Ein junger Mann konsumiert Kokain (gestelltes Foto).
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Beamter durfte weiterarbeiten Staatsanwalt stand selbst unter Tatverdacht

Stand: 08.11.2024 17:11 Uhr

Der Fall eines wegen Bestechlichkeit festgenommenen Hannoveraner Staatsanwalts wirft neue Fragen auf. Obwohl schon im Sommer gegen ihn ein dringender Tatverdacht bestand, war er laut NDR-Informationen weiter Ankläger in einem Drogenverfahren.

Von Mandy Sarti und Benedikt Strunz, NDR

Die Nachricht hat vergangene Woche große Wellen geschlagen: Der Hannoveraner Staatsanwalt Yashar G. soll der Drogenmafia Informationen zugespielt haben. Er wurde verhaftet.

Das Niedersächsische Justizministerium gab sich gestern in einer extra einberaumten Sitzung des Rechtsausschusses im niedersächsischen Landtag als vorbildlicher Aufklärer. Chat-Protokolle von Tatverdächtigen hätten die Spur zum Staatsanwalt geführt. Dieser sei nun wegen des Verdachts des Geheimnisverrats, der Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall und der Strafvereitelung im Amt angeklagt, so der Abteilungsleiter des Justizministeriums im Rechtsausschuss des niedersächsischen Landtags.

Was gestern allerdings kein Thema war: Obwohl bereits im Juni 2024 wegen dringendem Tatverdacht gegen Yashar G. ermittelt wurde, sah man im Justizministerium offenbar nicht die Notwendigkeit, G. von dem Verfahren abzuziehen, bei dem es um 16 Tonnen Kokain ging.

Noch im August als Ankläger aufgetreten

Nach NDR-Informationen trat Yashar G. noch bis in den August als Ankläger in dem Drogenverfahren auf. Er führte eine Anklage gegen Pouya M., der sich zwischenzeitlich nach Kolumbien abgesetzt hatte, dann aber vor dem Landgericht Hannover zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde. Pouya M. soll Teil der Drogenbande gewesen sein, die Yashar G. mutmaßlich mit Informationen versorgt hat.

Auf NDR-Anfrage erklärt das niedersächsische Justizministerium, der beschuldigte Staatsanwalt sei am 15. Februar 2024 in eine andere Abteilung versetzt worden. Warum er dort das Drogenverfahren führen konnte, bleibt unbeantwortet. "Weitere Erkenntnisse liegen uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor", so der Sprecher des Ministeriums, Marcel Holthusen.

Möglicher Justizskandal

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Carina Hermann, spricht dagegen von einem möglichen Justizskandal. "Es ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar, dass im Sommer nach Angaben des Justizministeriums offenbar erneut gegen den beschuldigten Staatsanwalt - diesmal sogar wegen eines dringenden Tatverdachts - ermittelt wurde und der Beschuldigte trotzdem weiterhin in sensiblen Fällen ermitteln durfte."

Hermann stellt die Kontrolle und Aufsicht durch das Justizministerium in Frage. Gegenüber dem NDR forderte sie Aufklärung von dem SPD-geführten Justizministerium und der Führung des Hauses, Justizministerin Kathrin Wahlmann: "Sie nimmt sonst sehenden Auges einen Justizskandal in Kauf statt persönlich für Aufklärung zu sorgen."

Der Anwalt von Yashar G. schrieb dem NDR, dass die Verteidigung aktuell nicht beabsichtige, zu den noch laufenden Ermittlungen gegenüber den Medien eine Stellungnahme abzugeben. Yashar G. sitzt in Untersuchungshaft. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Maulwurf in den Behörden

Seit etwa zwei Jahren bestand in der Staatsanwaltschaft bereits der Verdacht, dass es in den niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden einen Maulwurf gab. Denn bei dem bis dato größten Kokainverfahren der deutschen Geschichte wurden Fahnder am Tag des Zugriffs überrascht.

Viele Beschuldigte hatten sich ins Ausland abgesetzt, andere hatten ihre Wohnungen "aufgeräumt". Einer der Festgenommenen hatte im Oktober 2022 bereits ausgesagt, dass Yashar G., der leitende Staatsanwalt in diesem Verfahren, die Kokainbande mit geheimen Informationen aus dem Ermittlungsverfahren versorgt hätte.

"Vager" Anfangsverdacht

In verschlüsselten Chats der Bande fanden sich Nachrichten, die diese Anschuldigung zu stützen schienen. Die Staatsanwaltschaft Niedersachsen führte deshalb ab Juni 2022 verdeckt ein Ermittlungsverfahren gegen Yashar G. Doch der Verdacht bestätigte sich nicht, so wurde das Verfahren im Jahr 2023 eingestellt.

Zu der damaligen Doppelrolle als Ermittler und Tatverdächtiger schrieb damals die Oberstaatsanwaltschaft in Dokumenten, die der NDR einsehen konnte, der Anfangsverdacht sei ohnehin "vage" gewesen. Zudem komme es in der Organisierten Kriminalität oft vor, dass Ermittler gezielt diskreditiert würden.