EU-Debatte Vestagers Chancen steigen
Die EU-Wettbewerbskommissarin Vestager überzeugte bei der Debatte der Spitzenkandidaten um die Nachfolge von Kommissionspräsident Juncker. Beim Thema Steuerbetrug war sie in ihrem Element.
Die originellste Metapher dieses Abends gelang Margrete Vestager: Ein Steuerparadies sei für sie der Ort an dem alle ihren fairen Anteil an Steuern zahlen. Damit brachte Vestager ihre Vision eines gerechteren Europa auf den Punkt. Ein Steuerparadies ohne Ausnahmeoasen für Apple, Amazon und Co. Ganz gleich, ob diese Steueroasen Irland, Malta oder Niederlande heißen. Das Paradies als ein Ort der Fairness und nicht des legalen Betrugs - da war die EU-Wettbewerbskommissarin in ihrem Element.
Auch Frans Timmermanns, ehemaliger Außenminister der Steueroase Niederlande, pflichtete ihr flugs bei. Die Sechser-TV-Debatte um die Juncker-Nachfolge zeigt: Die Apple, Google und Amazon-Bezwingerin Margrete Vestager hat durchaus Chancen, die erste Präsidentin einer EU-Kommission zu werden. Sie genießt eine hohe Reputation im EU-Parlament - und bei zahlreichen Staats-und Regierungschefs. Auch Angela Merkel hegt trotz ihrer offiziellen Solidarität mit ihrem EVP-Parteifreund Spitzenkandidat Manfred Weber durchaus Sympathien für die dänische Pfarrerstochter. Auch wenn Merkel deren Anti-Fusionskurs in Sachen Siemens-Alstom und Thyssenkrupp & Tata nicht teilt.
Weber verliert sich im Klein-Klein
Vestager zeigte sich in dieser TV-Debatte der Spitzenkandidatin auch durchaus angriffsfreudig gegenüber Manfred Weber, als der sich in parteipolitischem Klein-Klein verlor und Vestagers Kommissionskollegen und Umweltkommissar Canete mit dessen Klimaplan als Mann der EVP reklamierte. Die Kommission habe als Team gehandelt und lasse sich nicht nach Parteizugehörigkeit auseinander dividieren, belehrte Kommissionsprofi Vestager den EVP-Fraktionschef. Damit war Manfred Weber in der Debatte vollends in der Defensive, in die ihn ein uneinholbar offensiver Frans Timmermanns gedrängt hatte.
Der amtierende erste Kommissions-Vizepräsident Timmermanns entwarft in brillantem English das Bild einer heilen EU-Welt mit sozialen Auffangnetzen, einem Erasmus-Auslandsprogramm für jeden, ganz gleich ob Azubi oder Student, mit einer europaweiten Jugendgarantie für Ausbildungs-und Arbeitsplätze und mit jugendlichen Wählern, die ab 16 an der Europawahl teilnehmen dürfen. Ganz nebenbei warb der Niederländer bereits während der Debatte bei Grünen und Linken um Stimmen für sich. Man habe doch bereits in dieser Legislaturperiode hervorragend zusammengearbeitet, umschwärmte Timmermanns die Grüne Ska Keller und Nico Cué von der Europäischen Linken.
Politprofi Timmermanns
Und um seine überragende europäische Sprachkompetenz noch einmal genüsslich vorzuführen, sprach Timmermanns den wallonischen Gewerkschafter und ehemaligen Stahlarbeiter Cué in perlendem französisch an. Auch lobte er das hartnäckige Engagement der Wallonen beim Ringen der EU um den Freihandelsvertrag mit Kanada. Mit einer an Selbstgefälligkeit grenzenden Brillanz zog der rhetorisch kaum schlagbare Politprofi Timmermanns alle Register - und ließ dem um differenzierte Abwägung bemühten Manfred Weber kaum eine Chance.
Auch die Grüne Ska Keller wirkte blass im Vergleich zu Klimakämpfer Timmermanns. Gegen diesen Supermann der Juncker-Kommission hatte nur die Kommissions-Superfrau Vestager eine Profilierungs-Chance. Sie hat diese Chance auf erfrischend unaufdringliche Art genutzt und deutlich gemacht, dass der zukünftige Kommissionspräsident weder Weber heißen könnte - noch Timmermanns.