Jahresrückblick 1971 Regierung auf dem Prüfstand
Die Regierung muss einige Niederlagen einstecken, in schwerem Fahrwasser manövrieren und kann dennoch einige Erfolge für sich verbuchen. Die Verteidigungspolitik gerät aus der öffentlichen Diskussion, die Wirtschaftspolitik fordert ihren Minister.
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Trotz der offensichtlichen Erfolge in der Außenpolitik muss sich die Regierung mit innerer Kritik auseinandersetzen. Im Ausland gilt Willy Brandt als ehrlicher und verlässlicher Nachfolger Konrad Adenauers, im Inland wird deutlich, dass den Reformprojekten Grenzen gesetzt sind. Die Erkenntnis, dass im nervenaufreibenden politischen Geschäft zum Beispiel wirtschaftliche Grenzen gesetzt sind, fällt nicht leicht.
Trotzdem ist die Bilanz des zweiten SPD-Regierungsjahres deutlich positiv: Berlin-Regelung, Beilegung des Metallstreits und die Beilegung der Währungskrise, alles Erfolge für den Bundeskanzler.
Die Minister der Regierungsbank dagegen haben eine gemischtere Bilanz vorzuweisen. Die Rechtsreform des Justizministeriums wird von der neu erwachten Frauenbewegung, besonders gegen die Diskriminierung der Frau im Strafgesetzbuch-Paragraphen 218, emotional überlagert.
Der § 218 wird erst von der FDP, dann auch vom SPD-Parteitag als unzureichend empfunden. Minister Jahn, der die Gesetzentwürfe freimütig offenlegt, gerät mit den Vorschlägen für eine Reform des Familienrechts und den Umgang mit pornografischen Schriften in eine Diskussion, die zu seinem Rücktritt führt.
In der Verteidigungspolitik kann Verteidigungsminister Helmut Schmidt sein Ressort aus einer öffentlichen Diskussion heraushalten, obwohl eine geplante Einberufung von Autos die Gemüter kurz aufstört. Die Diskussion um die Bundeswehr setzt sich im Laufe des Jahres jedoch und Schmidt plant mehr Wehrgerechtigkeit und eine Verkürzung der Dienstzeit. Das Verteidigungsministerium gewinnt den höchsten Haushalt für 1972, um Strukturveränderungen zu finanzieren.
Zwischen steigenden Eigenkosten und Preisen gerät die Landwirtschaft ins Gedränge, der europäische Agrarmarkt und der Streit um die Währungspolitik lassen auch in der Bundesrepublik keine Problemlösung für die protestierenden Bauern zu. Auf einem Bauerntag wird Agrarminister Ertel ausgebuht. Später werden die Konflikte beigelegt, aber auch Krankenversicherungen, Altersrente und Förderungsprogramme können die Bauern nicht versöhnen.
In der Städteplanung sind die Menschen durch steigende Mieten besorgt. Die Regierungskoalition bringt gegen den Protest der Opposition ein Mieterschutzgesetz und ein Städtebauförderungsgesetz durch, die das Leben in Städten erleichtern sollen. Auch die Bodenspekulation soll eingedämmt werden. Steigende Baupreise setzen allen Bemühungen um bezahlbares Wohnen allerdings Grenzen. Sozialer Wohnungsbau und die Erhöhung des Wohngeldes können aber lindern.
Auch in der Bildungspolitik gelingt der Spagat zwischen Bund und Ländern nur mit Kompromissen, die Auseinandersetzungen verlegen sich an die Universitäten selbst.
Der erste Rücktritt der Regierung Brandt trifft Finanzminister Möller. Er sehe nicht mehr, wie man die finanzielle Schere schliessen könne, begründet er seinen Schritt. Wirtschaftsminister Schiller muss nun das Finanzministerium zusätzlich übernehmen. Das Ringen um innere Stabilität bringt keinen Erfolg: Die Preise steigen schließlich um sechs Prozent, ein Nachkriegsrekord.
Auch die internationale Währungskrise steht der Entwicklung entgegen. Die Einfuhrbeschränkungen der Amerikaner aufgrund des schwachen Dollarkurses und der freie Wechselkurs der D-Mark tun ihr Übriges. In einer Reihe von Konferenzen ist auch Schiller an der letztendlichen Lösung der Währungskrise beteiligt.