Eine Wasserprobe wird untersucht
interview

Geplantes EU-Verbot von PFAS "Bedrohung der öffentlichen Gesundheit"

Stand: 23.03.2023 11:22 Uhr

PFAS-Chemikalien sollen in der EU künftig verboten werden. Seit Mittwoch läuft die öffentliche Anhörung. US-Umweltanwalt Bilott befürchtet, dass vor allem die Industrie diese nutzen wird, um das Verbot zu verhindern.

tagesschau.de: Seit Mittwoch können unter anderem Industrievertreter Stellungnahmen zum geplanten EU-Verbot der ewigen Chemikalien PFAS abgeben. Was erwarten Sie davon?

Bilott: Wir sehen bereits die Botschaften, es sind mehr oder weniger dieselben Argumente, die wir seit 30 Jahren in den USA hören. Nämlich, dass diese Chemikalien für unsere Gesellschaft unverzichtbar sind. Sie sind in praktisch jedem Produkt enthalten, in Dingen, die wir brauchen. Das klingt in etwa so: "Naja, dann haben Sie kein Handy mehr, keine 5G-Netze, keine lebensrettenden Arzneimittel." Das ist das Argument, das den politischen Entscheidungsträgern vorgetragen wird.

Robert Bilott
Zur Person
Robert Bilott ist US-amerikanischer Umweltanwalt und führt seit 24 Jahren Prozesse gegen Chemiekonzerne. Er deckte auf, wie gefährlich die Chemikaliengruppe der PFAS (Per- und Polyfluorierte Alkylverbindungen) ist. Sein Kampf gegen die Industrie wurde in dem Hollywoodfilm "Vergiftete Wahrheit" verfilmt.

tagesschau.de: Das klingt aber tatsächlich nach einem validen Argument.

Bilott: Wenn man zurückgeht und sich die Geschichte anschaut, sieht man, dass es eine konzertierte Aktion dieser Unternehmen war, diese Chemikalien in so viele Dinge wie möglich zu stecken. Damit sie heute argumentieren können, dass sie in zu vielen Dingen enthalten sind, um sie zu regulieren.

Aber es geht hier um die öffentliche Gesundheit. Erst kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, die zeigt, wie viele Todesfälle beispielsweise allein in den Vereinigten Staaten seit 1999 auf PFAS zurückzuführen sein könnten: mehr als sechs Millionen. Und die Kosten, die dem Gesundheitssystem durch die Behandlung der gesundheitlichen Folgen dieser Chemikalien entstehen, belaufen sich auf Milliarden und Abermilliarden von US-Dollar.

PFAS auch im Wasser

tagesschau.de: Im Februar haben NDR, WDR und SZ gemeinsam mit europäischen Medien erstmals gezeigt, dass bereits mehr als 17.000 Standorte in Europa nachweislich mit PFAS belastet sind. Viele Menschen in Deutschland waren davon ziemlich überrascht. Sie auch?

Bilott: In den USA ist das schon seit Jahrzehnten bekannt, während die Menschen in Europa erst jetzt bemerken, dass dieses Zeug auch in ihrem Wasser ist. Diese vom Menschen hergestellten Chemikalien durchtränken den Boden, das Wasser und das Blut der Menschen überall auf der Welt. Die Tatsache, dass wir erst jetzt beginnen, den Umfang und das Ausmaß dieses Problems zu erkennen, ist beunruhigend, denn diese Chemikalien werden mit einer Reihe von potenziellen Folgen für die menschliche Gesundheit in Verbindung gebracht - darunter Krebs, eine verminderte Immunfunktion und eine geringere Wirksamkeit von Impfstoffen.

tagesschau.de: Was erwarten Sie denn von der europäischen Politik?

Bilott: Es liegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass diese Chemikalien eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen und dass jetzt Schritte unternommen werden müssen, um dagegen vorzugehen. Wir können nicht ewig darüber diskutieren, während wir alle diesen Chemikalien ausgesetzt sind. Der EU-Vorschlag alle PFAS als Gruppe zu verbieten, sorgt für viel Wirbel, die Hersteller wehren sich.

Zu wenig Belege?

tagesschau.de: Während unserer Recherchen konnten wir auch auf Tausende von Dokumenten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zugreifen, die zeigen, dass Lobbyvertreter verschiedener Branchen vage oder irreführende Informationen verwenden, um ihre Argumente vorzubringen. Inwieweit erinnert Sie das an die Lobbyarbeit rund um PFAS in den USA?

Bilott: Von dem Tag an, an dem ich vor 24 Jahren mit diesem Thema begann, habe ich gehört, dass es nicht genug Beweise und Daten gebe, um PFAS zu verbieten. Es gibt eine ganze Industrie, deren einziger Zweck es ist, Zweifel zu säen und der Öffentlichkeit, den Aufsichtsbehörden und der Wissenschaft zu sagen, dass wir noch nicht genug wissen, um Vorschriften zu erlassen. Diese Strategie geht zurück auf die Tabakindustrie und andere chemische Problemfälle, die Jahrzehnte zurückliegen.

Kampf um Sanierungskosten

tagesschau.de: Das Problem ist ja nicht nur, dass PFAS immer noch in die Umwelt gelangen, sondern dass sie bereits dort sind und bleiben.

Bilott: Das ist ein großes Problem. Alles, was in den letzten 70 bis 80 Jahren emittiert wurde, ist da draußen und es wird nicht verschwinden. Deshalb nennt man PFAS auch Ewigkeitschemikalien. Es ist wichtig, zu bedenken, dass diese Chemikalien vollständig von Menschen hergestellt werden. Wenn man sie also im Boden, im Wasser, in Menschen oder in Tieren findet, sind das im Wesentlichen Fingerabdrücke, die zu den Unternehmen zurückführen, die sie entwickelt und in all diese Produkte gebracht haben.

Wir kämpfen in den USA gerade vor Gerichten im ganzen Land, um sicherzustellen, dass die Unternehmen, die diese Stoffe hergestellt und wissentlich verwendet haben, die jahrzehntelang enorm davon profitiert haben, für die Kosten des entstandenen Schadens verantwortlich gemacht werden. Das wird ein großer Kampf werden, die Kosten für Sanierungen werden astronomisch sein.

tagesschau.de: Alles begann mit Wilbur Tennant, einem Bauern, der in Ihre Anwaltskanzlei kam, weil seine Kühe an mit PFAS verunreinigten Wasser starben. Glauben Sie, er hat realisiert, was er da ins Rollen gebracht hat?

Bilott: Wilbur Tennant war derjenige, der sicherstellen wollte, dass wir einen Weg finden, diese Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Tatsache, dass PFAS möglicherweise in Europa verboten werden, dass die Vereinigten Staaten Trinkwasserstandards für PFAS vorschlagen, das waren Dinge, von denen niemand von uns dachte, dass sie jemals passieren würden.

Wir verdanken es wirklich der Tatsache, dass ein Einzelner, ein Landwirt aus West Virginia, aufgestanden ist und gesagt hat: So sollte das nicht laufen. Er hat vielleicht die größtmöglichen Gegner gegen sich, einen der größten Chemiekonzerne der Welt, das amerikanische Regulierungs- und Justizsystem, aber das muss sich ändern. Er hatte Recht.

"Ich sehe, dass wir Fortschritte machen"

tagesschau.de: Sie machen das seit 24 Jahren, wie halten Sie das durch?

Bilott: Mich ermutigt, dass etwas passiert. Ich sehe, dass wir Fortschritte machen, vor allem in den letzten paar Jahren, besonders seit dem Film "Vergiftete Wahrheit". Es hat ein so unglaubliches, plötzliches Bewusstsein gegeben, dass die Menschen erkennen: Moment mal, das passiert wirklich, und zwar nicht nur hier, sondern überall. Die Menschen ziehen endlich die richtigen Schlüsse, und das führt dazu, dass sich die Gesetze ändern.

Ich hätte nie gedacht, dass der Präsident der Vereinigten Staaten öffentlich über das PFAS-Problem spricht und Milliarden von Dollar zur Verfügung stellt. Das ist eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit weltweit, über die wir wirklich sprechen müssen. Es muss etwas geschehen, um uns alle und unsere Kinder in Zukunft zu schützen. Ich kann mir also, ehrlich gesagt, nichts Wichtigeres vorstellen.

Das Gespräch führten Johannes Edelhoff und Catharina Felke, NDR. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.