Menschen gehen vor dem Erlöserturm im Kreml (M) über den Roten Platz (Archvbild).
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Russische Einflussnahme Was tun gegen die Propaganda des Kreml?

Stand: 16.09.2024 17:00 Uhr

Russland hat Deutschland im hybriden Krieg bereits vor Jahren in den Fokus genommen und als herausgehobenes Ziel identifiziert. Bundesregierung und Behörden brauchten Zeit, um sich dagegen aufzustellen.

Von Manuel Bewarder, Petra Blum, Florian Flade, Palina Milling und Katja Riedel, WDR/NDR

"Wir kümmern uns um alles - von den grünen Männchen in der Ukraine bis zu den Nachrichtendiensten und der kritischen Infrastruktur." So anschaulich hat ein deutscher Regierungsbeamter einmal sein Aufgabenprofil zusammengefasst. Da war es gerade losgegangen mit der Arbeitsgruppe (AG) "Hybrid".

Es ist ein wenig aussagekräftiger Name, doch es geht um eine sehr konkrete Gefahr: Die Fachleute aus unterschiedlichen Ministerien, allen voran dem Innenministerium und dem Auswärtigen Amt, sollen zusammen mit Sicherheitsbehörden wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) oder dem Bundesnachrichtendienst (BND) hybride Angriffe auf Deutschland feststellen - und Strategien gegen verschiedene Formen illegitimer Einflussnahme entwickeln. Eine zentrale Herausforderung dabei ist die Desinformation.

Arbeitsgruppe als Reaktion

Die Arbeitsgruppe ist in erster Linie die Reaktion auf die zunehmende hybride Bedrohung durch Russland - Startschuss war 2017. Moskaus sogenannte "aktive Maßnahmen", die Propaganda im Netz, die Lügen und manipulierten Meldungen, werden von den Sicherheitsbehörden als ernsthafte Gefahr für die hiesige Demokratie betrachtet. Diese Erkenntnis brauchte jedoch, um zu reifen.

Nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung soll in der russischen Präsidialverwaltung bereits vor rund zehn Jahren Deutschland als herausgehobenes Ziel in Mitteleuropa auserkoren worden sein. Entsprechende Informationen liegen der Recherche zufolge westlichen Sicherheitskreisen vor.

Demnach werde mindestens seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 intensiv mittels hybrider Mittel das Ziel verfolgt, die Bundesrepublik aus dem westlichen Bündnis herauszulösen und zum Fürsprecher Moskaus zu machen. Anders als für Frankreich oder Italien habe man analysiert, dass es dafür im Falle Deutschlands tatsächlich eine Chance gebe.

Deutschland schon lange ein Ziel

Das Kalkül des Putin-Regimes: Deutschland sei ein schwaches Ziel in der westlichen Welt, die deutsche Bevölkerung, so soll der Kreml damals analysiert haben, lasse sich nach russischem Dafürhalten einfacher beeinflussen und spalten als andere Nationen. Die politischen Extreme, insbesondere Rechtspopulisten, könnten durch gezielte Propaganda und Desinformation gestärkt werden, die Gesellschaft gespalten und der Staat destabilisiert werden.

In einer vertraulichen Behördenanalyse zum Einfluss Russlands aus dem Jahr 2017, die NDR, WDR und SZ vorliegt, heißt es, dass bereits 2015 der glaubhafte Hinweis vorlag, dass Russland Aktionen plane, "um Europa und insbesondere Deutschland zu destabilisieren". Eine öffentliche Empörung durch die Bundesregierung blieb zunächst aus - man vermied damals immer wieder die direkte Konfrontation mit Moskau.

Doch mit dem Versuch Moskaus, die Präsidentschaftswahl in den USA zu beeinflussen, veränderte sich allmählich auch der Kurs der Bundesregierung: Aus einer losen Runde von Experten entstand die AG "Hybrid". Und dabei blieb es nicht - mittlerweile kümmern sich verschiedene Stellen in Deutschland um das Thema Desinformation.

Dem Staat aber fällt der Kampf gegen Moskaus Lügenmaschinerie immer noch schwer: Das Netz ist voll von "Fake News", Verschwörungserzählungen und plumpen Lügen. Und zwar zu nahezu jedem gesellschaftlichen Thema: Migration, Wirtschaftskrise, Ukrainekrieg. Dahinter die gezielten Kampagnen russischer staatlicher Stellen zu erkennen, ist für die deutschen Behörden eine Herausforderung.

Wechselnde Strategie

Gleichzeitig verändert Russland auch immer wieder seine Strategie. In einem internen Bericht des Verfassungsschutzes heißt es bereits 2020, von 2014 bis 2016 habe Moskau recht klassisch auf "öffentlichkeitswirksame Propaganda und Desinformationskampagnen russischer Medien" gesetzt. Anschließend sei man "differenzierter und klandestiner" aktiv geworden.

"Russlandfreundliche Parteien und Gruppierungen" sollten in Deutschland gestärkt werden. Der politische Diskurs solle "auch im parlamentarischen Raum" zugunsten Russlands beeinflusst werden.

Aktuell wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) beleuchtet, wie groß der Einfluss Russlands auf die politischen Prozesse in der Bundesrepublik ist. In einer öffentlichen Stellungnahme vor dem Start der Untersuchung hieß es im Frühjahr, dass Deutschland im Mittelpunkt russischer Einflussoperationen stehe.

Russland versuche, "auf verschiedenen Ebenen illegitim auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einzuwirken". Das Gremium habe jedoch den Eindruck, "dass die Tragweite der Bedrohung weder von allen politisch Verantwortlichen noch in der Gesellschaft in Deutschland insgesamt erkannt wurde und wird". Auch Vorgänge aus der Vergangenheit müssten "vor dem Hintergrund einer russischen Makrostrategie gegebenenfalls neu betrachtet werden".

Alle beteiligten Ressorts gleichberechtigt

Die im Innenministerium angesiedelte AG "Hybrid" ist bei der staatlichen Befassung mit Desinformation sozusagen Dreh- und Angelpunkt. Außergewöhnlich ist, dass hier alle beteiligten Ressorts gleichberechtigt sind. Das Ziel ist ein schneller Informationsaustausch.

Es werden Analysen, Szenarien und alle zwei Wochen ein Lagebericht erstellt - vor allem gibt es immer wieder themenspezifische weitere Runden innerhalb der AG wie die Expertengruppen zu "Desinformation" durch fremde Staaten, zu "Resilienz" oder "Szenarien". Seit dem Start des Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die AG auch stark operativ eingebunden und berichtet direkt an den Krisenstab. 

Speziell im Auswärtigen Amt gibt es zudem eine eigene Analyseeinheit, die sich bei den hybriden Gefahren auf Desinformation als gezieltes Mittel fremder Staaten konzentriert. Mithilfe von spezieller Software versuchen die Experten des Außenministeriums bestimmte Trends und Entwicklungen in sozialen Netzwerken frühzeitig zu erkennen. Die Erkenntnisse fließen wiederum in die Lagebilder ein.

Aufbau einer Task Force

Anfang des Jahres kündigte zudem das Bundesinnenministerium den Aufbau einer Task Force zur Früherkennung von Desinformationskampagnen an. Sie wurde schließlich der AG "Hybrid" untergeordnet. Man sieht: Das Thema hat Konjunktur und Aufgaben sowie Kompetenzen sind nicht immer sauber getrennt.

Das wiederum führt bisweilen auch dazu, dass sich mancher öffentlich als Aufdecker einer Desinformationskampagne feiern lässt - während andere im Hintergrund murren, dass sie doch die eigentliche Arbeit geleistet hätten.

Nach Jahren mit einem Fokus auf die Analyse führt Deutschland seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 den Abwehrkampf gegen Putins Desinformationskrieg mit Nachdruck. So wurde beispielsweise der Propagandakanal Russia Today (RT) Deutsch im März 2022 verboten, wenige Wochen später folgte dann ein EU-weites Verbot des Senders. Oft allerdings ist dies wohl eher Symbolik, die Inhalte von RT beispielsweise finden sich weiterhin im Netz.

Schneller auf Lügen reagieren

Eine neue Strategie lautet deshalb: Schneller und vehementer auf die Lügen des Kreml hinweisen. Deutsche und französische Behörden haben zuletzt etwa frühzeitig öffentlich vor der "Doppelgänger"-Kampagne gewarnt, bei der russische Stellen europäische Nachrichtenseiten fälschten und auf den nachbauten Seiten erfundene Artikel verbreitet haben.

Die Destabilisierungsversuche des Kreml finden allerdings nicht nur im virtuellen Raum statt. Wie Fälle aus europäischen Ländern zeigen, versucht Moskau zunehmend durch angeworbene und oft bezahlte Akteure, sogenannte "Low Level Agents" oder "Single Use Agents", Unruhe zu stiften.

In Frankreich etwa wurde ein aus Moldawien stammendes Pärchen ermittelt, das nach dem Angriff der Hamas auf Israel Graffitis von Davidsterne an Häuserwände in Paris gesprüht hatte. Um solche koordinierten Störaktionen zu identifizieren, schaut der Verfassungsschutz hierzulande seit einiger Zeit genauer auf entsprechende Polizeimeldungen zu Schmierereien und Protestaktionen.

In der Bundesregierung weiß man um das Problem, dass die Lüge der Aufklärung immer einen Schritt voraus ist. Der Appell an die Gesellschaft lautet daher auch: Desinformation gehört dazu. Man muss mit ihr umgehen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte es vor ein paar Tagen in der Regierungspressekonferenz so: "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass man nicht jede Information, die einem begegnet, für bare Münze nehmen kann, sondern dass sie kritisch überprüft werden soll."

Störaktionen um Behörden zu überlasten

Manchmal aber geht es bei den "aktiven Maßnahmen" nicht darum, Meinungen zu beeinflussen. Einige Aktionen sollen einfach nur stören oder die Sicherheitsbehörden überlasten. So erging es in der vergangenen Woche dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf die einzigen beiden öffentlich einsehbaren E-Mail-Adressen des Amtes - Pressestelle und Hinweisstelle - prasselten ganz plötzlich im Sekundentakt E-Mails ein.

Hunderte Nachrichten füllten innerhalb weniger Stunden die E-Mail-Postfächer des Verfassungsschutzes. Zunächst kamen sie nur von einer Absenderadresse, dann von jeweils neuen. Die Behörde vermutet, dass diese Spam-Welle automatisiert oder mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erfolgte.

Es dauerte einige Zeit, bis die Techniker des Verfassungsschutzes die Lage in den Griff bekamen. Der Inhalt der Mails war eher belanglos. Sie waren teils in russischer Sprache verfasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. September 2024 um 18:00 Uhr.