Vorgehen wohl gesetzeswidrig Nike vernichtet Neuware
Unter dem Deckmantel eines Recyclingprogramms zerstört Nike auch Neuware - das zeigen Recherchen des NDR, der "Zeit" und der "Flip"-Redaktion. Der Konzern verstößt damit möglicherweise gegen deutsches Recht.
Der Sportschuhhersteller Nike zerstört laut Recherchen des NDR, der "Zeit" und der "Flip"-Redaktion systematisch Neuware, die etwa als Retoure zurückgeschickt wurden. Laut Bundesumweltministerium verstößt Nike damit möglicherweise gegen deutsches Recht.
Die Zerstörung der Neuware findet dabei unter dem Deckmantel eines Recyclingprogramms statt, mit dem der Konzern sich als besonders nachhaltig darzustellen versucht. Nach den Recherchen werfen Mitarbeiter einer Recyclingfabrik im belgischen Herenthout neuwertige Schuhe in eine Maschine, in der die Schuhe anschließend zerstört werden. Ferner liegen den Redaktionen Belege vor, dass es sich um von Kundinnen und Kunden zurückgesandte Ware handelt, sogenannte Retouren. Die Recyclinghalle wird von Nike in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Abfallentsorger betrieben.
Die weiße Halle aus Wellblech in der belgischen Kleinstadt Herenthout ist Teil von "Nike Grind", einem Nachhaltigkeitsprogramm des Weltkonzerns, für das alte Schuhe recycelt und zum Beispiel zu Sportplatzbelägen verarbeitet werden sollen. Wo genau die Halle steht, wollte Nike auf Nachfrage nicht verraten. Ein Reporterteam vom NDR, "Zeit" und dem Recherche-Startup "Flip" hat sie trotzdem gefunden. Denn von hier hat ihnen ein altes Paar Sneaker ein GPS-Signal geschickt.
Das Experiment "Sneakerjagd"
Die Sneaker stammen von der Komikerin Carolin Kebekus. Sie sind Teil eines groß angelegten Experiments. Für die "Sneakerjagd" hat das Reporterteam elf Paar Schuhe von Prominenten mit GPS-Sendern verwanzt. So will es herausfinden: Was passiert wirklich mit unseren alten Schuhen, nachdem sie entsorgt wurden? Kann man den Nachhaltigkeitsversprechen von Herstellern und Händlern trauen? Welche Folgen hat unser Schuhkonsum für die Umwelt, unsere Gesundheit und den Rest der Welt? Denn Sneaker stehen wie kaum ein anderes Kleidungsstück für die Fast-Fashion-Gesellschaft, in der immer mehr und immer billiger produziert wird. Insgesamt verursacht die Modeindustrie mehr CO₂-Emissionen als Luft- und Schifffahrt zusammen.
Die Schuhe von Carolin Kebekus haben die Reporter im Hamburger Nike-Store abgegeben. Dort steht wie in anderen Nike-Filialen eine Rücknahmebox mit der Aufschrift "Recycle Deine alten Schuhe". Von Hamburg sind die Schuhe in die Wellblechhalle nach Belgien gegangen, das zeigen die Signale der GPS-Tracker. Dort aber, so finden die Reporter heraus, wird neben alten Schuhen auch systematisch und im großen Stil Neuware geschreddert. In vielen der Sneaker steckt noch das Füllpapier. Auf einem Fließband fahren sie später in einen Schredder hinein.
Diese Schuhe wurden in der Nike-"Recyclinghalle" der belgischen Kleinstadt Herenthout zerstört, obwohl sie tadellos aussahen.
Schuhe stammen auch aus Neuwaren-Retouren
Dass es sich bei den Schuhen auch um Retouren handelt, die von Kunden und Kundinnen zurückgegeben wurde, belegt ein zweites Paar Schuhe. Dieses wurde direkt auf der Webseite von Nike bestellt, mit GPS-Trackern ausgestattet und als Retoure an den Konzern zurückgeschickt. Auch diese Schuhe wurden in die Halle nach Herenthout gebracht und dann zerstört.
Schon lange befürchten Umweltorganisationen wie Greenpeace, dass Neuware von Herstellern direkt vernichtet wird, um Lagerkosten zu sparen, und weil sie kein Interesse daran haben, ihre Ware günstiger zu verkaufen. Rabatte, so die Sorge, könnten dem Image der Marke schaden.
Möglicher Verstoß gegen deutsches Recht
Gebrauchstüchtige Retouren zu vernichten ist in Deutschland verboten. Christopher Stolzenberg, Sprecher des Bundesministeriums für Umwelt, bezeichnet den Sachverhalt als möglichen Verstoß gegen das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz. "Gemäß der Abfallhierarchie hat die Abfallvermeidung oberste Priorität und Vorrang vor allen anderen Entsorgungsmaßnahmen wie beispielsweise Recycling." Danach muss beim Vertrieb von Erzeugnissen dafür gesorgt werden, dass deren Gebrauchstauglichkeit erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden. Die zuständige Landesbehörde müsse tätig werden, es drohe ein Bußgeld von bis 100.000 Euro. Da die Nike Deutschland GmbH in Berlin angemeldet ist, wäre die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zuständig.
Nachhaltigkeits-Chef zeigt sich "überrascht"
Auf die Recherche-Ergebnisse angesprochen, zeigte sich Noel Kinder, der Nachhaltigkeits-Chef von Nike, vergangene Woche auf der Weltklimakonferenz in Glasgow überrascht. "Das ist natürlich nicht Teil dessen, was wir versuchen zu tun", sagt er. Später räumt eine Nike-Sprecherin ein, dass zumindest Retouren, "die Anzeichen von einer möglichen Beschädigung oder Gebrauchsspuren aufweisen", zerstört und recycelt werden. Indem der Konzern lediglich von "Anzeichen" spricht, öffnet er einen weiten Interpretationsspielraum. Dass neue, makellose Schuhe vernichtet werden, bestreitet der Konzern. Die Sprecherin schreibt: "Ungetragene und makellose Artikel werden zum Wiederverkauf in die Regale zurückgestellt."