Getöteter Georgier in Berlin Nirgendwo in Sicherheit
Die Nachricht vom Tod des Georgiers Khangoshvili war ein Schock für die Menschen in seiner Heimat, hielten sie Deutschland doch für sicher. Für sie ist klar, wer hinter dem Mord steht.
Zelimkhan Khangoshvilis Grab liegt auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfes Duisi, das sich entlang einer Straße durch das Pankisi-Tal in Georgien zieht. Es ist umgeben von bewaldeten Bergen. Im Norden ist die Gipfelkette des Kaukasus zu erahnen. Dahinter beginnt die russische Teilrepublik Tschetschenien.
Unten in Duisi und den anderen Dörfern im Pankisi-Tal sind die Menschen froh darüber, dass der Mord an Khangoshvili nicht ungesühnt bleiben soll. Als er am 23. August in Berlin getötet wurde und kurz darauf ein Verdächtiger mit russischer Staatsbürgerschaft festgenommen wurde, war nicht nur die Wut groß.
Khangoshvili wurde in seinem Heimatdorf im Pankisi-Tal begraben.
Viele hätten befürchtet, dass die deutsche Regierung ihre Beziehungen zu Russland nicht aufs Spiel setzen wollte und deshalb den Fall im Sande verlaufen lassen würde, sagt die Ärztin Nona Khangoshvili. Das änderte sich nun, als die Bundesregierung zwei russische Diplomaten auswies und die Bundesanwaltschaft den Fall übernahm unter dem Verdacht, dass der russische Staat den Auftrag erteilt haben könnte. Nun seien Verwandte und Bekannte aus dem Umfeld des Ermordeten zuversichtlicher, dass Gerechtigkeit hergestellt werde, so die Medizinerin.
Sie engagiert sich für ihre Mitbürger im Pankisi-Tal, die sich Kisten nennen und mit den Tschetschenen auf der russischen Seite verwandt sind. Die Ärztin steht auch mit Tschetschenen in Verbindung, die als Flüchtlinge in Europa leben. Diese seien nach dem Mord verunsichert gewesen. Nun hätten sie weniger Furcht.
Wie kam der Verdächtige zu seinem Visum?
Omar, ein Cousin des getöteten Zelimchan Khangoshvilis, hatte wie andere in der Gemeinde befürchtet, dass der Verdächtige nach Russland ausgeliefert und letztlich straffrei bleiben könnte.
Außerdem treibt sie die Frage um, wie es dem Verdächtigen gelingen konnte, mit einem gefälschten Pass ohne biometrische Daten im französischen Konsulat ein Schengen-Visum zu erhalten. Tschetschenen hingegen müssten viele Dokumente vorlegen und Fingerabdrücke abgeben.
Dass der Mord an Khangoshvili in Berlin geschehen konnte, löste unter Tschetschenen große Sorgen aus.
Der junge Journalist und Aktivist Sulkhan Bordzikashvili äußert die Hoffnung, dass die Hintermänner gefunden werden. Von Anfang an hätten sie vermutet, dass russische Spezialeinheiten hinter der Tat stehen. Es gehe der Führung Russlands darum, allein schon die Idee von einer Unabhängigkeit der Tschetschenen auszumerzen, ist Bordzikashvili wie andere Tschetschenen überzeugt.
Kein Islamist?
Khangoshvilis Schwester Zaira stürzte der Mord in tiefe Trauer. Ihr Bruder sei ein guter Sohn und respektierter Mann gewesen, der sich für andere eingesetzt habe. Begonnen hätten die Probleme bereits vor mehr als 15 Jahren, nachdem er aus dem zweiten Tschetschenienkrieg zurückgekehrt sei. Damals habe ein Paar versucht, ihren Bruder nach Tschetschenien zu entführen.
In seinem Heimatdorf wurde Khangoshvili geachtet, erzählt seine Schwester.
Im Krieg kämpfte Khangoshvili an der Seite des moderaten Kommandeurs Aslan Maschadow. Aber auch mit dem berüchtigten Terroristen Shamil Bassayev und anderen stand er in Verbindung. Der Journalist Bordzikashvili beteuert dennoch, Khangoshvili sei ein gläubiger Muslim, aber kein Islamist gewesen. Er habe sich auch gegen die Rekrutierung von Tschetschenen für die Terrormiliz "Islamischer Staat" eingesetzt. Wenn er mit Islamisten kooperiert habe, dann gegen den gemeinsamen Feind, der gegen die Unabhängigkeit der Tschetschenen sei - der russische Staat.
In den Jahren nach dem Krieg ging Khangoshvili verschiedenen Geschäften nach. Er habe mit Eisen und Honig gehandelt, sagt seine Schwester. Lebhaft erzählt sie vom Anschlagsversuch auf ihren Bruder 2015 in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Im Krankenhaus habe er ihr berichtet, wie ein Mann mit einer Pistole auf seinen Kopf gezielt und er sich mit seinem linken Arm geschützt habe.
Videoaufnahmen vernichtet?
Die georgischen Behörden haben die Tat bis heute nicht aufgeklärt. Videoaufnahmen sollen vernichtet worden sein. Bis jetzt schweigt die georgische Regierung zum Mord in Berlin. Das ist nur ein Grund, warum die Tschetschenen der Regierungspartei "Georgischer Traum", die 2012 ins Amt kam, nicht trauen.
Khangoshvili fühlte sich in Georgien nicht sicher, auch wenn ihn Freunde und Verwandte zu beschützen versuchten. Ein georgischer Pass mit dem Decknamen Tornike Kavtaradze verschaffte ihm ebenso wenig Schutz.
Der Mord wurde aufwendig vorbereitet.
Auch die Ukraine, wo er dann länger blieb, ist kein sicherer Ort für Tschetschenen, die gegen den russischen Staat gekämpft haben. Das zeigt zum Beispiel der Anschlag auf Timur Mukhauri. Er wurde 2017 in Kiew bei einer Explosion seines Autos getötet. Mukhauri hatte mit Khangoshvili im zweiten Tschetschenenkrieg gekämpft. Er lebte ebenfalls im Pankisi-Tal und stand in Verbindung mit der Regierung von Präsident Michail Saakaschwili, der bis 2013 im Amt war. Als dieser Gouverneur im ukrainischen Odessa wurde, ging Mukhauri mit ihm dorthin.
Wer gab den Auftrag?
Wer den Mord an Khangoshvili in Auftrag gab, darüber sind sich Verwandte, Bekannte und andere Tschetschenen einig: Sie glauben, dass es russische Geheimdienste waren. Tschetscheniens Präsident Ramzan Kadyrov sei es nicht gewesen, ist nicht nur der Journalist Bordzikashvili überzeugt. Dafür sei der Anschlag viel zu aufwendig organisiert worden. Es sei nur ein Zufall, dass der Mord am Geburtstag von Kadyrows Vater geschah, der 2004 bei einem Attentat getötet wurde.
Khangoshvili habe sich auch keine Feinde unter den Tschetschenen geschaffen, als er 2012 bei einem Einsatz georgischer Sicherheitskräfte gegen tschetschenische Kämpfer in Georgien als Vermittler aktiv geworden sei. Der Fall sei bei einem Treffen eines Ältestenrates besprochen worden.
Im russisch-georgischen Krieg 2008 wollte sich Khangoshvili mit anderen Tschetschenen an den Kämpfen gegen die russischen Streitkräfte beteiligen. Als die georgische Regierung das Angebot ablehnte, gingen sie in die Wälder, um das Pankisi-Tal vor möglichen Angriffen aus Russland zu schützen. Daran kann sich Bordzikashvili noch gut erinnern, er begegnete den Kämpfern damals selbst.
Ein hohes Risiko
Warum der Mord im August in Deutschland geschah, darauf gibt es noch keine Antwort. Manche, wie der Menschenrechtsaktivist Simon Papuashvili, weisen darauf hin, dass Exil-Tschetschenen versuchen, sich zu organisieren und dass dies in Russland als potenzielle Gefahr gesehen wird.
Wer immer aber den Auftrag gab, war bereit, die Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland in Kauf zu nehmen. Oder derlei Folgen spielten für ihn keine Rolle.
Während Khangoshvili russische Medien nun noch intensiver als islamistischen Terroristen darstellen, hoffen Verwandte und Bekannte, dass nicht nur der Mörder bestraft, sondern auch die Hintermänner gefunden werden.
Erleichtert ist die Familie Khangoshvilis im Pankisi-Tal, dass seine Kinder und seine Ex-Frau inzwischen in Deutschland Asyl erhielten. Er hatte sich vergeblich darum bemüht.