Zahlreiche Ferkel in einem Stall
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Tierschutz in der Landwirtschaft Rohe Gewalt gegen Ferkel

Stand: 28.06.2024 15:52 Uhr

Mitarbeiter, die Ferkel quälen und auf sie einprügeln. Kontraste liegen Bilder aus einem Zuchtbetrieb vor, die offenbar massive Tierschutzverstöße zeigen. Wieso kommt es immer wieder zu Skandalen in den Mega-Ställen?

Von Hannah Clement, Pune Djalilevand und Carla Spangenberg, RBB

Ein Arbeiter sitzt auf einem Ferkel und prügelt mit bloßer Faust auf dessen Kopf ein. Offenbar wahllos werden Tiere durch Gänge geworfen, getreten und wohl zur Belustigung angemalt. Es sind verstörende Bilder, die dem ARD-Politikmagazin Kontraste zugespielt wurden. Über vier Monate lang hat ein Aktivist der Tierschutzorganisation "Animal Equality" in einem Ferkelzuchtbetrieb in Sachsen-Anhalt gearbeitet und undercover gefilmt. So sind Bilder aus dem Alltag in der Ferkelproduktion entstanden, die Abgründe offenbaren - über eine Branche, die sich nur schwer kontrollieren lässt.

Verstörende Bilder von Tötungen

6.000 Mutterschweine umfasst die Zuchtanlage, in der Ferkel wie am Fließband erzeugt werden. Werden Tiere krank oder verletzt, müssen sie fachgerecht getötet werden. Dafür werden sie in der Regel zunächst betäubt, bevor sie durch einen Kehlschnitt entbluten. Die Videos aus dem Ferkelzuchtbetrieb zeigen offenbar, dass Ferkel beim Entbluten nicht vollständig betäubt sind - sie winden sich. Ein anderes Video zeigt, wie ein Arbeiter einem Saugferkel mit bloßen Händen das Genick umdreht. Ob das Tier zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hat, geht aus den Aufnahmen nicht klar hervor.

Verantwortlich für den Betrieb zur Zeit der Aufnahmen ist die Demva GmbH. Kontraste konfrontierte das Unternehmen mit dem Bildmaterial. Schriftlich erklärte es, aus Sicht der Demva seien das inszenierte Bilder, extra für die Kamera produziert. Das Ferkel, das durch einen Kehlschnitt ausblute, sei vorher betäubt worden und das Tier, dessen Genick umgedreht wurde, sei bereits längere Zeit tot, das sei an der Leichenstarre erkennbar.

Weiter heißt es: "Bei uns herrscht eine Null-Toleranz Politik und daher werden wir gegen (…) mittlerweile identifizierte Personen Strafanzeige erstatten." Die Demva GmbH teilt aber auch mit: Eine Person sei bereits im Jahr 2023 entlassen worden.

Bis Ende Juli 2023, also kurz bevor "Animal Equality" mutmaßliche Missstände dokumentiert hat, war die Demva der LFD Holding GmbH unterstellt - Deutschlands größtem Ferkelerzeuger und Marktführer. Nach eigenen Angaben produziert der Konzern pro Tag 4.000 Ferkel. Die LFD Holding ging aus dem Straathof-Imperium hervor. Adrianus Straathof - der sogenannte "Schweinebaron" - ignorierte das Tierschutzrecht so massiv, dass ihm schließlich vor zehn Jahren verboten wurde, Tiere zu halten. Das war damals bundesweit einmalig.

 

Das Tierhalteverbot hatte damals das Veterinäramt Jerichower Land durchgesetzt. Dort befindet sich auch die Zuchtanlage, in der die Aufnahmen von "Animal Equality" entstanden sind. Das Veterinäramt stand nicht für ein Interview mit Kontraste zur Verfügung.

Die SPD-Agrarpolitikerin Franziska Kersten sitzt für diesen Wahlkreis im Bundestag. Die Veterinärmedizinerin zeigt sich schockiert über die Bilder. "Die Aufnahmen von offensichtlich massivster Tierquälerei in dem Ferkelaufzuchtstall in Sachsen-Anhalt machen mich wütend und fassungslos zugleich. Ich bin zutiefst schockiert über die Brutalität, mit der die Mitarbeiter dort die Tiere behandeln und fordere die umgehende Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen", erklärt sie gegenüber Kontraste.

Große Ställe, kleine Ämter

Wie kann es sein, dass es immer wieder zu gravierenden Verstößen in den großen Schweineställen kommt? Zuständig für die risikobezogenen Kontrollen sind die Veterinärämter der Länder. Eine bundeweite Kontraste-Abfrage ergab, dass die Kontrollquote stark variiert. So wurden 2022 in Niedersachsen nur sechs Prozent der kontrollpflichtigen Betriebe auch wirklich kontrolliert. In Rheinland-Pfalz waren es 14 Prozent und in Sachsen knapp 42 Prozent. Sachsen-Anhalt rangiert mit 30 Prozent im oberen Mittelfeld.

Kontrollen seien nicht häufig und nicht effektiv genug, sagt Dorothea Frederking. Sie ist grüne Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt und beschäftigt sich seit Jahren mit Tierschutzverstößen. Grund für die unzureichenden Kontrollen sei unter anderem ein ungleiches Kräfteverhältnis zwischen unterbesetzte Behörden und riesigen Tierfabriken, "die gleich mit einer ganzen Schar von Anwälten kommen und sich den Anordnungen widersetzen", so Frederking.

Auch Kai Braunmiller von der Landesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz in Bayern gesteht ein, dass Riesenställe nur schwer kontrollierbar sind. Er leitet das Veterinäramt Bayreuth und sagt, bei einem Großbetrieb brauche man für eine ordentliche Kontrolle eigentlich 20 Personen, ein Amt habe aber nur fünf oder sechs.

Schwanzabschneiden erlaubt

Zu mangelhaften Kontrollen und unterbesetztem Veterinärämtern kommen in Deutschland teilweise lasche Vorgaben der Politik. Schweine neigen dazu, einander die Schwänze anzuknabbern - als Stressreaktion oder aus Langeweile. Deshalb schneiden viele Betriebe die Schwänze der Ferkel ab. Auch in den Aufnahmen aus dem Ferkelbetrieb in Sachsen-Anhalt ist das routinemäßige sogenannte Schwanzkupieren zu sehen. Der Betrieb erklärt hierzu, dies geschehe nach gesetzlichen Bestimmungen.

Tatsächlich ist es mit besonderer Genehmigung in Deutschland immer noch erlaubt - obwohl eine EU-Richtlinie es seit 30 Jahren verbietet. Andere Länder, wie etwa Finnland und Schweden haben das routinemäßige Abschneiden der Ringelschwänze bereits vollkommen verboten. Ein neus Tierschutzgesetz, das gerade in Berlin verhandelt wird, will hier voraussichtlich nachschärfen, aber es nicht konsequent verbieten.

Staatsanwaltschaft ermittelt

"Animal Equality" hat nun wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Betriebs und einige Mitarbeiter gestellt. Die Staatsanwaltschaft Stendal leitete Ermittlungen ein. Laut einer Untersuchung kommt es bei Tierschutzverstößen in der Landwirtschaft nur in sechs Prozent der Fällen zu einer Anklage.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Kontraste" am 28. Juni 2024 um 21:45 Uhr.