Explosionen der Ostsee-Pipelines Lauter Dementis
Ein Jahr nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines haben deutsche Behörden mehrere Tatverdächtige identifiziert. Sie stammen alle aus der Ukraine. Nach Recherchen von ARD, SZ und "Zeit" dementieren die meisten eine Tatbeteiligung.
Die "Andromeda" ist eine Segeljacht wie unzählige andere. Fünfzehn Meter lang, etwas in die Jahre gekommen. Man sieht ihr die vielen Fahrten an. Für die Ermittler von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei aber ist das Boot die heißeste Spur in einem der größten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegszeit - den Sprengstoffanschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines. Immerhin waren an Bord des Bootes Sprengstoffspuren sichergestellt worden.
Vor einem Jahr, im September 2022, sollen mehrere Männer und eine Frau, so haben es Augenzeugen erzählt, mit der "Andromeda" von Rostock aus in See gestochen sein. Rund zwei Wochen später dann zerstörten mehrere Explosionen die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2. Es war ein bislang beispielloser Angriff auf die Energieversorgung Deutschlands.
Doch wer steckt dahinter? Ein Team von ARD, "Süddeutscher Zeitung" (SZ) und der "Zeit" hat in den vergangenen Monaten zu den Anschlägen recherchiert. Die Reporterinnen und Reporter waren in Deutschland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Polen und in der Ukraine unterwegs. Sie haben Spuren verfolgt, die auch deutsche Behörden ermittelt haben, und haben Personen ausfindig gemacht, die als Verdächtige gelten.
Eine Jacht in zentraler Rolle
Eine zentrale Rolle bei den Ermittlungen spielt die Bezahlung der angemieteten Jacht. Die "Andromeda" soll über eine polnische Briefkastenfirma bezahlt worden sein: die Feeria Lwowa mit Sitz in Warschau, ein Unternehmen, das kaum Geschäftsaktivitäten vorweisen kann.
Wie die Recherchen von ARD, SZ und "Zeit" zeigen, soll hinter diesem angeblichen Reisebüro der ukrainische Geschäftsmann Rustem A. stehen. Das geht unter anderem aus ukrainischen Justizunterlagen hervor. Als die Reporter den Ukrainer in Kiew ausfindig machen und zu einer möglichen Rolle bei den Anschlägen auf Nord Stream befragen, will sich Rustem A. nicht äußern. "Ich möchte nicht mit Ihnen sprechen", sagte der Ukrainer.
Jacht-Anmietung über mehrere Länder
Neue Erkenntnisse gibt es auch zur Anmietung des Segelbootes. Deutsche Ermittler gehen davon aus, dass die E-Mail an den deutschen Bootsverleiher vom Google-Mail-Konto eines Ukrainers verschickt wurde, der inzwischen als tatverdächtig gilt.
Es handelt sich um einen Mann, der für eine Firma arbeitet, die auch Aufträge vom ukrainischen Staat bekommt. Maxim B.* organisiert offenbar maritime Dienstleistungen. In einem Telefonat mit den Reportern dementierte er jedoch die Vorwürfe. Er habe die "Andromeda" jedenfalls nicht angemietet, so der Mann. "Ich habe keine Ahnung." * [Name geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.]
Für die Anmietung des Bootes soll der Ukrainer per E-Mail die Kopien zweier verfälschter Pässe an die deutsche Charterfirma übermittelt haben, eines rumänischen und eines bulgarischen. Das Foto auf dem rumänischen Pass, ausgestellt auf einen "Stefan Marcu" zeigt nach Erkenntnissen deutscher Ermittler den Ukrainer Walerij K.
Welche Rolle spielt Walerij K.?
Das Rechercheteam aus ARD, SZ und "Zeit" hat im ukrainischen Dnipro mit dem Bruder und der Großmutter des Ukrainers gesprochen. Die Großmutter sagte, K. kämpfe derzeit an der Front und melde sich nur selten per Telefon: "Er bekommt derzeit viel Druck." Sein Bruder erklärte im Gespräch mit den Reportern: "Er war schon lange nicht mehr zu Hause."
Die zeitweilige Lebensgefährtin von Walerij K. ist nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie lebt in Frankfurt/Oder. Als Reporter sie dort nach K. und einer möglichen Beteiligung an den Nord-Stream-Anschlägen fragten, sagte sie: "Er ist unschuldig, und das wird sich bald zeigen."
Nach Informationen von ARD, SZ und "Zeit" sollen deutsche Ermittler inzwischen erfahren haben, dass Walerij K. eine Beteiligung an den Anschlägen dementiert. Der Ukrainer soll gegenüber seiner zeitweiligen Lebensgefährtin seine Unschuld beteuert haben. Deutsche Sicherheitsbehörden können derzeit nicht ausschließen, dass die Identität von Walerij K. gestohlen wurde.
Keine DNA-Spuren gefunden
Schon im Mai durchsuchten die Ermittler die Wohnung der Lebensgefährtin in Frankfurt/Oder, stellten ihr Mobiltelefon sicher und nahmen DNA-Proben des gemeinsamen Kindes, um es mit Spuren zu vergleichen, die auf der "Andromeda" entdeckt worden waren. Ein Abgleich verlief negativ. Es gibt bisher keine Belege, dass Walerij K. tatsächlich an Bord des Bootes war. Seine mögliche Rolle bei den Anschlägen bleibt weiterhin unklar.
Bei der Anmietung der "Andromeda" soll auch die Kopie eines bulgarischen Passes übermittelt worden sein. Den Recherchen zufolge war er auf "Mihail Popov" ausgestellt, offenbar ebenfalls eine falsche Identität. Dieser Tatverdächtige, der mutmaßliche Skipper der Segeljacht, soll auch bei einem Zwischenstopp im polnischen Kolberg von der dortigen Küstenwache als Crewmitglied protokolliert worden sein.
Im polnischen Hafen Kolberg legte die "Andromeda" einen Zwischenstopp ein.
Nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler sollen einige Mitglieder der Besatzung der "Andromeda" Mobiltelefone verwendet haben. Den Ermittlern soll es demnach gelungen sein, diese Telefone nach den Anschlägen in der Ukraine zu orten.
Zwischenstopp in Schweden
Den neuen Recherchen zufolge soll die "Andromeda" kurz vor den Explosionen der Pipelines neben den bislang bekannten Zwischenstopps in Dänemark und Polen, auch einen Halt im schwedischen Hafen Sandhamn gemacht haben. Das berichten mehrere Augenzeugen, die das Schiff und die Besatzung im Hafen gesehen haben wollen.
Ein Augenzeuge, ein deutscher Segler, sagte gegenüber ARD, SZ und "Zeit" er habe fünf Männer und eine Frau an Bord gesehen. "Zwei Herren mit kurzen Haaren, militärisch würde ich sagen", so beschrieb der Segler die Männer. Die Frau sei klein, zierlich und brünett gewesen. Aus deutschen Ermittlerkreisen wurde der Stopp in Sandhamn bestätigt.
Bisher keine eindeutigen Identifizierungen
In mehreren Ländern, darunter Deutschland, Schweden und Dänemark, laufen derzeit Ermittlungen wegen der Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines. "Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand laufender Ermittlungen", so teilte der Generalbundesanwalt auf Anfrage mit.
Im Rechtsausschuss des Bundestages berichtete Generalbundesanwalt Peter Frank in der vergangenen Woche, dass es bislang nicht gelungen sei, die Besatzung der "Andromeda" zweifelsfrei zu identifizieren. Man gehe jedoch davon aus, dass professionelle Taucher Sprengsätze an den Pipelines angebracht hätten.
Polen glaubt nicht an "Andromeda"-Theorie
Mehrere Sachverständige des Helmholtz-Instituts, der Deutschen Marine und des Bundesamtes für Schifffahrt und Hydrographie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Operation auch mit einem Segelboot wie der "Andromeda" möglich gewesen sei.
Während die deutschen Ermittler davon ausgehen, dass die "Andromeda" für die Tat verwendet wurde, gibt es indes Widerspruch aus Polen. Der polnische Staatssekretär Stanislaw Zaryn, der zuständig ist für die Koordination der Geheimdienste seines Landes, sagte ARD, SZ und "Zeit": "Wir haben keine Spuren der Beteiligung dieser Jacht an den Ereignissen gefunden."
Bei der Crew habe es sich offenbar um Leute gehandelt, "die auf der Suche nach Spaß waren". Die Fahrt habe einen "rein touristischen Charakter" gehabt. Niemand sei aufgefallen, "der nur im Ansatz eine militärische oder sabotagebezogene Ausbildung hätte". Beweise legte er nicht vor. Zaryn und die polnische Regierung halten es für wahrscheinlicher, dass Russland hinter dem Anschlag steckt. Die russische Regierung hatte eine Beteiligung wiederholt dementiert.
Sowohl die Bundesregierung als auch die ukrainische Regierung ließen Anfragen der drei Medien unbeantwortet.
Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der Reportage "Tatort Ostsee - Wer sprengte die Nord-Stream-Pipelines" ab sofort in der ARD-Mediathek und um 21:45 Uhr im Ersten.