Wandergruppe in Westsachsen, die sich 2023 in der Telegram-Gruppe "Teutonischer Kreis" verabredet hatte.
exklusiv

Rechtsextremismus in Sachsen Neonazis wollen Zwickau unterwandern

Stand: 28.08.2024 17:00 Uhr

Offenbar bauen junge Neonazis in der sächsischen Region Zwickau im Geheimen ein Netzwerk auf. Nach NDR-Recherchen sind an dem Projekt Ex-Mitglieder einer verbotenen Vereinigung beteiligt. Ein Anhänger sitzt wegen Terrorverdachts in U-Haft.

Von Julian Feldmann und Betül Sarikaya, NDR

Im westsächsischen Zwickau versuchen junge Rechtsextreme seit vergangenem Jahr offenbar, mit einer Art Graswurzelarbeit gesellschaftlich Fuß zu fassen. Dafür wollen die Neonazis junge Gleichgesinnte aus dem gesamten Bundesgebiet in die Region ziehen lassen. Die Gruppierung formiert sich nach Informationen des Rechercheformats STRG_F (NDR/funk) um die Neonazis Sanny Kujath und Wladislav Sirbu. Sirbu war Anführer der 2020 verbotenen Neonazi-Vereinigung "Nordadler".

Begonnen hatte die Rekrutierung neuer Anhänger offenbar in der geschlossenen Telegram-Gruppe "Teutonischer Kreis", in der sich im vergangenen Jahr gut ein Dutzend junger Rechtsextremisten sammelte. In der Gruppe wurden unter anderem Umzüge von Teenagern und jungen Erwachsenen in die Region Zwickau angekündigt.

Drei "Nordadler"-Mitglieder aktiv

Auch ein Zeltlager mit Wanderung in der Nähe von Zwickau war im vergangenen Jahr in der Gruppe angekündigt worden, es schien eine Art Gründungstreffen zu werden. An dem Treffen im Sommer nahmen mindestens 14 Personen teil, darunter Sirbu und Kujath. Reporter von STRG_F konnten die Wanderung beobachten und die meisten Teilnehmer identifizieren. Insgesamt waren drei ehemalige Mitglieder der verbotenen Gruppierung "Nordadler" bei dem Treffen. An der Veranstaltung nahmen nach Angaben eines Organisators im internen Chat "nur NSler" teil - gemeint sind Nationalsozialisten.

STRG_F-Reporter haben unter anderem online verdeckt in der Szene recherchiert. Über einen Account auf Telegram, der eindeutig Wladislav Sirbu zuzuordnen ist, erhielten die Reporter eine Art Plan der jungen Neonazis. Seit vergangenem Jahr arbeite die Gruppe in Zwickau daran, "nachhaltig was zu verändern", schrieb Sirbu. Inzwischen seien sie zehn Personen in Zwickau, suchten deutschlandweit nach Verstärkung.

Politische Ambitionen

"Unser Ziel für Zwickau ist es erstmal, im [sic] Bezug auf die politischen Feinde, diese aus dem ganzen Landkreis raus zu jagen", führte Sirbu aus. Die "Feinde" sollten "nachhaltig aus ihren bisherigen Positionen und Ämtern" entfernt werden. Dafür wolle die Gruppe auch in die Politik gehen.

"Eigentlich wäre der richtige Weg eine Weltanschauungselite zu bilden", fordert Sirbu im Chat STRG_F-Reportern. Durch eine Art Graswurzelarbeit wollen die Rechtsextremen offenbar das gesellschaftliche und politische System unterwandern - so zumindest der Plan. "Wir müssen also erstmal einen festen Kern schaffen, wo jeder Einzelne seine festen Aufgaben hat, sich als Persönlichkeit und mit seinen Fähigkeiten für die Sache einzusetzen weiß, um später zum Beispiel selbst Leiter eines solchen Jugendprojektes zu werden oder halt von anderen gesellschaftlichen Bereichen."

Rechtsextreme treten bei Wahlen an

Politische Einflussnahme versuchen die Zwickauer Rechtsextremen über die Kleinpartei "Freie Sachsen", die vom Verfassungsschutz als "eine als Partei organisierte Gruppierung von Neonationalsozialisten, NPD-Funktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten" beobachtet wird. Sowohl Sirbu als auch Kujath traten bei den Kommunalwahlen im Juni für die Partei an, kamen jedoch nicht in Stadtrat und Kreistag. Kujath kandidiert bei den sächsischen Landtagswahlen am kommenden Sonntag auf einem hinteren Platz der Liste der "Freien Sachsen".

Im Interview mit STRG_F bestreitet Kujath, ein neonazistisches Netzwerk aufzubauen. Er sei kein Mitglied einer Gruppe, gehöre nur der Partei "Freie Sachsen" an. "Es gibt da keine Gruppenstruktur oder ähnliches mit irgendwelchen Leuten von 'Nordadler'", sagt Kujath. Die Telegram-Gruppe "Teutonischer Kreis", in der ein Nutzer unter dem Namen "Sanny Kujath" nach STRG_F-Recherchen zahlreiche Nachrichten verfasst hatte, kenne er nicht. Räumlichkeiten, die in Chats als Immobilie für die Gruppe dargestellt wurden, habe er nur für seine Tätigkeit als Verleger angemietet. Sirbu äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Plänen und Aktivitäten der Gruppe.

Verbindung zur AfD in Zwickau

Ein mutmaßlicher Anhänger der Gruppierung sitzt inzwischen im Zwickauer Stadtrat: Der AfD-Politiker Julian Bader zog mit 15 weiteren AfD-Mandatsträgern in die Stadtvertretung ein. Bader ist den Sicherheitsbehörden kein Unbekannter: Der Verfassungsschutz führte Bader beim Verbot im Jahr 2020 als Mitglied von "Nordadler", die Polizei beschlagnahmte bei der Durchsuchung damals unter anderem Stahlhelme und NS-Literatur.

Bader klagte später vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot von "Nordadler", scheiterte jedoch. Auf Anfrage von STRG_F bestreitet der AfD-Politiker, damals Mitglied bei "Nordadler" gewesen zu sein. Er betätige sich "auf demokratischem Wege" und wolle in der Kommunalpolitik "Grunderfahrungen für ein politisches Werden" sammeln.

Die Telegram-Gruppe "Teutonischer Kreis" sage ihm nichts, so Bader. An dem Zeltlager im vergangenen Jahr habe er nur teilgenommen, weil er zu einer "Sommerwanderung" eingeladen worden sei. Nach Zwickau sei er aus beruflichen Gründen gezogen.

Der Geschäftsführer der Zwickauer AfD-Fraktion teilt auf Anfrage von STRG_F mit, dass Bader wie alle Kandidaten zur Kommunalwahl informiert wurde, dass "eine Vernetzung nach rechts außen nicht im Sinne der Fraktion ist". Die Verbindungen zu Kujath und Sirbu seien nicht bekannt. Bei seiner Tätigkeit im Stadtrat sei Bader bisher "nicht negativ aufgefallen".

Junger Neonazi unter Terrorverdacht

Auch der damals 18-jährige Tristan K. aus Hessen war zu dem mutmaßlichen Gründungstreffen der Gruppe nach Sachsen angereist. Im November dann nahmen Beamte des Hessischen Landeskriminalamtes den jungen Rechtsextremisten fest, seither sitzt er in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat inzwischen Anklage gegen K. wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Verstößen gegen das Waffengesetz und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erhoben.

Sirbu und Kujath werden in dem Verfahren nach STRG_F-Informationen als Zeugen geführt. K.s Anwalt bestätigte, dass der junge Mann nach Sachsen ziehen wollte. Die Terror-Vorwürfe gegen seinen Mandanten bezeichnet der Verteidiger als übertrieben.

Die sächsische Polizei hat die Gruppe um Sirbu und Kujath nach Informationen von STRG_F im Blick. Der Verfassungsschutz registrierte das Treffen im Sommer 2023 als "Zeltlager mit Orientierungsmarsch" und ordnete alle Teilnehmer dem rechtsextremistischen Spektrum zu.