'Ndrangheta in Deutschland Steuerkarussell und Geldwäsche-Standort
Für die Mafia-Organisation 'Ndrangheta ist Deutschland einer der wichtigsten Stützpunkte. Internes Ermittlungsmaterial untermauert nach Recherchen von MDR und FAZ den Verdacht, dass hier Millionen an Drogengeldern gewaschen werden.
Das Leben von Domenico R. war bis zu seiner Festnahmen am 3. Mai 2023 ein hektisches. Der junge Mann war viel unterwegs. Er war mit einem Ford Kuga auf Achse, den er sich offensichtlich von seinem Großvater in München borgte.
Er fuhr nach Genk in Belgien, dann zurück nach München. Nur kurze Zeit später machte er sich auf die Reise nach San Luca in Kalabrien. Tausende Kilometer spulte er ab - unter den wachsamen Augen von Fahndern aus Italien, Deutschland und Belgien.
Denn Domenico R. ist Beschuldigter im bisher größten Verfahren gegen die italienische Mafia 'Ndrangheta, der Operation "Eureka". Rund 130 Verdächtige wurden Anfang Mai vergangenen Jahres weltweit festgenommen, allein 30 davon in Deutschland.
Undercover-Polizist eingeschleust
R. selber ist seit Anfang 2020 auf dem Radar, seit Ermittler die Brüder S. in Genk im Visier haben. Sie werden einer einflussreichen Familie aus San Luca zugerechnet und sollen Kokaingeschäfte zwischen Südamerika und Europa organisiert haben. Was die Brüder nicht wussten: Der belgischen Polizei gelang es im "Eureka"-Verfahren, einen Undercover-Polizisten bei ihnen einzuschleusen.
Der trifft dort eines Tages auf Domenico R. der ihm von den Brüdern S. als Cousin aus München vorgestellt wird. Damit weiten sich die "Eureka"-Ermittlungen auf die bayrische Landeshauptstadt aus. Interne Überwachungsprotokolle, die dem MDR und der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) vorliegen, geben jetzt einen einmaligen Einblick in die Aktivitäten der Gruppe in München. So stellten die Ermittler fest, dass Domenico R. wohl offenbar ein wichtiges Rädchen im Getriebe der Gruppe gewesen sein könnte.
"Vertrauenswürdiger familiärer Mitarbeiter"
Er soll für Verdächtige in München und Genk aus San Luca Kryptohandys besorgt haben. Dann wiederum erhielt er offenbar den Auftrag mitten in der Coronaphase, gefälschte Impfzertifikate für das Reisen in Europa zu besorgen. Später mietete er Autos für Fahrten zwischen San Luca, München oder Genk.
Die Fahnder notieren in den internen Unterlagen, R. scheine als "vertrauenswürdiger familiärer Mitarbeiter der Brüder S." zu agieren. Sein Anwalt weist alle Vorwürfe auf Anfrage zurück. Sein Mandant sei nie an Drogengeschäften beteiligt gewesen, teilt er mit.
Geldwäsche über Autowaschsalons?
Doch R. soll nur ein Teil der Gruppe in München sein. Zu ihr soll auch der junge Sebastian C. gehören, den die Fahnder ebenfalls zum harten Kern zählen. Gemeinsam mit einem mutmaßlichen Komplizen wurde er nach Südamerika geschickt. Die Ermittler gehen davon aus, dass die beiden neue Kokaingeschäfte anbahnen sollten. Angeleitet wurden sie dabei von Michele M., der in München offenbar einer der Organisatoren der Geldwäsche gewesen sein soll.
M. und ein weiterer Verdächtiger sollen dafür mehrere Autowaschsalons genutzt haben. Das legen ausgewertete Kryptochats des Anbieters SkyECC nahe, die der MDR und die FAZ auswerten konnten. Aus ihnen geht hervor, dass offenbar enorme Bargeldsummen aus Italien, unter anderem aus San Luca, nach München gebracht worden sein sollen. Diese sollen dann in den Bargeldumlauf der Waschanlagen geflossen sein.
Anhand von sichergestellten Belegen konnten die Ermittler feststellen, dass die Buchungen für Autowäschen offenbar nicht mit den Tageseinnahmen übereinstimmten. So finden sich in den Akten beispielsweise die Unterlagen des 8. März 2021: Zwei Kunden hatten sich an dem Tag angemeldet. Am Abend standen im Kassenbuch Tageseinnahmen in Höhe von: 15.653,30 Euro. Bei einem durchschnittlichen Preis von 100 Euro pro Pflege, rechnen die Ermittler in ihren Akten vor, wären das 156 Autos.
Steuerkarussell in Millionenhöhe
Die Fahnder stießen in den "Eureka"-Ermittlungen auf ein weiteres wichtiges Detail. Die Münchner Gruppe soll mit Komplizen in Italien Mehrwertsteuerbetrug begangen haben, um an Geld zu kommen und zugleich Finanzflüsse zu verschleiern.
Das Ganze sollen sie über Autohandelsfirmen abgewickelt haben. So sollen Rechnungen über Verkäufe gestellt worden sein, die es offenbar nur auf dem Papier gab. Bei den Finanzermittlungen stießen die Fahnder auf ein Steuerkarussell in Millionenhöhe.
Ebenfalls könnte Geld aus dem Kokainhandel beim Barkauf und Weiterverkauf von Luxuskarossen über die Autohandelsfirmen gewaschen worden sein. Die Anwälte der inzwischen in Italien angeklagten Männer aus München wollten sich auf Anfrage von MDR und FAZ nicht zu den Vorwürfen äußern.
Europaweite Vernetzung
Die internen Akten zeigen aber auch: Die Gruppe in München war europaweit gut vernetzt. Über verwandtschaftliche Beziehungen nicht nur nach San Luca oder Genk in Belgien, sondern auch nach Portugal und Erfurt in Thüringen.
Beide Verbindungen sind brisant, denn seit Mitte der 1990er Jahre soll von der Thüringer Landeshauptstadt aus die sogenannte Erfurter Gruppe agieren - eine mächtige Zelle der 'Ndrangheta in Deutschland. Eine Reihe ihrer mutmaßlichen Mitglieder gingen vor 20 Jahren nach Portugal und nach München. Nun tauchten einige aus Portugal in München wieder auf, um sich am Kauf von Restaurants zu beteiligen, wie die SkyECC-Chats zeigen.
Pizzerien als Fassade
Diese Verbindungen zur Erfurter Gruppe und weitere Aktivitäten dürfte die italienischen Ermittler bewogen haben, einen ihrer Kronzeugen zum Thema 'Ndrangheta zu befragen: Rocco Mammoliti. Seit Ende der 1990er-Jahre kooperiert der aus San Luca stammende Mammoliti mit den Ermittlern.
In seiner Vernehmung vom Februar 2021 in Rom, die MDR und FAZ vorliegt, machte er besonders zur Verwendung von Drogengeldern in Erfurt eine brisante Aussage. Dabei geht es um den Betrieb von bis zu vier Pizzerien in Erfurt.
Nach seinen Angaben wurden diese mit Erlösen aus dem Drogenhandel gekauft und betrieben. Zudem sollen sie nur als Fassade und zur logistischen Organisation dienen. Er nannte dazu auch die Namen von drei verdächtigen Italienern aus San Luca, die in Verbindung mit Erfurt und den Restaurants stehen sollen.
Ermittler sehen sich bestätigt
Damit wird erstmals durch einen Kronzeugen der italienischen Justiz bestätigt, was Ermittler des Bundeskriminalamtes, des Thüringer Landeskriminalamtes und der für Organisierte Kriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft Gera bereits Anfang der 2000er Jahre mit einem später eingestellten Verfahren mit dem Decknamen Fido untersucht hatten: dass die 'Ndrangheta mit mutmaßlichen Komplizen und ihren Strohleuten in Erfurt Restaurants und Pizzerien betreibt, die entweder mit Drogengeldern errichtet worden sind oder zur Geldwäsche dienen könnten.
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