reine Provokation, um reine Aufmerksamkeit, ich würde es nicht noch mal machen. Das ist ein Stilmittel, das nicht in die Politik gehört." Boudaghi ist 2013 der AfD beigetreten, später wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der JA.
Der Mann mit persischen Wurzeln aus dem Ruhrgebiet wurde, so sagt er selbst, zum "Posterboy" der AfD. Es sei vor allem darum gegangen, zu zeigen: "Hey, wir haben jemanden mit Migrationshintergrund, dann können wir gar nicht zu rechts sein." Doch Boudaghi hat immer wieder mitbekommen, wie Parteifreunde ihn hinter seinem Rücken rassistisch verunglimpften, beispielsweise, in dem sie statt seinem Nachnamen den des ehemaligen IS-Terrorführers Baghdadi nutzten.
Schwarze unerwünscht
Besonders ein Moment habe ihm gezeigt, dass er wohl doch falsch in der Partei ist: Boudaghi schildert, er habe zwei schwarze Interessentinnen zu einem Stammtisch der jungen Alternative eingeladen. Anschließend habe ihn ein AfD-Kreisvorsitzender angerufen, um ihm mitzuteilen, dass "diese Menschen" nicht in die Partei gehören würden. Der AfD-Funktionär habe sie mit dem N-Wort betitelt und gesagt, sie würden Bananen von den Bäumen pflücken, so Boudaghi.
Trotz solcher Erfahrungen sind Leschik und Boudaghi lange in der Partei geblieben. Grund dafür sei ihre Hoffnung gewesen, intern etwas verändern zu können, so ihre Erklärung auf Nachfrage von Kontraste. Heute glauben Leschik und Boudaghi, die sich als Patrioten bezeichnen, dass sie Deutschland mit ihrem Engagement geschadet haben.
Die AfD und der Verfassungsschutz
Die Junge Alternative wurde im Januar 2019 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Seitdem darf die Behörde Mitglieder der Jungen Alternative beobachten oder auch V-Leute einsetzen.
Boudaghi überrascht das nicht: "Mich hat nur gewundert, wie lahm der Verfassungsschutz eigentlich war. Ich kann Ihnen sagen, wenn die ihre Arbeit vernünftig gemacht hätten, dann wäre die AfD längst Beobachtungsobjekt und die Junge Alternative wäre längst auf dem Niveau der der NPD. [...] Was ich da für Sachen mitbekommen habe, die hätten drei Mal gereicht für eine Beobachtung."
Meuthen und die Angst vor der Beobachtung
Kurz vor seinem Austritt aus der AfD im Frühjahr 2021 hat Leschik noch an einer online Veranstaltung mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen teilgenommen. Er erinnert sich, dass Meuthen gesagt habe, dass sich die AfD und die Junge Alternative in einem Punkt nicht unterscheiden würden: Es gebe Leute, die die Beobachtung durch den Verfassungsschutz geradezu "„geil" finden würden. Solche Leute gebe es in der AfD bis hinein in hohe Mandatsträgerkreise. Und er soll hinzugefügt haben, dass die Beobachtung "kein Ritterschlag" sei, unabhängig, ob die Beobachtung berechtigt oder unberechtigt geschehe. Für die Partei sei das fatal.
Auf Anfrage von Kontraste schreibt Meuthen, dass er diese Aussagen nicht bestätige, er "nehme dazu auch nicht Stellung". Weiter schreibt er: "Ich werbe ja immerzu dafür, Wort und Tat sinnvoll und besonnen zu wägen, um nicht womöglich emotionalisiert und mitgerissen denen in die Karten zu spielen, die uns zu Unrecht verfassungsfeindliche Gesinnung unterstellen wollen."