Spionage in Deutschland "Russland wird alle Methoden nutzen"
Verfassungsschutzpräsident Haldenwang warnt im Gespräch mit Kontraste vor einer Zunahme russischer Spionageaktivitäten in Deutschland. Laut seiner Behörde wird Russland dabei auch vermehrt auf Cyberangriffe setzen - für Spionage und Sabotage.
Von David Hoffmann, Daniel Laufer und Markus Pohl, RBB
Das Bundesamt für Verfassungsschutz befürchtet, russische Geheimdienste könnten in Deutschland künftig aktiver werden. Das sagte Präsident Thomas Haldenwang dem ARD-Politikmagazin Kontraste. "Russland wird alle Methoden nutzen, um seinen Einfluss zu vergrößern, um Erkenntnisse zu gewinnen und um sich Produkte zu beschaffen, die es für seine Rüstung braucht." Daher sei damit zu rechnen, dass es seine Spionageaktivitäten ausweiten werde. "Darauf müssen wir eingestellt sein", so Haldenwang. "Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Krieges."
Im Fokus haben russische Geheimdienste das politische Berlin. In der russischen Botschaft inmitten des Regierungsviertels und in seinen Konsulaten waren Anfang dieses Jahres nach Kontraste-Informationen 544 Diplomaten akkreditiert. Experten gehen davon aus, dass ein Drittel von ihnen für Putins Geheimdienste arbeitet. Der Verfassungsschutz weiß nach eigenen Angaben von etlichen als Diplomaten getarnten Agenten.
Getarnt als Diplomaten
"Der entscheidende Vorteil dieser Abtarnung ist, dass diese Personen strafrechtliche Immunität genießen", sagt Maik Pawlowsky, der beim Verfassungsschutz die Spionageabwehr leitet. "Sie können in Deutschland spionieren, aber der Staat kann diese Personen nicht strafrechtlich verfolgen. Wenn man sie auf frischer Tat ertappt, besteht nur die Möglichkeit, sie des Landes zu verweisen."
Aufgefallen war deutschen Sicherheitsbehörden Andrej Siwow, der in Deutschland zeitweise als Militärattaché akkreditiert war. Inoffiziell soll Siwow für den Militärgeheimdienst GRU gearbeitet haben. Im November 2022 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen von Siwows deutschen Kontakten wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für Russland. Der Reserveoffizier Ralph G. hatte dem GRU Informationen über die Bundeswehr geliefert. Zum Teil fanden die Übergaben direkt in der russischen Botschaft statt.
Siwow soll vor einigen Jahren versucht haben, einen Kontakt zu dem CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter aufzubauen. Wie der Außen- und Sicherheitspolitiker berichtet, habe Siwow ihn eines Abends vor dem Gebäude angesprochen, in dem er sein Abgeordnetenbüro hat. Der mutmaßliche GRU-Agent sei äußert freundlich gewesen und scheinbar zufällig mit seiner Ehefrau und seinem Hund vorbeispaziert. "Nach zwei, drei Fragen hat er dann zugegeben, dass er der russische Militärattaché ist", sagt Kiesewetter. "Das fand ich dann schon erstaunlich."
Kiesewetter fordert eine grundsätzliche Sensibilisierung für die Bedrohung, die von Russland ausgeht. Lange wurde die Spionage von der deutschen Politik anscheinend toleriert. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich etwas grundlegend geändert. Im April 2022 erklärte die Bundesregierung 40 russische Diplomaten zu unerwünschten Personen und forderte sie auf, Deutschland zu verlassen - darunter mutmaßliche Spione. Europaweit wurden mehr als 400 Diplomaten ausgewiesen.
"Das war ein harter Schlag für die russischen Nachrichtendienste", so Verfassungsschützer Pawlowsky zu Kontraste. Die durch menschliche Quellen erlangten Informationen seien für sie von besonderem Stellenwert. "Sie werden versuchen, dieses Informationsloch zu kompensieren - wie genau, lässt sich aktuell noch nicht prognostizieren."
Cyberangriffe aus der Ferne
Russland könnte künftig häufiger aus der Ferne angreifen. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass die russischen Dienste ihre Cyberaktivitäten verstärken könnten. Seit Jahren ist Deutschland ein Ziel solcher Attacken. Eine Gruppe, die Sicherheitsbehörden Sorgen bereitet, ist unter dem Namen "Ghostwriter" bekannt. "Wir gehen davon aus, dass hinter 'Ghostwriter' der GRU steht", sagt Jadran Mesic, Gruppenleiter der "Cyberabwehr" des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Seit Frühjahr 2021 hat "Ghostwriter" in Deutschland Dutzende Parlamentarier angegriffen sowie Personen, die anderweitig im politischen Raum aktiv sind. Die genaue Zahl ist unbekannt. Die Angreifer betreiben unter anderem sogenanntes Phishing: Sie verschickten gefälschte E-Mails und versuchten, ihre Zielpersonen dazu zu bringen, Passwörter preiszugeben. Dem Verfassungsschutz zufolge hat "Ghostwriter" dafür ein technisch wenig anspruchsvolles Programm namens "Gophish" genutzt.
In Deutschland ist der brandenburgische Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum von der CDU Ziel eines Cyberangriffs von "Ghostwriter" geworden. Im Frühjahr 2021 warnte ihn der Verfassungsschutz. "Man fragt sich: Warum wurde gerade ich ausgesucht?", sagt Eichelbaum. "Sind schon Daten verwendet worden? Was ist mit den Daten geschehen?" Eichelbaum bezweifelt, dass er bei der "Ghostwriter"-Fälschung damals tatsächlich sein Passwort eingegeben hat - ist sich aber nicht sicher. Eine öffentliche Reaktion der Angreifer blieb in seinem Fall offenbar aus.
Zugriff auf Social-Media-Konten
Haben die Angreifer erst einmal Zugang zum E-Mail-Konto ihrer Opfer, könnten sie etwa deren Adressbücher kopieren, sagt Mesic. Sie könnten "auch den Zugang zu dem E-Mail-Konto nutzen für Folgeaktivitäten, für Desinformationsoperationen und sich Zugang verschaffen zu den Social-Media-Accounts". So etwas könne gravierende Folgen haben - etwa während eines Wahlkampfs. Die Angreifer wollen den Ruf ihrer Opfer ruinieren. In Polen kaperte "Ghostwriter" den Twitter-Account eines ranghohen Politikers der regierenden PiS-Partei und veröffentlichte darauf Fotos, die eine Politikerin in intimen Posen zeigen sollte.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnt, russische Cyberangriffe könnten künftig zudem der Sabotage dienen. In anderen Ländern sei es zu schwerwiegenden Fällen gekommen - etwa in der Ukraine, wo russische Dienste die Stromversorgung angegriffen hatten. "Das sind Fähigkeiten, die vorhanden sind und von denen man annehmen kann, dass sie im Bedarfsfall auch gegen Deutschland eingesetzt würden."
Der Film "Im Visier des Kreml - Russische Spionage gegen Deutschland" - in der ARD-Mediathek