Corona-PCR-Tests Hinweise auf mögliche Milliardenverschwendung
Mehr als sechs Milliarden Euro haben die PCR-Tests in der Pandemie bisher gekostet. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hätten Staat und Krankenkassen Milliarden sparen können. Hat niemand die horrenden Preise geprüft?
Deutschland, Ende Januar 2020. Die ersten Menschen infizierten sich mit dem neuartigen Corona-Virus. Nach außen war die Regierung um Ruhe bemüht. Doch hinter den Kulissen bereiteten sich Beamte, Ärztevertreter und Krankenkassen darauf vor, dass bald schon sehr viele Menschen auf Corona getestet werden müssen.
Am Abend des 30. Januar schickten die Vertreter der Ärzteschaft, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), eine E-Mail an die Krankenkassen. Darin schlugen sie vor, die Kosten für einen PCR-Test auf 59 Euro festzulegen. Damit orientierten sie sich am Preis für einen vergleichsweise seltenen Hepatitis-Test - und nicht etwa an PCR-Tests für Influenza- oder RS-Viren. Letztere werden mit 19,90 Euro vergütet.
Insider berichten, dass das Gesundheitsministerium Druck gemacht habe, den hohen Preis von 59 Euro zu akzeptieren und sich zu einigen, damit Patienten mit Corona-Symptomen am Ende die Tests nicht selbst bezahlen müssen.
Spahn verweist auf geringe Verfügbarkeit
Der damalige Minister Jens Spahn lässt heute auf Anfrage mitteilen, die Verfügbarkeit von PCR-Tests schnell und verlässlich herzustellen sei "gerade im schweren ersten Jahr ein zentrales Mittel der Pandemie-Bekämpfung" gewesen. So sei es Deutschland wie wenigen anderen Ländern auf der Welt gelungen, die PCR-Testkapazitäten binnen weniger Monate zu vervielfachen und selbst in Zeiten von sehr hohem Testaufkommen die Wartezeiten auf ein Testergebnis vertretbar kurz zu halten. Konkrete Fragen könne er nicht beantworten, da er keinen Aktenzugang mehr habe.
Das Gesundheitsministerium selbst antwortete auf detaillierte Fragen zu den Preisen knapp: Die Vergütung orientiere sich an den "relevanten Kostenfaktoren", wie unter anderem Personalkosten, Sachkosten und den Berechnungen des zuständigen Bewertungsausschusses.
Einkaufspreise deutlich günstiger als behauptet
Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen, dass der Preis von 59 Euro der Auftakt zu einer bis heute andauernden, möglicherweise milliardenschweren Verschwendung war. Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes haben die drei Medien mehr als tausend Seiten interne Akten aus dem Gesundheits- und Wirtschaftsministerium erhalten. Sie haben diese zusammen mit weiteren vertraulichen Dokumenten ausgewertet sowie zahlreiche Gespräche mit Insidern geführt.
Erstmals werden dadurch jene fragwürdigen Preiskalkulationen öffentlich, mit denen die Ärzte-Lobby hohe Preise durchsetzte. Denn die Testmaterialien etwa waren den Recherchen zufolge zu deutlich niedrigeren Preisen am Markt erhältlich, als Ärztevertreter den Dokumenten zufolge behauptet hatten.
Ministerium prüfte offenbar nicht
Doch diese niedrigeren Preise hat allem Anschein nach Spahns Ministerium nicht ermittelt. So findet sich in den Ministeriumsunterlagen keine einzige Kostenkalkulation und keine Beauftragung von Sachverständigen. Entsprechende Nachfragen beantwortet das Ministerium nicht.
Die Firma TIB Molbiol hat in Deutschland als erste Firma Corona-Tests hergestellt und an Labore verkauft. Ihr Gründer Olfert Landt arbeitet seit Jahren mit dem Virologie-Labor von Christian Drosten zusammen. Seit Februar 2020 habe seine Firma einen zertifizierten Test angeboten. Landt spricht offen über die Preise, zu denen er seine PCR-Tests an Labore verkauft hat.
Nehme man alle nötigen Zutaten zusammen, die PCR-Reagenzien, die Extraktionskontrolle und die Polymerase, "dann landet man bei vier Euro", sagt Landt. Nehme man auch noch die Aufreinigung der Proben dazu, die manche Labore gemacht haben, komme man auf maximal neun Euro pro Test. Neben TIB Molbiol haben auch andere Firmen ähnlich günstige Testkits angeboten. So haben etwa die Firmen Genekam und Biozol ihre PCR-Tests damals wie heute zu ähnlich niedrigen Preisen wie Landt angeboten.
Öffentliche Kritik an hohen Preisen
Seit Mai 2020 drängten auch die Krankenkassen darauf, die Preise zu senken. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit verhandelten Ärzte- und Kassenvertreter im sogenannten Bewertungsausschuss, ohne Beteiligung des Gesundheitsministeriums.
Hinter dem Gremium steht die Idee der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Die Politik soll nur den groben Rahmen setzen, bei allen konkreten Fragen sollen sich die Akteure untereinander einigen. Das Gremium tagt geheim. Doch interne Unterlagen belegen: Die Krankenkassen forderten damals bereits eine Absenkung der Vergütung auf 23 Euro. Die Ärzteseite berechnete weiterhin 59 Euro.
Ärztevertreter machen weiter hohe Kosten geltend
Am 26. Mai 2020 präsentierten die Ärzte eine Kostenrechnung. Demnach würden schon die Materialien für einen PCR-Test 22,02 Euro kosten. Belege für diese Behauptung finden sich weder in den Unterlagen, noch lieferten die Kassenärzte diese auf Anfrage. Die Ärztevertreter der KBV teilten lediglich mit, dass gerade zu Beginn der Pandemie "erhebliche Marktengpässe bei Reagenzien und Materialien auftraten, die zu einem langfristigen hohen Preisniveau maßgeblich beigetragen haben."
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts haben zu dieser Zeit 30 von 170 Laboren über Knappheiten geklagt. Olfert Landt widerspricht: "Wir konnten jederzeit innerhalb von drei Tagen alles liefern, was bestellt worden ist."
In den Verhandlungen im Mai 2020 bezweifelten die Krankenkassen auch die erstaunlich hohen weiteren Kosten, die die Ärzteseite pro Test berechnete, darunter Personalkosten von angeblich sechs Euro pro Test und weitere "Vorhaltekosten" von knapp 20 Euro pro Test.
Kassen beklagen mangelnde Information
Die Kassen beklagen gegenüber WDR, NDR und SZ ein "Informationsungleichgewicht": "Die Ärzteschaft, die auch die Labore vertreten, die wissen deutlich mehr über die echte Kostenstruktur in den Laboren", sagt Sprecher Lanz. Die Kassen hätten unter Druck gestanden, die Versorgung von 73 Millionen Versicherten sicherzustellen.
Weil sich beide Seiten nicht einigen konnten, entschied der unparteiische Vorsitzende des Erweiterten Bewertungsausschusses, Jürgen Wasem, dass die Kassen ab 1. Juli 2020 für den PCR-Test 39,40 Euro an die Labore zahlen müssen - immerhin doppelt so viel wie für vergleichbare andere PCR-Labortests. Wasem selbst sowie der Geschäftsführer des Gremiums wollten nicht beantworten, ob sie jemals die Kosten überprüft haben.
Bund zahlte deutlich mehr für Tests
Die Kassen müssen jedoch nur die Tests in Arztpraxen und Krankenhäusern bezahlen. Wer dagegen Kontaktperson eines Infizierten war oder eine rote Warnung in der Corona-App hatte, für den musste der Bund die PCR-Kosten übernehmen.
Doch während die Kassen seit Juli 2020 nur noch 39,40 Euro pro Test bezahlten, vergütete das Gesundheitsministerium den Laborärzten noch neun Monate länger jeden PCR-Test mit 50,50 Euro. In den Unterlagen des Ministeriums findet sich keine Kalkulation, wie die Bundesregierung die Vergütung begründet. Wie es zu dem hohen Preis kam, beantwortete das Ministerium auf Anfrage nicht.
Auch im Jahr 2022 erhielten die Labore noch großzügige Vergütungen für die Corona-Tests. Die Krankenkassen zahlten bis Juli 35 Euro für einen Test, das Ministerium sogar 43,56 Euro. Zu dieser Zeit konnten die Labore bei der Firma Biozol einen zertifizierten Test für drei Euro einkaufen, bei Euroimmun für sechs Euro und bei altona Diagnostics für sieben Euro. Noch heute, nach einigen Preissenkungsrunden, kassieren die Labore für jeden PCR-Test 27,30 Euro von den Kassen und 32,39 Euro vom Bund.
"Am unteren Rand" - oder über dem Durchschnitt?
Preise wie diese hielt der Chef des Labor-Lobbyverbandes ALM, Michael Müller, noch im vergangenen Mai für gerechtfertigt. Im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages argumentierte er, die Preise für PCR-Tests seien hierzulande im europäischen Vergleich am "unteren Rand". Gesundheitsminister Heiner Lauterbach sagte im Gespräch mit WDR, NDR und SZ dagegen, die Tests in Deutschland seien sehr teuer gewesen, "sie waren auch teurer als im Ausland".
Bis heute haben die PCR-Tests in Deutschland etwa sechs Milliarden Euro gekostet. Mit den Recherchen von WDR, NDR und SZ konfrontiert, räumt Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein: "Mir erschienen die Testkosten zu hoch. Ich habe sie dann um mehr als die Hälfte abgesenkt. Trotzdem kommen die Anbieter mit dem Geld aus. Daher können die Kosten also nicht höher sein als das, was jetzt bezahlt wird."
Kassen zahlten offenbar deutlich über Marktpreis
Für manche Laborbetreiber und Hersteller waren die hohen Preise seit jeher ein Rätsel. Der Berliner Unternehmer Benjamin Föckersperger hat die Seite coronatest.de aufgebaut und auch PCR-Tests ausgewertet - deutlich günstiger. So habe seine Firma bereits Anfang 2021 "für die komplette Auswertung von Fremdkunden 15 Euro genommen, inklusive aller Nebenkosten", sagt Föckersperger. Ein entsprechender Vertrag liegt NDR, WDR und SZ vor. Zu diesem Preis hätte er die Tests auch dem Staat angeboten, sagt Föckersperger. Aber es habe offenbar "null Interesse seitens der Politik" gegeben, günstige PCR-Tests zu bekommen.
Wie lukrativ das PCR-Geschäft für die Labore war, sieht man an den wenigen Firmen, die detaillierte Geschäftszahlen veröffentlichten. So hat der Laborkonzern Sonic Healthcare im zurückliegenden Geschäftsjahr die Umsätze gegenüber dem Vorjahr um 47 Prozent gesteigert. "Die deutliche Umsatzsteigerung resultiert aus höheren Laborumsätzen, insbesondere im Zusammenhang mit der pandemiebedingten Covid-19 PCR Diagnostik", schreibt Sonic. Die Gewinne jedoch explodierten förmlich - von 82 auf 274 Millionen Euro.