Blutplasma-Handel Pharmafirmen und das mexikanische Blut
Blutplasma wird für viele Medikamente gebraucht. Rund zwei Drittel des weltweiten Bedarfs kommen aus den USA - dort spendeten viele Mexikaner Plasma gegen Geld. Das ist nun verboten. Pharmafirmen klagen dagegen. Von Stefanie Dodt.
Blutplasma wird für viele Medikamente gebraucht. Rund zwei Drittel des weltweiten Bedarfs kommen aus den USA - dort spendeten viele Mexikaner Plasma gegen Geld. Das ist nun verboten. Pharmafirmen klagen dagegen.
Das Ausmaß des bezahlten Spendentourismus an der amerikanisch-mexikanischen Grenze war weitaus größer als bislang bekannt: Das Plasma mexikanischer Blutspender machte bis zu zehn Prozent der insgesamt produzierten Mengen in den Vereinigten Staaten und sechs Prozent der weltweiten Plasmaspenden aus. Das zeigen Gerichtsunterlagen aus den USA, die dem NDR und "ProPublica" vorliegen.
Die beiden Medien hatten im Jahr 2019 berichtet, dass jede Woche mindestens 10.000 Mexikaner von Pharmafirmen über die US-Grenze gelockt werden, um dort ihr Blutplasma zu verkaufen. Plasma, das auch in Deutschland landete, um hier zu Medikamenten verarbeitet zu werden. Die Spender waren häufig finanziell von der Bezahlung abhängig und riskierten aufgrund der hohen Spendenfrequenz ihre Gesundheit. Jetzt wird deutlich: Es waren noch viele mehr.
"Mexikanische Spender sind besonders loyal und selbstlos"
Ein führender Manager der spanischen Pharmafirma Grifols erklärt laut Gerichtsakten, dass allein in den von Grifols betriebenen Zentren in Texas "rund 30.000 Mexikaner [jährlich] etwa 600.000 Liter Plasma" spenden. Grifols führt demnach 18 Spendenzentren in Texas, insgesamt gibt es mehr als 50 Zentren entlang der Grenze. "Mexikanische Spender sind besonders loyal und selbstlos", heißt es in seiner Erklärung. Den Reportern gegenüber hatte Grifols die Bedeutung der Grenzzentren heruntergespielt und stets betont, dass die meisten Spendenzentren in weiter Distanz zur Grenze liegen. Jetzt räumte ein hochrangiger Vertreter von Grifols gegenüber NDR und "ProPublica" ein, dass durch das Verbot vor einem Jahr insgesamt rund drei Millionen Liter Plasma fehlten.
Nach Deutschland gelangten 2020 rund 5,5 Millionen Liter Blutplasma aus den USA, auch aus der Grenzregion, vor allem weil große Pharmafirmen das Plasma hier weiterverarbeiten - für den inländischen Markt und den erneuten Export. Daraus lassen sich Arzneien gegen chronische Immunerkrankungen, zur Krebstherapie und für die Notfallmedizin herstellen.
Spendenzahlen in Deutschland sinken
In den USA werden rund zwei Drittel des weltweiten Blutplasmas gewonnen, von dem Europa stark abhängt, um den stetig wachsenden Bedarf nach den Medikamenten zu decken. Während der Europarat bislang vorschlägt, dass Spender 33 Mal im Jahr Plasma spenden sollten und Deutschland bis zu 60 Spenden zulässt, darf ein US-Spender zwei Mal pro Woche, also 104 Mal pro Jahr spenden. Anders als in Deutschland ist in US-Spendenzentren kein Arzt dauerhaft vor Ort und zentrale Blutwerte der Spender werden deutlich seltener überprüft. In Deutschland sinken die Spendenzahlen für Blut und Plasma stetig.
Nach der Veröffentlichung von NDR, SWR, "SZ" und "ProPublica" hatte die US-Grenzschutzbehörde eine interne Leitlinie verschickt, die faktisch den Spendentourismus an der Grenze zu Mexiko im Juni 2021 als verboten erklärte und zum Erliegen brachte. Grifols sowie die australische Firma CSL klagten dagegen, verloren in erster Instanz und erreichten in zweiter Instanz, dass ihrer Berufung stattgegeben wurde. Nun liegt der Fall wieder bei einem Gericht in Washington, das darüber entscheiden muss, ob mexikanische Spender die Grenze in Zukunft wieder überqueren dürfen.
Screenshot einer Facebook-Werbung für Blutplasma-Spenden in den USA. Bis zu 1000 Dollar werden versprochen.
Bis zu 1000 US-Dollar monatlich für neue Plasmaspender
Auch die Plasma Protein Therapeutics Association (PPTA), die viele Pharmafirmen vertritt, argumentiert gegenüber den US-Gerichten nun anders als bislang gegenüber den Journalisten. 2019 hieß es in einem Statement der Firma gegenüber dem NDR, dass einige Spendenzentren "zufällig in Bereiche fallen, die als Grenzzone definiert werden". Auf Spendenzahlen habe man keinen Zugriff.
In einer Erklärung vor Gericht heißt es nun, dass ein "Zentrum im Grenzbereich durchschnittlich 31 Prozent mehr Plasma als ein durchschnittliches Zentrum im Rest des Landes" erhält. Seit dem Verbot hätten die Zentren zwischen 20 und 90 Prozent weniger Spenden verzeichnet, wie Zahlen aus zwölf Spendenzentren zeigen würden. In einem Fall sammelt ein Zentrum nun statt 5000 Spenden die Woche nur noch etwa 200 ein, so die Präsidentin der PPTA, Amy Enfantis, in ihrer Erklärung vor Gericht. Facebook-Werbung der Firmen zeigt, dass inzwischen bis zu 1000 US-Dollar monatlich für neue Plasmaspender geboten wird, 2019 waren es noch rund 400 Dollar.
"Sie haben uns nur benutzt"
Die Gerichtsunterlagen bestätigen auch, dass die Spendenzentren alles andere als zufällig im Grenzbereich stehen, sondern Teil von "strategischen Bemühungen" waren, die auf mexikanische Spender abzielten. In einem Vermerk der Anwälte der Firmen heißt es, dass die Firmen "Millionen Dollar in den letzten Jahren für Werbung ausgegeben haben, um mexikanische Bürger zu ermutigen, in einem der Zentren an der Grenze gegen Geld Plasma zu spenden". In Mexiko ist das Spenden von Blut und Plasma gegen Geld sowie die Werbung dafür illegal.
Viele frühere Spender sind verärgert über das bestehende Verbot. "Jetzt sind wir wohl keine Helden mehr, die Leben retten", hieß es in einem Kommentar auf einer Grifols Firmenseite auf Facebook, der später gelöscht wurde. "Sie haben uns nur benutzt". Andere sind erleichtert, dass nun die Legalität des Grenzspendens geklärt wird.
Genesis, eine 23-Jährige Studentin aus dem mexikanischen Ciudad Juarez, sagte NDR und "ProPublica", dass sie klare Regeln befürworten würde und bislang große Angst an der Grenze hatte, da nicht klar war, ob das Spenden gegen Geld in den USA legal war. Bislang hatten Grenzschutzbeamte von Fall zu Fall entschieden, ob Mexikaner mit Besuchervisa zu diesem Zweck die Grenze überqueren dürften.
Der Chef eines Spendenzentrums, der nicht mit Namen genannt werden möchte, sagte, er würde sehr darauf hoffen, dass das Verbot wieder fallen gelassen wird. Er habe etwa zwei Drittel seiner Mitarbeiter entlassen und die Öffnungszeiten reduzieren müssen. "Die Menschen sind abhängig von dieser Sache, auf beiden Seiten."