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Radioaktives Material Lieferungen aus Deutschland an russische Militärfirma?

Stand: 02.05.2024 14:33 Uhr

Der Handel mit radioaktiven Substanzen zwischen russischen Firmen und einer Brennelementefabrik in Niedersachsen geht weiter. Laut SWR sind offenbar auch Lieferungen an ein Unternehmen geplant, das eng mit dem Militär kooperiert.

Von Nick Schader, SWR

Trotz des Angriffkriegs gegen die Ukraine sind offenbar weitere Transporte von radioaktivem Material zwischen Deutschland und Russland geplant. Das haben Recherchen des SWR ergeben. Demnach sind "bis zu fünf" Transporte von radioaktivem Material von der Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen an eine russische Firma von niederländischen Behörden genehmigt worden.

Ziel der Lieferungen ist eine Firma, die enge Verbindungen zum russischen Militär haben soll. Die Genehmigungen liegen dem SWR vor. Hintergrund ist, dass diese Transporte über Rotterdam abgewickelt werden sollen. Zwei Frachtschiffe verkehren nach SWR-Informationen dafür zwischen Sankt Petersburg und Rotterdam oder Dünkirchen in Frankreich.

Über diesen Weg wird auch regelmäßig Uran aus Russland nach Lingen geliefert. Dabei handelt es sich um russisches Uran, das in Frankreich und im deutschen Lingen zur Produktion von Brennstäben für Kernkraftwerke verwendet wird.

Im nun vorliegenden Fall sollen, laut den niederländischen Dokumenten, "uranhaltige Produkte" von der Brennelementefabrik Lingen an das Unternehmen MSZ Machinery in Elektrostal in der Nähe von Moskau geliefert werden.

Die russische Militärfirma MSZ

Das Unternehmen MSZ arbeitet nach SWR-Recherchen direkt für das russische Militär. In den Fabrikhallen, rund 50 Kilometer östlich von Moskau, wird radioaktives Material wieder aufbereitet. In einem Firmenvideo erklärt ein leitender Mitarbeiter: "Nach der Aufbereitung erhalten die Kerntechniker Uranoxid […]. Es dient dem Bau von Atombomben und als Brennstoff für Kernkraftwerke." Das Werk soll zudem laut unbestätigten Berichten auch Brennstäbe für Atom-U-Boote produzieren.

Der Umweltaktivist und frühere Nawalny-Mitarbeiter Alexej Schwarz hat zu dem Unternehmen recherchiert: "MSZ verfügt über eine Lizenz zur Nutzung von Atomenergie zu Verteidigungszwecken, zur Herstellung von nuklearen Waffen und nuklearen Energieanlagen für militärische Zwecke. Jede Verbindung mit Rosatom ist eine Investition in russische Atomwaffen." Er fordert: "Deutschland sollte die Zusammenarbeit sofort einstellen."

Zuständig für die Aufsicht über die Brennelemente-Fabrik Lingen ist unter anderem das niedersächsische Umweltministerium. Umweltminister Christian Meyer erklärt, dass grenzübergreifende Uran-Transporte vom Bund bzw. der EU geregelt würden. Ihm seien daher die Hände gebunden.

Doch er kritisiert deutlich: "Gerade der Atombereich Russlands ist eng mit dem verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der militärischen Nutzung für Atombomben verbunden. Statt Uran, radioaktives Material oder Kernbrennstäbe mit Russland auszutauschen, sollten auch der Nuklearsektor von der EU mit Sanktionen belegt werden, wie es Vizekanzler Robert Habeck mehrfach forderte."

Bisher keine EU-Sanktionen im Atomsektor

Der SWR hat die zuständigen Bundesbehörden und Ministerien zu den Transporten von Lingen nach Russland um Stellungnahme gebeten. Im Kern verweisen alle unisono auf die EU. Da es bisher keine EU-Sanktionen gegenüber Russland im Nuklearsektor gäbe, könnten Uran-Transporte nicht einfach verboten werden.

So schreibt unter anderem das Bundesumweltministerium: "Über die Fortentwicklung der Sanktionen gegen Russland entscheidet die Europäische Union. Generell ist es nach Auffassung des BMUV eine notwendige Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die europäische Abhängigkeit von und die Geschäftsbeziehungen mit Russland im zivil-nuklearen Bereich zu reduzieren bzw. abzubrechen."

Laut Bundesumweltministerium gab es in der Vergangenheit bereits solche Lieferungen von Lingen an MSZ in Russland.

"Handlanger der russischen Rüstungsindustrie"

Anti-Atom-Organisationen und Umweltschützer in Lingen kritisieren die geplanten Transporte scharf. Die Brennelemente-Fabrik in Lingen mache sich mit den geplanten Exporten zum Handlanger der russischen Rüstungsindustrie, sagt Julian Bothe von der Organisation "ausgestrahlt". "Das Uran aus Lingen droht in russischen Atomwaffen und in Atom-U-Booten der russischen Marine eingesetzt zu werden. Die beantragten Uran-Exporte verstoßen deshalb klar gegen deutsche und europäische Sanktionsregeln", sagt Bothe.

Alexander Vent protestiert seit Jahren mit der örtlichen Bürgerinitiative AgiEL gegen die Brennelementefabrik. "Schon jetzt gerät die Region Lingen wegen der Brennelementefabrik in den Fokus russischer Interessen. Dass jetzt noch militärische Verstrickungen hinzukommen sollen, verschärft die Situation zusätzlich. Die Bundesregierung muss diesem Treiben ein Ende machen und die Brennelementfabrik endlich schließen."

Der Besitzer der Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen, der französische Konzern Framatome, betreibt nach wie vor einen regen Uran-Handel mit russischen Staatsunternehmen. Dass dabei auch Exporte von Lingen nach Russland geplant seien, bestreitet das Unternehmen nicht.

Der Zeitpunkt sei allerdings offen: "Framatome erfüllt die europäischen und staatlichen Anforderungen und hält alle internationalen Sanktionen ein." Man könne keine konkreten Transporttermine nennen, es sei "derzeit" kein Urantransport von Lingen zu MSZ geplant.  

Uran-Handel geht weiter

In der Brennelemente-Fabrik im niedersächsischen Lingen werden unter anderem aus russischem Uran Brennstäbe für Kernreaktoren hergestellt. Dafür wird regelmäßig Uran per Schiff aus Russland angeliefert, auch derzeit noch. Bei den geplanten Exporten handelt es sich nach SWR-Informationen um "radioaktive Produktionsreste", die in Russland wiederaufbereitet werden sollen.

Auf EU-Ebene wird schon länger gefordert, dass auch der Nuklear-Sektor in Russland sanktioniert werden müsse. Bisher scheiterte das stets am Veto aus Ungarn. Aber auch Frankreich gilt als Gegner von Sanktionen, wegen seiner engen "Atom-Verbindungen" mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Das Unternehmen MSZ in Elektrostal gehört einer Tochterfirma von Rosatom.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die NDR-Sendung "Hallo Niedersachsen" am 17. Januar 2024 um 19:30 Uhr.