Polizisten führen einen vorläufig festgenommenen Mann ab.
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Falsche Polizisten Opfer warten auf Entschädigung

Stand: 11.10.2022 09:21 Uhr

Ein arabisch-türkischer Clan hat unzählige Menschen in Deutschland um geschätzt 120 Millionen Euro betrogen. Vor Kurzem wurden einige der Täter verurteilt. Ihre Opfer warten auf Entschädigung.

Von Fabian Mader, BR, und Olaf Sundermeyer, rbb

Nach gut einem Jahr Verhandlung hat das Landgericht im türkischen Izmir sein Urteil gegen Amar S. und 66 weitere Telefonbetrüger aus einer kriminellen Vereinigung verkündet: Im September wurde der in Bremen als Mehrfachtäter polizeibekannte Amar S., einer der Hauptangeklagten, zu 400 Jahren Haft verurteilt. Auch weitere Haupttäter sind Mitglieder dieser arabisch-türkischen Großfamilie.

Insgesamt wurden gegen die Callcenterbetrüger, die sich als Polizisten ausgaben, Haftstrafen von mehr als 1100 Jahren verhängt. Das Verfahren gilt als beispielhaft für die normalerweise eher schwierige Zusammenarbeit deutscher und türkischer Ermittlungsbehörden.

Deutsch-türkische Ermittlungen

Das Urteil des türkischen Gerichts fiel nach mehrjährigen Ermittlungen - auch in Deutschland. Bei der Kriminalpolizei in München, waren Betrugsfälle durch Leute, die sich als Polizisten ausgaben, aus ganz Deutschland zusammengelaufen. Dort geht man von einem Gesamtschaden von mehr als 120 Millionen Euro aus. Im Zuge der internationalen Rechtshilfe wurden die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaften aus Bayern und anderen Bundesländern an die türkische Justiz übergeben, die nach der Festnahme zahlreicher Bandenmitglieder 2020 schließlich in Izmir Anklage erhoben hatte.

Von der Türkei aus hatten die Betrüger ihre Opfer in Deutschland mit der Masche der sogenannten "falschen Polizisten" um ihr Vermögen gebracht. Dabei gaben sie sich am Telefon als Polizisten aus und berichteten etwa von Einbrüchen in der Nachbarschaft. So brachten sie vor allem ältere Menschen dazu, ihnen Bargeld, Schuck und andere Wertsachen zu übergeben, um diese angeblich in Sicherheit zu bringen.

Diesem Trick fielen Tausende in Deutschland zum Opfer. Nun warten die Opfer des Izmir-Clans auf Entschädigung. Denn das Urteil weist neben den Haftstrafen auch die "Rückgabe der nach den Betrugshandlungen verlorene gegangenen Güter" an. Neben Bargeld und Schmuck wurden auch teure Markenuhren von Opfern an die Abholer der Bande in Deutschland übergeben.

Ein Großteil der Beute gelangte danach über Kuriere in die Türkei, wo die Behörden bei den Mitgliedern der Bande Vermögen im Wert von 60 Millionen Euro beschlagnahmten. Daraus sollen nach dem Urteil des Landgerichts in Izmir nun die rund 40 Opfer entschädigt werden, deren Fälle der Bande eindeutig zugeordnet werden konnten.

Entschädigung für Opfer möglich

Darum ging es auch den ermittelnden Polizisten: Désirée Schelshorn, Vizechefin der "AG Phänomene" des Polizeipräsidiums München, sagte als Reaktion auf das Urteil, das sie als "gerecht" empfinde: "Was ich viel wichtiger finde, ist, dass unsere Geschädigten durch diese Verurteilungen die Möglichkeit haben, ihr Geld aus diesem Betrug wieder zurückzubekommen."

Die betroffenen Opfer selbst wurden nach dem Urteil jedoch von den türkischen Behörden bislang nicht über der Möglichkeit einer Entschädigung informiert. Das ergaben Nachfragen von rbb24 Recherche und dem ARD-Politikmagazin report München. In einem Fall sagte eine betroffene Frau im Interview, dass sie seit ihrer Aussage bei der Polizei vor einigen Jahren nie wieder in dieser Sache informiert worden war. Nun hofft sie auf Rückgabe von 12.000 Euro.

Richter setzt Opferanwälte ein

Das Verfahren zur Rückgabe der Schadenssummen soll über Anwälte in der Türkei laufen, die durch das Gericht bestellt wurden. Aber auch dort gibt man sich auf Nachfrage ahnungslos: "Die Mandantin, die ich vertrete, hat mich noch nicht kontaktiert. Vielleicht weiß sie gar nicht, dass ich sie vertrete", sagt eine Anwältin im Interview mit report München.

Das Auswärtige Amt teilte auf Anfrage mit, dass die deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei keinen Einfluss auf die Verfahren nehmen könnten: "Opfer müssen ihre Forderungen dementsprechend selbst oder über beauftragte Anwälte geltend machen."

Türkei kein sicherer Rückzugsort mehr

Viele der verurteilten Callcenterbetrüger waren nach Straftaten, wegen derer sie sich in Deutschland hätten verantworten müssen, in die Türkei geflohen. So auch Amar S., dem vor einem Prozess 2011 wegen Einbruchdiebstahls die Flucht aus einem Haftraum im Bremer Landgericht gelungen war. Bei seiner Aussage per Videoschalte aus seiner türkischen Untersuchungshaft vor Gericht in Izmir bezeichnete er sich als unschuldig und beschwerte sich über die schwierigen Haftbedingungen. Die Anwältin von zweien seiner Mittäter zeigte sich nach dem Urteil im Interview mit rbb24 Recherche und report München angesichts des Strafmaßes für ihren Mandanten schockiert: "Mit so einem Ergebnis haben wir nicht gerechnet."

Nur wenige Tage nach dem Urteil in Izmir erfolgte ein Schlag gegen ein weiteres Netzwerk "falscher Polizisten", gegen das ebenfalls bei der Kriminalpolizei in München ermittelt worden war: Laut türkischen Medien wurde Vermögen im Wert von rund 30 Millionen Euro sichergestellt, 30 Tatverdächtige wurden festgenommen, darunter der in der Küstenstadt Mersin auch der mutmaßliche Kopf der Bande: Heisem M. - auch er ein geflohener Krimineller aus Bremen und Mitglied derselben Großfamilie wie der bereits verurteilte Amar S..

Den familiären Zusammenhang bestätigte ein langjähriger, ehemaliger Clan-Ermittler aus Bremen: "Gleiche Ethnie, gleicher Herkunftsort, oft Familien, Angehörige, Familienmitglieder oder eben verschwägert. Sie bilden das Konstrukt der Bande. Und das ist letztendlich das, was landläufig als Clankriminalität bezeichnet wird."

Fabian Mader, BR, 11.10.2022 11:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 11. Oktober 2022 um 06:21 Uhr. Zudem ist dies Thema im ARD Politikmagazin "report München" um 21:45 Uhr.