Verschweißte Pakete mit Kokain (Archivbild)
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Beschlagnahmte Drogen Zollfahnder warnen vor Sicherheitslücken

Stand: 27.06.2024 06:09 Uhr

In Deutschland steigt die Menge des sichergestellten Kokains stetig an - und damit auch die Gefahr, dass Kriminelle versuchen könnten, die Drogen mit Waffengewalt wiederzuerlangen. Zollfahnder sehen laut Recherchen von NDR und WDR eine wachsende Gefährdungslage.

Von Florian Flade, WDR, und Benedikt Strunz, NDR

Der Hinweis kam offenbar aus Antwerpen und ging beim Hamburger Zoll ein. Eine Gruppe französischer Krimineller plane einen bewaffneten Überfall auf eine sogenannte Verwahrstelle in Hamburg, warnten die belgischen Behörden. Ziel der Bande sei es, sich 500 Kilogramm sichergestelltes Kokain zurückzuholen. Erst wenige Tage zuvor hatten die Hamburger Zöllner offenbar tatsächlich 480 Kilogramm Kokain in einem Schiffscontainer entdeckt.

Es sind solche Szenarien, vor denen Zollfahnder schon seit Jahren warnen: Die Menge des in Deutschland sichergestellten Kokains wächst von Jahr zu Jahr, und damit auch die Gefahr, dass Kriminelle versuchen könnten, das vom Staat eingelagerte Rauschgift mit Waffengewalt wiederzuerlangen. Etwa durch Überfälle auf Lager oder Transporte. Am Mittwoch hatte zudem das Bundeskriminalamt (BKA) das neue Lagebild zur Rauschgiftkriminalität vorgestellt. Demnach haben sich die Sicherstellungsmengen von Kokain in den vergangenen beiden Jahren verdoppelt - auf rund 43 Tonnen im Jahr 2023.

Dem Zoll fehlt gute Ausrüstung

Nach Recherchen von NDR und WDR sind Zollfahnder offenbar nur unzureichend ausgerüstet, um dieser Gefahrenlage zu begegnen. Das geht aus internen Papieren hervor, die die Medien einsehen konnten. Demnach bemängeln Zollfahnder in Hamburg und Bremerhaven seit Jahren Sicherheitslücken. So tragen derzeit nur wenige Kräfte im Zoll Maschinenpistolen. Diese müssen nun bei jedem Kokainfund im Hamburger Hafen angefordert werden. Zollfahnder, die oftmals sehr früh vor Ort sind, wenn große Mengen Kokain sichergestellt werden, tragen nur Handfeuerwaffen.

Außerdem fehlt es offenbar an technischem Gerät, um bestimmte Ortungsgeräte in Kokainpaketen zuverlässig aufzuspüren, mit denen Kriminelle den genauen Standort der Drogen feststellen können.

Bereits im Sommer 2022 hatte sich die Zollfahndung Hamburg in einem mehrseitigen Schreiben an die Generalzolldirektion (GDZ) gewandt. In dem Papier, das NDR und WDR einsehen konnten, heißt es, dass Täter zunehmend mit Maschinenpistolen ausgestattet seien. In Ermittlungsverfahren habe man festgestellt, dass der Zoll von Drogenbanden ausgespäht werde, offenbar mit dem Ziel, an Kokainsicherstellungen zu kommen. In dem Brief forderte die Zollfahndung Hamburg deshalb bessere Waffen, gepanzerte Wagen, eine verbesserte technische Ausrüstung und mehr Schutzwesten, die auch dem Beschuss mit Maschinenpistolen standhalten.

Drogenbanden "zunehmend überlegen"

Es sei festzustellen, dass "auf der Täterseite die Gewaltbereitschaft deutlich zunimmt und mit Angriffen auf den Zoll zur Rückerlangung der Sicherstellungsmengen zu rechnen ist", sollen Teilnehmer eines Zoll-Workshops "Gefährdungslagen bei Großsicherstellungen von BtM (Betäubungsmitteln)" in Hamburg und Bremen im Frühjahr 2023 gewarnt haben. Dies sei auch deshalb problematisch, weil die Bewaffnung und technische Ausrüstung der Drogenbanden der des Zolls "zunehmend überlegener wird", heißt es in internen Papieren.

Mitte Juni hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner, dessen Ministerium die Zollbehörden unterstehen, bei einer Pressekonferenz in Berlin angekündigt, die Fahnder mit den notwendigen Mitteln auszustatten, um die Organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen zu können.

"Jeder Kriminelle muss wissen, muss spüren, dass wir die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger (…) verteidigen werden. Ich werde deshalb auch weiter dafür Sorge tragen, dass der Zoll die Sach- und Personalausstattung erhält, die er benötigt, um schlagkräftig zu sein und seine Aufgaben effektiv erfüllen zu können", sagte Lindner anlässlich der Sicherstellung einer Rekordmenge an Kokain durch deutsche Behörden.

Vernichtung der Drogen oft erst nach Jahren

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens "Plexus" wurden rund 35 Tonnen Kokain in Hamburg, Belgien und den Niederlanden beschlagnahmt. Straßenverkaufswert: rund 2,6 Milliarden Euro. Es ist der bislang größte Kokain-Fund in Europa. Das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) und der Zoll hatten die riesige Rauschgiftmenge im vergangenen Jahr nach Hinweisen aus Kolumbien aufgespürt. Sieben Personen wurden inzwischen verhaftet. Sie stehen im Verdacht, ein Schmuggelnetzwerk aufgebaut zu haben.

Die Rekordmenge an Kokain wurde mittlerweile nach Angaben der Staatsanwaltschaft vernichtet - was allerdings nicht die Regel ist. Zollfahnder in Hamburg und Bremen sollen im vergangenen Jahr Vertretern der Generalzolldirektion erklärt haben, dass die lange Verwahrdauer der sichergestellten Betäubungsmittel besonders problematisch sei.

Nach derzeitiger Rechtslage muss der Zoll sichergestelltes Rauschgift grundsätzlich bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung der Täter aufbewahren. Dies kann im Zweifelsfall mehrere Jahre dauern. Erst dann dürfen die Drogen vernichtet werden. So will es die Strafprozessordnung, denn bei den Drogen handelt es sich um Beweismittel. Nur in Ausnahmefällen kann eine frühere Vernichtung angeordnet werden.

Nicht genügend Schutzausrüstung

Nach Informationen von NDR und WDR führt dies dazu, dass derzeit in Norddeutschland viele Tonnen Kokain mit einem enormen Schwarzmarktwert in Lagerhallen aufbewahrt werden. Das Kokain ist dabei offenbar nur durch Alarmanlagen gesichert.

Nach Auskunft mehrerer Zollfahnder ist das Bundesfinanzministerium über die Probleme informiert. Dennoch bestünden sie bis heute fort. So gäbe es im Hamburg und Bremen noch immer nicht genügend ausreichend starke Schutzausrüstung für die Zollfahndungen, keine gepanzerten Fahrzeuge und nicht ausreichend Geräte, um GPS-Tracker aufzuspüren.

Auf Nachfrage wollte sich weder die Generalzolldirektion (GZD) noch das Bundesfinanzministerium zu konkreten Fragen äußern. Die GZD erklärte, man erarbeite gemeinsam mit den Zollbehörden vor Ort ein Lagebild. Hierbei würden auch "Fragen der Anpassung organisatorischer Abläufe, erforderlicher Führungs- und Einsatzmittel, der technischen Ausstattung und baulicher Maßnahmen behandelt". Sofern dies notwendig sei, fordere man weitere Kräfte, unter Umständen auch Spezialeinheiten an. Die GZD und das Bundesfinanzministerium stünden in einem "konstruktiven Austausch".

Nach Informationen von NDR und WDR hat das Bundesfinanzministerium inzwischen veranlasst, den Bedarf an Maschinenpistolen unter den Zollämtern abzufragen. Ob und wann die GZD mehr Zollkräfte mit automatischen Waffen ausstattet, bleibt offen.

Gesetzesänderung gefordert

Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte NDR und WDR, Bundesfinanzminister Lindner müsse dafür sorgen, dass der Zoll auch mit Maschinenpistolen und weiterer Ausrüstung gestärkt werde. Der Gewerkschafter forderte das Bundesjustizministerium außerdem dazu auf, entsprechende Gesetze, die die Aufbewahrung von sichergestellten Drogen regeln, schnellstmöglich zu ändern.

"Es muss künftig ausreichen, dass wir Stichproben nehmen, Gutachten anfertigen und ein Richter das Ganze bestätigt“, damit die Drogen schneller vernichtet werden könnten. Auf Anfrage sagte das Bundesjustizministerium, man sehe derzeit "keine hinreichenden Gründe oder empirischen Belege dafür, die eine Gesetzesänderung zugunsten einer frühzeitigen Vernichtung verbotener Substanzen nahelegen würden".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 27. Juni 2024 um 07:36 Uhr.