Warmbiers Notarzt Über eine geheime Nordkorea-Reise
Es war eine ungewöhnliche Mission, die der US-Notarzt im Juni 2017 antrat. Er sollte den seit anderthalb Jahren in Nordkorea festgehaltenen Studenten Warmbier zurück in die USA bringen.
tagesschau.de: Herr Flueckinger, wie kam es zu Ihrem ersten Einsatz in Nordkorea?
Mike Flueckinger: Das US-Außenministerium rief bei uns an und fragte, ob wir nach Pjöngjang fliegen könnten. Das Regime sei offenbar bereit, Otto Warmbier freizulassen. Ich sagte, ich sei dabei. Meiner Familie sagte ich erst hinterher, dass der Einsatz nach Nordkorea führte.
Mike Flueckiger fliegt von einer kleinen Airbase im US-Bundesstaat Georgia aus im Auftrag der US-Regierung weitweite Einsätze als Rettungsarzt. Gemeinsam mit dem damaligen Nordkorea-Beauftragten der Regierung reiste er im Sommer 2017 auf inoffizieller Route nach Pjöngjang. Er war der erste US-Mediziner, der den Wachkoma-Patienten Otto Warmbier untersuchte.
tagesschau.de: Was wussten Sie damals über Warmbiers Zustand?
Flueckinger: Alles, was ich hatte, war eine kurze Notiz, dass er im "Friendship Hospital" im Koma liege - und das seit 15 Monaten.
tagesschau.de: Das war mitten im Atomstreit, auf dem Höhepunkt wechselseitiger Kriegsdrohungen. Sorgte Sie das?
Flueckinger: Ich sagte mir, wenn wir Warmbier heimholen können, gab es offenbar auch Verhandlungen. Erst später erfuhr ich, dass sie, etwa in Oslo, sogar schon viele Monate zuvor begonnen hatten.
Der Notarzt Mike Flueckinger hatte Warmbier auf seinem Rückflug in die USA begleitet und untersucht.
tagesschau.de: Ihre Mission war weitgehend geheim, die Reiseroute ungewöhnlich. Als Drittland war allein Japan informiert.
Flueckinger: Und trotzdem gab es Pannen. Die Flugaufsicht in Sapporo beispielsweise untersagte uns den Weiterflug, weil es keine diplomatischen Beziehungen zu Pjöngjang gebe, geschweige denn eine Flugroute. Da glühten dann einige Drähte heiß. Als wir letztlich flogen, hörten wir über Funk nur noch: Jetzt immer weiter nach Westen, alles Gute! Dann brach der Kontakt ab. Nach zwanzig Minuten meldeten sich tatsächlich die Nordkoreaner, in bestem Englisch.
tagesschau.de: Bald darauf wurden Sie zu Warmbier geführt. Was war Ihr erster Eindruck?
Flueckinger: Es war ein großer Raum der Intensivstation, in dem nur Warmbier lag. Der Oberarzt war da und der behandelnde Arzt. Sie gaben mir freie Hand für die Untersuchung. Dann sah ich, dass er gar nicht im Koma lag. Seine Augen waren geöffnet, aber er reagierte nur auf Geräusche und Berührung. Die Ärzte bestätigten das. Ich untersuchte Herz, Lunge, Pupillen, Nerven, Beweglichkeit. Ich hatte die Zeit, die ich brauchte. Danach stellte ich meine Fragen.
tagesschau.de: US-Medien berichteten von Botulismus, also einer Lebensmittelvergiftung, und einer Schlaftablette als Koma-Ursache. Da die Klinik in Cincinnati später keine Spuren von Botulismus fand, gilt das bis heute als vorgeschoben.
Flueckinger: In Wahrheit nannten die Ärzte zwei getrennte Erklärungen. Die eine war in der Tat Botulismus, was sie aber selbst nicht prüfen könnten. Er habe am ersten Tag der Haft eine Mahlzeit mit womöglich schlechtem Schweinefleisch gegessen. Das kann zwar zu Atemstillstand führen, aber nicht so rasch. Es erschien mir nicht plausibel.
Als zweite Möglichkeit gaben sie an, dass man ihm zu Haftbeginn zwei Sedativa gegeben hätte, weil er sehr aufgeregt gewesen sei, und dass er darauf entweder überreagiert habe oder dass es eine Überdosis gewesen sei. Das hätten die Aufseher selbst eingeräumt. Ich recherchierte später die Wirkstoffe, einer davon war ein Antihistaminikum, das wir in den USA allenfalls in Hautlotionen verwenden, aber nicht als Pillen.
Im Frühjahr 2017 hatte Warmbier Nordkorea um um Verzeihung und Gnade gebeten.
tagesschau.de: Es gibt bis heute auch den Vorwurf, Warmbier sei unzureichend behandelt worden.
Flueckinger: Ich befragte die Ärzte nach allem. Wie kam er an? Was haben Sie gemacht und wie lange? Was ergab die Erstuntersuchung, gab es Infektionen und so weiter.An einer Halsnarbe sah ich, dass sie eine Tracheostomie durchgeführt, also die Luftröhre geöffnet hatten, als Rettungmaßnahme. Später wurde er künstlich beatmet. Sie überließen mir die Laborergebnisse, Röntgenbilder und CT-Scans des Gehirns. Mein Eindruck war, dass sie gut reagiert und Warmbier wiederbelebt und behandelt hatten, wie wir es auch getan hätten.
tagesschau.de: Hatten Sie den Eindruck, dass die Klinik etwas zurückhielt?
Flueckinger: Nein. Ich empfand die Ärzte als sehr offen. Mir fiel umgekehrt sogar auf, dass Warmbiers Haut keine Druckstellen aufwies, was nach einer derart langen Liegezeit bemerkenswert ist.
tagesschau.de: Hatten Sie sich nicht gefragt, ob er womöglich gefoltert wurde?
Flueckinger: Ich suchte definitiv nach Folterspuren, nach welchem Indiz auch immer. Aber ich fand keine, obwohl ich nicht sicher bin, was nach einem Jahr davon noch sichtbar wäre.
tagesschau.de: Hatten Sie an konkrete Szenarien gedacht, an Waterboarding etwa? Oder auch an einen möglichen Selbstmordversuch?
Flueckinger: Es gab auch die Selbstmordthese, angesichts seiner Situation vielleicht sogar verständlich. Wenn er etwa versucht hätte, sich zu erhängen, kann ein vorübergehender Atemstillstand solche Hirnschäden auslösen. Aber hatte er die Mittel dazu?
Und wenn Dritte ihn am Atmen gehindert hätten, müsste man wiederum fragen: War Warmbier nicht viel zu wertvoll für Nordkorea? Nicht,dass ich glaube, dort gebe es nur herzensgute Menschen. Aber es ist schwer vorstellbar, dass sie dort mal eben sagten, wir haben da gerade einen jungen Amerikaner, nun wollen wir doch mal sehen, was wir alles mit ihm anstellen können.
tagesschau.de: Dachten Sie bei Ihrer Untersuchung an Warmbiers Eltern, die von all dem kaum etwas wussten?
Flueckinger: Natürlich - die ganze Zeit über. Ich habe selbst Kinder. Ich wusste, wie schwer das alles für die Familie werden würde.
tagesschau.de: Sie mussten dann einen Bericht schreiben. Worüber genau?
Flueckinger: Über das Ergebnis meiner Untersuchung. Sie gaben mir Stift und Papier und sagten, ich solle aufschreiben, was ich vorgefunden hätte. Später erschien dann ein Richter in Robe, um Warmbier, der ja noch immer ein Häftling war, die Strafe zu erlassen - aus humanitären Gründen, wie es hieß.
tagesschau.de: Wie verlief der Rückflug?
Flueckinger: Die Vibrationen der Maschine waren schlimm für Warmbier. Er versteifte sich, als hätte er Krämpfe. Wir gaben ihm Beruhigungsmittel, kleine Dosen. Vor der Ankunft in Cincinnati entschieden wir im Team, dass auch die Eltern ihn möglichst beruhigt antreffen sollten. Wir verließen dann die Kabine, um ihnen Zeit alleine zu geben. Und schon im ersten Moment, als sie zu ihm sprachen, verfiel er wieder in diese Aufregung, als habe er ihre Stimmen erkannt. Es war furchtbar mitanzusehen, selbst aus der Distanz.
tagesschau.de: Beim Washingtoner Entschädigungsprozess gegen Nordkorea, der sich den Foltervorwurf zu eigen machte, waren Sie ebenso wenig als Zeuge geladen wie die Gerichtsmedizinerin. Wunderte Sie das?
Flueckinger: Ja. Ich hatte mich zwar nicht gedrängt, aber ich dachte sogar, ich wäre ein wichtiger Zeuge.
tagesschau.de: Nordkorea hat sich nach Warmbiers Tod selbst zum Opfer erklärt, obwohl das Regime dessen Zustand über ein Jahr lang geheim hielt. Man habe ihn stabil nach Amerika ausreisen lassen. Dort erst sei er gestorben.
Flueckinger: Klar doch. Auch als ich das hörte, schüttelte ich nur noch den Kopf.
Das Interview führt Klaus Scherer, NDR, für die ARD-Dokumentation "Die Akte Otto Warmbier". Es wurde für die schriftliche Form stark gekürzt.