Blick auf einen Teil eines Dorfes im Regenwald im Kongo.
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Deutscher Naturschutzfonds Foltern für den Artenschutz?

Stand: 09.01.2024 06:41 Uhr

Mit einem Prestigeprojekt will die Bundesregierung Naturparks in Entwicklungs- und Schwellenländern schützen. Doch Recherchen zeigen: Partner der Initiative begehen wohl Menschenrechtsverstöße gegen Indigene.

Von Bastian Kaiser und Tobias Dammers

Zuerst kamen die Fesseln, dann die Hiebe mit Gürteln, dann das Waterboarding. So schildert der indigene Jäger Mingo Bernard einen Vorfall aus dem Jahr 2021, der ihn bis heute aufwühlt. Parkranger hätten ihn und drei andere Männer im Regenwald aufgegriffen und gefoltert, in das Wasser eines Flusses gedrückt und ein Ertrinken simuliert. "Das Wasser war voller Blut von meinem Körper. So, wie wenn man ein Tier schlachtet", erzählt Bernard. Einer seiner Begleiter bestätigt die Details.

Bernards Heimatdorf liegt mehr als 5.600 Kilometer von Berlin entfernt in der Republik Kongo. Doch für den Vorfall macht er auch deutsche Beamte verantwortlich. "Sie sind dabei Schlimmes anzurichten, vielleicht sogar zu töten", sagt er.

Mit einem millionenschweren Naturerbe-Fonds will die Bundesregierung eigentlich den Artenschutz fördern und das Klima schützen. Der Legacy Landscapes Fund soll bedeutende Naturgebiete in Entwicklungs- und Schwellenländern nachhaltig finanzieren und erhalten. 182,5 Millionen Euro hat das Bundesentwicklungsministerium schon zugesagt, teils auch schon investiert. 30 Schutzgebiete weltweit sollen langfristig gefördert werden.

Deutschland will Vorbild sein

"Deutschland nimmt eine Schlüsselrolle im internationalen Biodiversitätsschutz ein", sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bei einer Pressekonferenz. Doch Recherchen in zwei Projekten des Legacy Landscapes Fund stellen Deutschlands Vorzeigeprojekt in Frage. Indigene in Bolivien und der Republik Kongo kritisieren den Fonds und die Bundesregierung. Die Vorwürfe reichen bis hin zu Folter.

Mingo Bernards Dorf Badekok liegt am Rande des tropischen Odzala-Kokoua-Regenwaldes, einem der ältesten Nationalparks Afrikas. Bewaffnete Parkranger durchstreifen das Gebiet, um vom Aussterben bedrohte Arten wie Gorillas oder Waldelefanten zu schützen. Sie werden unter anderem geschult und bezahlt durch den Legacy Landscapes Fund.

Mingo Bernard

"Deutschland sollte die Parkranger nicht mehr finanzieren", fordert Mingo Bernard.

Für Mingo Bernard sind die Parkranger "Banditen" und "schlechte Menschen". Er zeigt sein eingerissenes linkes Ohr. Die Ranger, die er für seine Verletzungen verantwortlich macht, gehören zur Naturschutzorganisation African Parks Network. Als Grund für die Waterboarding-Folter hätten die Parkranger angegeben, Bernard und die anderen seien zu tief in einen verbotenen, besonders geschützten Bereich des Parks vorgedrungen. Der Park ist in verschiedene Zonen eingeteilt. Die Randzone dürfen Einheimische eigentlich zur Nahrungssuche nutzen.

African Parks äußert sich nicht zu diesem konkreten Fall. Die Organisation teilt aber mit, sie sei kürzlich auf "potenzielle neue Vorwürfe" aufmerksam gemacht worden. Für die Untersuchung sei auch eine externe Anwaltskanzlei beauftragt worden. Allerdings mangele es bei den Vorwürfen an Details. Die "Wahrhaftigkeit bleibt unbekannt", so African Parks.

Mehrere Berichte über Menschenrechtsverletzungen

In den Dörfern um Badekok in der Republik Kongo finden sich weitere Berichte über Misshandlungen durch Parkranger. Eine Frau schildert ihre Vergewaltigung. Ein Bananenpflanzer zeigt Narben auf seinem Rücken, die von einer Folter mit brennenden Fackeln stammen sollen. Andere erzählen von Schlägen, Fesseln, Raub und Brandschatzung.

Auf Anfrage bestätigt das Entwicklungsministerium, von Vorwürfen zu Menschenrechtsverstößen zu wissen. Sie hätten sich "im Laufe der Untersuchungen in zwei Fällen erhärtet". Darauf habe African Parks unter anderem mit "internen Untersuchungen", "Entlassungen" und "menschenrechtlichen Auffrischungstrainings" reagiert.

Außerdem seien die Fälle der kongolesischen Justiz übergeben worden. African Parks verweist auf einen "Null-Toleranz-Ansatz", den es verfolge. Trotz aller Bemühungen "kann Missbrauch leider vorkommen", so die Organisation.

Der Jäger Mingo Bernard fürchtet dennoch um sein Leben, sollte er wieder zu weit in den Regenwald hineingehen - und das, obwohl sein Volk, die indigenen Baka, seit Generationen von den Früchten und Tieren des Waldes lebt. Wegen der Gewalt von African Parks sei das nun kaum noch möglich. "Deutschland sollte die Parkranger nicht mehr finanzieren", fordert er.

Eine Milliarde US-Dollar für den Artenschutz

Das Bundesentwicklungsministerium hat den Legacy Landscapes Fund Ende 2020 ins Leben gerufen. Der Grund: Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Die globale Artenvielfalt sinkt dramatisch, pro Tag sterben schätzungsweise bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten aus.

Inzwischen fördert der Fonds sieben als besonders wertvoll eingestufte Schutzgebiete. Jeder Park bekommt eine Million US-Dollar pro Jahr. Vor Ort übernehmen internationale Naturschutzorganisationen wie African Parks die konkreten Aufgaben - und werden dafür aus dem Fonds bezahlt. Neben der Bundesregierung beteiligen sich auch Frankreich, Norwegen und vermögende private Spender.

Bis 2030 soll rund eine Milliarde US-Dollar zur Verfügung stehen. Auch die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warb prominent um weitere Beteiligungen für das Leuchtturmprojekt. Das Geld verwaltet eine eigens dafür eingerichtete gemeinnützige Stiftung: die Stiftung "Internationaler Naturerbe Fonds - Legacy Landscapes Fund".

Verseuchte Flüsse in Bolivien

Die ausgewählten Schutzgebiete liegen in Afrika, Asien und Südamerika. Eines davon ist der Madidi-Nationalpark in Bolivien. Er gilt als eines der artenreichsten Schutzgebiete der Welt. Eine Studie zählte in den Flüssen des Parks mehr als 300 Fischarten. Doch Fischer wie Oscar Lurici klagen, es würden immer weniger. Die Siedlung der indigenen Gemeinschaft Ese Ejjas liegt am Rande des Parks. Die Ese Ejjas leben vom Fischfang.

Das Problem: Goldgräber buddeln sich mit Nassbaggern immer näher an das Herz des Madidi heran. Die Zuflüsse des Parks sind mit Quecksilber belastet - Rückstände aus dem Bergbau. "Wir fühlen uns schlecht", sagt Oscar Lurici. "Wir haben Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel und manchmal plötzlichen Sehverlust. Wir spüren also schon die Auswirkungen der Quecksilberverschmutzung in unseren Flüssen, weil wir viel Fisch konsumieren."

Geld für zweifelhafte Umweltschützer

Denn Bolivien ist eines der wenigen Länder, die den Einsatz von Quecksilber im Bergbau erlauben. Dennoch zeigen interne Dokumente zum Projekt in Bolivien, dass 46,4 Prozent der Fördermittel über Umwege an den bolivianischen Staat fließen sollen. Empfänger ist die staatliche Naturschutzbehörde SERNAP. Sie soll nun mit dafür sorgen, dass die deutschen Umweltziele umgesetzt werden.

"Manchmal macht es die Sache schlimmer, wenn die Ressourcen kommen, unter solchen Bedingungen", sagt der Umwelt- und Politikwissenschaftler Marco Gandarillas. "Es verlängert die Qual einer Institution, die ihre Funktion nicht erfüllt."

Auch das Bundesentwicklungsministerium fordert strukturelle Reformen in der bolivianischen Verwaltung, bestätigt aber nicht, dass knapp die Hälfte der Mittel an die Naturschutzbehörde fließen. Die Rede ist von nur 15 Prozent, die SERNAP über einen "Sub-Grant" erhalten habe.

Repressalien gegen kritische Parkranger

Lokale Ranger berichten außerdem, dass sie den illegalen Bergbau im Madidi nicht unabhängig melden können. Ansonsten drohten Repressalien - unter anderem von SERNAP, ihrem eigenen Arbeitgeber, dem deutschen Partner. Ein Parkranger erzählt beispielsweise, er sei zwangsversetzt worden, nachdem er sich kritisch über den Goldbergbau geäußert hatte.

SERNAP sagt dazu, ein solcher Vorfall solle "von jetzt an nicht mehr passieren". Dabei ist es eigentlich Aufgabe von SERNAP, Strafverfahren gegen illegale Goldgräber im Madidi einzuleiten.

Alex Villca

Alex Villca befürchtet, dass die falschen Institutionen gestärkt werden.

Diese Behörde sei von den Interessen des Bergbausektors gesteuert, sagt Alex Villca, Sprecher der Indigenen-Vereinigung CONTIOCAP: "Es beunruhigt uns, dass diese Ressourcen in den Händen von Institutionen sind, die ihre Mission verloren haben, die ihre Ausrichtung verloren haben." Er fürchtet, dass die deutschen Mittel Institutionen stärken könnten, die beim Naturschutz bislang versagt hätten.

SERNAP entgegnet, die bolivianische Regierung bekenne sich fest zum Umweltschutz, aber: "Wir hatten Führungspersonen und leitende Angestellte in den Institutionen, die ihre Aufgaben nicht erfüllt haben." Das Bundesentwicklungsministerium sagt, dass eine "angemessene und nachhaltige Verbesserung der Verwaltung von Schutzgebieten" nur in Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden erreicht werden könne. In Bolivien sei das eben SERNAP.

Menschenrechtsrisiken waren vorab bekannt

Interne Dokumente aus dem Bundesentwicklungsministerium zeigen: Obwohl öffentlich die Rechte indigener Gruppen betont werden, wissen die Beamten im Entwicklungsministerium und bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) offenbar früh, dass Menschenrechtsverletzungen bei dem Projekt wahrscheinlich sind.

Schon vor dem Start des Legacy Landscapes Funds hatte es intern immer wieder Warnungen gegeben. Die KfW schätzte die allgemeinen Risiken der Förderung als "potenziell hoch" ein und warnte vertraulich, es könnten für indigene Gemeinschaften "Menschenrechtsrisiken entstehen".

Die EU beteiligt sich bis heute nicht, obwohl Deutschland intensiv darum warb. In einer internen Mail vermerken deutsche Beamte: "Aufgrund der Menschenrechtsproblematik in den Schutzgebieten ist auch die EU-Kom (EU-Kommission, Anm. d. Redaktion) sensibilisiert."

Profiteure wurden an interner Prüfstudie beteiligt

Trotzdem halten Ministerium und KfW an den Plänen fest. Aber die Beamten wollen sich absichern. Die KfW fordert vor der Förderung eines Schutzgebietes eine unabhängige Studie, die vor Ort die Menschenrechtssituation überprüft.

Aus der internen Korrespondenz geht allerdings hervor, dass in verschiedenen Ländern die lokalen Partner-NGOs an der Erstellung der Studien eng beteiligt worden sind - auch Mitarbeiter von African Parks in der Republik Kongo, der Organisation, der nun Folter vorgeworfen wird.

Das Bundesentwicklungsministerium bestätigt die Beteiligung von African Parks an der Studie, sieht deren Aussagekraft aber nicht beeinträchtigt. Laut African Parks sei lediglich die Logistik der Studie unterstützt worden.

Dem Ministerium zufolge konnten mit dem Legacy Landscapes Fund bereits "zahlreiche Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden": In der Republik Kongo nehmen demnach zum Beispiel 2.200 Kinder pro Jahr an Umweltschulungen teil. In Bolivien habe man die Produktion von Schattenkaffee und Vikunja-Wolle gefördert.

Bei den Vereinten Nationen in New York kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt an, dass Deutschland ab 2025 jährlich insgesamt 1,5 Milliarden Euro für den internationalen Biodiversitätsschutz bereitstellen werde. Entwicklungsministerin Svenja Schulze sagte dazu: "Ambitionierter Naturschutz ist zugleich auch kluge Entwicklungspolitik."

Diese Recherche wurde durch ein Stipendium von "Journalismfund Europe" unterstützt.