LNG-Terminal in Brunsbüttel.
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Überflüge und Warnungen Russische Drohnen über Deutschland?

Stand: 23.08.2024 15:55 Uhr

Über Industrieanlagen wurden Drohnen gesichtet - die Behörden gehen von Militärdrohnen aus. Am NATO-Stützpunkt in Geilenkirchen wurde zeitweise die zweithöchste Sicherheitsstufe ausgerufen. Steckt Russland dahinter?

Es begann in der Nacht zum 8. August. Da wurde erstmals eine Drohne über dem Industriegebiet ChemCoast Park in Brunsbüttel im Kreis Dithmarschen festgestellt. Seitdem gab es mehrere unerlaubte Überflüge von Drohnen, zuletzt am gestrigen Donnerstag. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Flensburg wegen des Verdachts der "Agententätigkeit zu Sabotagezwecken im Zusammenhang mit wiederholten Drohnenflügen über kritischer Infrastruktur in Schleswig-Holstein".

Beim schleswig-holsteinischen Landeskriminalamt (LKA) ist mittlerweile eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) mit den Ermittlungen befasst. Unterstützt wird die Polizei auch von den Bundessicherheitsbehörden wie dem Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei. 

Es besteht der Verdacht, dass es sich bei den unbekannten Fluggeräten um russische Militärdrohnen handeln könnte, die gezielt Industrieanlagen ausspähen. Nach Angaben der Polizeidirektion Itzehoe wurden unerlaubte Drohnenflüge in den vergangenen Tagen nicht nur über dem Industriepark Brunsbüttel, sondern auch über einem neuen LNG-Terminal und dem stillgelegten Kernkraftwerk Brunsbüttel festgestellt.

Militärdrohnen vermutet

Die Drohnen waren bislang nur nachts unterwegs, technisch sollen sie nicht zu orten sein. Auch ein Abschuss einer Drohne ist bislang nicht gelungen. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um Militärdrohnen handeln könnte, die speziell konstruiert sind, um Detektionssystemen zu entgehen. 

Auch das Flugverhalten soll auffällig sein und eher gegen Hobbydrohnen sprechen: Die Fluggeräte waren demnach mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Kilometern pro Stunde unterwegs, sie wechselten häufiger die Flughöhe. Sogar gezielte Anflugmanöver auf Polizeidrohnen, die zur weiteren Aufklärung eingesetzt wurden, sollen stattgefunden haben. Auch sollen die Drohnen mehrfach Lichter ein- und ausgeschaltet haben.

Die Sicherheitsbehörden versuchen schon seit Tagen zu klären, von wo die Drohnen gestartet wurden. Möglich wäre beispielsweise ein Einsatz von russischen Schiffen in der Nord- und Ostsee aus. Ebenso denkbar wäre, dass die Drohnen aus der rund 800 Kilometer entfernten russischen Exklave Kaliningrad abheben.

"Erhöhte Gefährdung"

Schon seit einiger Zeit befürchten Sicherheitsbehörden wie das für die Spionageabwehr zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dass Russland den sogenannten "hybriden Krieg" gegen den Westen weiter eskalieren lassen könnte - etwa durch die Ausspähung oder sogar Angriffe auf kritische Infrastruktur. 

"Die seit 2023 europaweit beobachteten Fälle sowie vermehrte Hinweise auf mögliche Aktivitäten in Deutschland führen aktuell zu einer angepassten Bewertung", warnte der Verfassungsschutz erst im Juli. "Es besteht eine erhöhte Gefährdung in Bezug auf Sabotageaktivitäten bzw. entsprechende Vorbereitungshandlungen in Deutschland."

Bundeswehrkasernen im Fokus

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind beispielsweise vermehrt Drohnen über militärischen Einrichtungen wie Truppenübungsplätzen der Bundeswehr gesichtet worden. Wer für die Überflüge verantwortlich war, konnte in kaum einem Fall geklärt werden. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) ging allerdings dem Verdacht nach, dass mit den Drohnen möglicherweise Ausbildungskurse ukrainischer Soldaten in Deutschland ausgekundschaftet werden sollten.

Mitte August wurden mehrere Bundeswehrkasernen, unter anderem in Köln-Wahn, kurzzeitig geschlossen und abgeriegelt. Nachdem Löcher in Zäunen festgestellt und unbekannte Personen auf dem Gelände bemerkt worden waren, bestand die Befürchtung, dass möglicherweise die Trinkwasserversorgung der Militäreinrichtungen vergiftet worden war. Der Verdacht bestätigte sich allerdings nicht.

Zeitweilig zweithöchste Warnstufe

Allerdings wurde am Donnerstagabend für den NATO-Stützpunkt im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen die zweithöchste Warnstufe "Charlie" ausgerufen. Einige Mitarbeiter der Basis wurden nach Hause geschickt. Als Grund für die Warnung nannte die NATO "nachrichtendienstliche Informationen, die auf eine mögliche Bedrohung hinwiesen". Inzwischen gelten wieder die bisherigen Sicherheitsvorkehrungen, sagte ein Sprecher des Stützpunktes der Nachrichtenagentur dpa. Zur Art der Bedrohung werde nichts mitgeteilt, sagte er.

Nach WDR-Informationen hatte es kürzlich einen Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes gegeben, wonach die Gefahr von Drohnenangriffen durch russische Akteure auf den NATO-Stützpunkt Geilenkirchen bestehe. In Geilenkirchen sind AWACS-Flugzeuge der NATO stationiert, die unter anderem für Luft- und Seeraumüberwachung eingesetzt werden und auch in Einsätzen als eine Art fliegende Kommandozentrale dienen. Das Militärbündnis verfügt über mehr als ein Dutzend solcher umgebauten Flugzeuge vom Typ Boeing-707.

Sabotageakte in Europa

In den vergangenen Monaten waren europaweit mehrfach Attentate verhindert oder aufgeklärt worden, bei denen der Verdacht besteht, dass es sich um russisch-gesteuerte Sabotageaktionen handelt. In Polen etwa gab es einen Brandanschlag auf ein Einkaufszentrum, in London wurden Lagerhallen einer Firma angezündet, die in die Ukraine-Hilfe eingebunden ist. In Frankreich wurde ein Tatverdächtiger festgenommen, der Sprengsätze gebaut und aus prorussischer Motivation heraus Anschläge geplant haben soll.

Der Verfassungsschutz warnt davor, dass Russland zunehmend neben den klassischen Geheimdienstmitarbeitern auf angeworbene Attentäter setzt, die teilweise über Online-Kanäle rekrutiert und angeleitet werden. Solche "Low-Level-Agents" oder "Single-Use-Agents" werden demnach für einfache Sabotageaktionen wie Brandanschläge eingesetzt.

Im April wurden in der Region Bayreuth zwei Deutsch-Russen festgenommen, die laut Generalbundesanwalt geplant haben sollen, hierzulande Sabotageanschläge für Russland zu verüben. Sie sollen zu diesem Zweck bereits Bahngleise, Truppenübungsplätze und militärische Infrastruktur ausgekundschaftet haben.

Dietrich Karl Mäurer, ARD Berlin, tagesschau, 23.08.2024 14:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR 1 Welle Nord am 22. August 2024 um 19:30 Uhr in den Nachrichten für Schleswig-Holstein und die tagesschau am 23. August 2024 um 14:00 Uhr.